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EKD - Evangelische Kirche in Deutschland

Vertrauensberufe brauchen Schutz durch, aber auch vor dem Staat Wolfgang Huber spricht vor dem 57. Deutschen Anwaltstag

Hannover (ots)

Träger von Vertrauensberufen wie Ärzte,
Geistliche oder Rechtsanwälte brauchen in besonderem Maße Schutz 
nicht nur durch, sondern auch vor dem Staat. Darauf hat der 
Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), 
Bischof Wolfgang Huber, in einem Vortrag vor dem 57. Deutschen 
Anwaltstag in Köln am Freitag, 26. Mai, hingewiesen. Der Staat dürfe 
in die unantastbaren Rechte seiner Bürger nicht eingreifen, und habe 
sicherzustellen, dass sich die Bürger "zur Wahrung ihrer Belange und 
ohne Risiko für ihre Privatsphäre gegenüber den Sachwaltern ihrer 
Angelegenheiten öffnen können". Zugleich müssten allerdings auch die 
Grenzen der besonderen Behandlung der Vertrauensberufe klar gesteckt 
sein.
Huber erklärte in seinem Vortrag zum Thema "Vertrauensberufe im 
Rechtsstaat", dass der Staat zum Beispiel die Reichweite eines 
Zeugnisverweigerungsrechts "vor dem Hintergrund der unabweisbaren 
Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung" nicht grenzenlos 
ausdehnen könne. Ausnahmen dieser Art müssten stets plausibel 
begründet und legitimiert sein. Umgekehrt sei aber mit großer 
Sorgfalt darauf zu achten, inwieweit durch neuere Entwicklungen die 
Vertrauensbasis der Vertrauensberufe untergraben oder ausgehöhlt 
werde. "Problematisch sind dabei wettbewerbsrechtliche Entwicklungen 
auf europäischer Ebene ebenso wie ständig wachsende Anforderungen an 
die Instrumente der Strafverfolgung im Zuge der Ausweitung 
krimineller oder terroristischer Handlungen."
Die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Vertrauens sei ein 
Gebot der Stunde, so der Ratsvorsitzende. Die Erosion des Vertrauens 
sei nicht auf den Umgang mit dem Recht und die Rechtspflege begrenzt.
So halte er den schon wochenlang anhaltenden Streik der Klinikärzte 
deshalb "für hoch beunruhigend", weil er "schon jetzt in erkennbarer 
Weise" das Vertrauen in den Beruf des Arztes schädige. "Ich bin 
deshalb davon überzeugt, dass die streitenden Parteien eine 
gemeinsame Verpflichtung haben, möglichst schnell den Weg zu einem 
tragfähigen Kompromiss zu gehen, weil sie nicht weiter das Vertrauen 
in diejenigen aushöhlen dürfen, um deren Arbeits- und 
Entlohnungsbedingungen es geht: die Ärzte in unseren Kliniken."
Hannover, 26. Mai 2006
Pressestelle der EKD
Silke Fauzi
Es folgt der Vortrag im Wortlaut
Sperrfrist:	Freitag, 26. Mai 2006, 11 Uhr
	  Es gilt das gesprochene Wort
Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
Vertrauensberufe im Rechtsstaat
Festvortrag zum 57. Deutscher Anwaltstag
Köln, 26. Mai 2006
I.
Vertrauen ist gut. Anwalt ist besser. Unter diesem Motto steht der
57. Deutsche Anwaltstag. Ich freue mich über die Einladung, mich in 
diesem Rahmen mit dem Thema Vertrauensberufe im Rechtsstaat 
auseinander zu setzen. Sowohl das Motto des Anwaltstages, als auch 
der Gegenstand meines Referates kreisen um ein Schlüsselthema, eine 
Grundkategorie, einen Kernbegriff: Vertrauen.
Dieses Thema ist sehr aktuell. Es gehört, um den Titel einer noch 
nicht abgeschlossenen Konferenzserie der Stiftung Schloss 
Neuhardenberg aufzugreifen, in das Zentrum der Verlegenheiten unserer
Zeit. In den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland viel Anlass 
gesehen, uns mit dem Vertrauen zu beschäftigen. Die letzte Berliner 
Rede des verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau war diesem Thema
gewidmet. Ebenso war es Gegenstand in der Antrittsrede seines 
Nachfolgers. Die Frage nach einem Vertrauensverlust in der Politik 
war ein beherrschender Gegenstand des vergangenen 
Bundestagswahlkampfes. Die vielfache Beschäftigung mit dem Begriff 
des Vertrauens macht das Maß der Verunsicherung des Vertrauens 
deutlich, die sich zu einer Erosion des Vertrauens auszuwachsen 
droht. Es ist also ein Gebot der Stunde, sich mit dem Begriff des 
Vertrauens auseinander zu setzen.
Einer Vorankündigung zu dieser Veranstaltung habe ich entnommen, 
dass es den Organisatoren gerade darauf ankam, einen 
nichtanwaltlichen Blick auf das gestellte Thema werfen zu lassen. Das
habe ich mit leichtem Schmunzeln zur Kenntnis genommen. Ich bin zwar 
mit Leib und Seele Theologe und Bischof; aber ich kann nicht ganz 
verleugnen, dass ich in einer Juristenfamilie aufgewachsen bin, in 
der es auch an Anwälten nicht gefehlt hat. Meinen nichtanwaltlichen 
Blick richte ich auf den Anwaltsberuf also aus freundschaftlicher und
familiärer Halbdistanz. Ich hoffe, das ist weder zu weit weg noch zu 
nah dran.
Aber es stimmt: Die Erosion des Vertrauens ist nicht auf den Umgang 
mit dem Recht und die Rechtspflege begrenzt. Sie trifft andere 
Vertrauensberufe mindestens so hart, wenn nicht sogar härter. So 
mache ich kein Hehl daraus, dass ich den nun schon wochenlang 
anhaltenden, wenn auch immer wieder dosierten Streik der Klinikärzte 
deshalb für hoch beunruhigend halte, weil er schon jetzt in 
erkennbarer Weise das Vertrauen in einen Beruf schädigt, der ebenso 
wie der Anwaltsberuf ein Vertrauensberuf ist, nämlich den des Arztes.
Ich bin deshalb davon überzeugt, dass die streitenden Parteien eine 
gemeinsame Verpflichtung haben, möglichst schnell den Weg zu einem 
tragfähigen Kompromiss zu gehen, weil sie nicht weiter das Vertrauen 
in diejenigen aushöhlen dürfen, um deren Arbeits- und 
Entlohnungsbedingungen es geht: die Ärzte in unseren Kliniken.
Dies Beispiel zeigt schon: Es handelt sich nicht um ein 
Sonderproblem der Juristen. Zugleich liegt es aus einem anderen Grund
nahe, nach einer nichtanwaltlichen Perspektive Ausschau zu halten. 
Vertrauen ist keineswegs ein juristischer Begriff. Unter juristischem
Gesichtspunkt wird man diesen Begriff vielleicht sogar für kaum 
fassbar ansehen. Gleichwohl kann das Vorhandensein oder das Fehlen 
von Vertrauen eine erhebliche rechtliche Relevanz entwickeln. Für 
Theologen dagegen ist Vertrauen ein Kernbegriff. Wir Theologen kommen
gar nicht umhin, uns mit diesem Begriff auseinander zu setzen. 
Deshalb möchte ich Ihnen einige elementare Überlegungen zu diesem 
Begriff aus der Sicht des evangelischen Theologen vortragen. Ich tue 
das in der Hoffnung, dass sie sich bei der weiteren Entfaltung des 
Themas als fruchtbar erweisen werden.
II.
In der biblischen Sprache gehören Glaube und Vertrauen unmittelbar
zusammen. Denn die biblischen Worte, die wir heute mit Glauben 
wiedergeben, meinen in ihrem Kern Vertrauen. Ein sprachlicher 
Zusammenhang klingt damit an, der auch dem Juristen aus der Formel 
von Treu und Glauben bekannt ist. Das Besondere in diesen biblischen 
Zusammenhängen liegt nun freilich darin, dass es nicht nur darum 
geht, wie Vertrauen gewahrt, sondern auch wie es geweckt werden kann.
Dabei ist nicht nur Vertrauen in diesen oder jenen im Spiel, sondern 
ein Vertrauen in das Leben als ganzes, das dadurch entsteht, dass 
Vertrauen in den Herrn des Lebens wächst. Deshalb ist Vertrauen in 
den Zusammenhängen, die ein Theologe zu bedenken hat, zuallererst und
in seinem Kern Gottvertrauen.
Es gibt einen Zusammenhang, in dem sich dieser Grundzug besonders 
deutlich zeigt. Ich meine die neutestamentlichen Berichte darüber, 
wie Jesus Menschen aus auswegloser Krankheit oder niederdrückender 
Verzagtheit befreit. Das Entscheidende an diesen Vorgängen ist 
regelmäßig das Vertrauen, das er in den Menschen weckt. Dein Glaube 
hat dir geholfen; geh hin in Frieden! Solche Worte wecken das 
elementare Zutrauen dazu, dass Gott für das Leben Gutes will. Gewiss 
ist das Gute nicht immer identisch mit dem Erwarteten. Aber der Blick
auf das Gute, das Gott will, macht frei für den Blick in die Zukunft 
und hilft dabei, mit ihren Unwägbarkeiten umzugehen. Vertrauen im 
biblischen Sinne lässt sich wohl am genauesten so beschreiben: Aus 
gutem Grund von Gott Gutes erhoffen. Das Vertrauen, das die letzte 
Anerkennung des Menschen in seinem Tun und Lassen in Gottes Hand 
legt, erweist sich als Grund alles Vertrauens überhaupt, ein vom 
Selbstruhm freies Selbstvertrauen eingeschlossen. Einem 
Selbstvertrauen, das im Gottvertrauen gründet, wird durch eine solche
Klärung der Entfaltungsraum eröffnet.
Wie kann sich das auswirken? Vertrauen ist immer mit einem 
Sichverlassen verbunden - und zwar in dem doppelten Sinn, der diesen 
Ausdruck auszeichnet. Denn Sichverlassen bedeutet sowohl, von sich 
selbst abzusehen, als auch, sich auf einen anderen ganz einzulassen. 
Und dieses Vertrauen korrespondiert einem Versprechen, das ein 
solches Sichverlassen weckt und auslöst. Wer bei sich bleibt, muss 
sich mit der Unbeständigkeit der eigenen Person abfinden. Wer sich 
dazu entscheidet, bleibt in einem unguten Sinn des Wortes 
eigenverantwortlich und letztlich überfordert. Wer sich nicht 
verlässt, fühlt sich verlassen, vielleicht sogar unfrei oder - weil 
von den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten der einen Wirklichkeit 
umher geschoben - orientierungslos. Gottvertrauen dagegen vermittelt 
einen Standpunkt im Leben. Aus christlicher Sicht ist deshalb beides 
nötig: sich in Gottesdienst und Gebet des Vertrauensverhältnisses zu 
Gott zu vergewissern und im Alltag des Lebens an 
Vertrauensverhältnissen zu arbeiten und sie zu erneuern.
In diesem Sinn wollen Christen zum Vertrauen in der Gesellschaft, 
in der sie leben, dadurch beitragen, dass sie an ihrem jeweiligen Ort
das Gottvertrauen als den Grund allen Vertrauens zwischen Menschen 
und den entscheidenden Maßstab auch für alles Selbstvertrauen leben 
und predigen. Vertrauen wollen Christen dadurch fördern, dass sie um 
Verlässlichkeit im menschlichen Miteinander werben: um das Einhalten 
von Versprechen in den persönlichen Lebensbeziehungen von Ehe und 
Familie, um den Einsatz von Vertrauen in die nächste Generation, um 
eine Atmosphäre, in der die Freude an Kindern und die Bereitschaft, 
für sie Verantwortung zu übernehmen, wieder wachsen. Christen 
erwarten von allen Menschen in öffentlicher Verantwortung, solcher 
Verlässlichkeit im menschlichen Miteinander Raum zu geben. Dabei sind
sie bereit, selbst entsprechende Verantwortung zu übernehmen. Ohne 
einen solchen Grundkonsens kann es kein Vertrauen in die Grundregeln 
einer Gesellschaft geben.
III.
Zu dem Horizont des Vertrauens, den ich jetzt zwar keineswegs 
ausgeleuchtet habe, aber doch habe aufscheinen lassen, hat jeder 
Mensch sein eigenes, unverwechselbares Verhältnis. Aber es musste von
ihm die Rede sein, damit deutlich wird. Überall, wo unser Vertrauen 
in konkreten Formen auf dem Spiel steht, ist schon immer ein 
Grundvertrauen vorausgesetzt. Menschliches Leben hat es, wie Erik 
Erikson von Jahrzehnten sagte, mit einem Urvertrauen zu tun, das er 
in den Ursprungsbeziehungen verankerte, in denen jeder Mensch 
aufwächst.
Auf die Frage, worin dieses Grundvertrauen besteht und worauf es 
sich gründet, werden in unserer Gesellschaft unterschiedliche 
Antworten gegeben. Sie können nicht von Staats wegen reglementiert 
werden. Aber dass solche Antworten gegeben, und vor allem: dass ihr 
Inhalt gelebt und praktiziert wird, ist eine elementare Voraussetzung
dafür, dass praktiziertes Vertrauen in der Gesellschaft einen 
verlässlichen Ort behält. Zu den Voraussetzungen, auf die der 
freiheitliche, säkularisierte Staat angewiesen ist, ohne sie selbst 
garantieren zu können, gehört das Vertrauen als ein 
gesellschaftliches Grundphänomen, ohne das die Kommunikation zwischen
Menschen ausgeschlossen ist. Johannes Rau hat nüchtern festgestellt: 
Ohne Vertrauen können Menschen nicht friedlich miteinander umgehen. 
Dies gilt für alle Bereiche der Gesellschaft, der Politik, der 
Wirtschaft, des menschlichen Zusammenlebens. Wo Vertrauen fehlt oder 
verloren geht, droht der Gesellschaft ein zentrales Element ihrer 
Existenz- und Handlungsfähigkeit abhanden zu kommen.
Wo Vertrauen fehlt, wird Politik unmöglich. Die Demokratie beruht 
auf einem wechselseitigen Vertrauensverhältnis zwischen Wählenden und
Gewählten. Wie bereits John Locke erläutert hat, ist es für den 
demokratischen Staat einerseits notwendig, dass die Bürger der 
legitimen Regierung vertrauen; andererseits aber muss auch die 
Regierung sich auf das rechtskonforme Verhalten der Bürger verlassen.
Sicherlich beruht die Demokratie auf einer institutionellen 
Vertrauensbasis, die als solche von Personen unabhängig ist. Aber das
Vertrauen in die Institutionen der Demokratie hängt wiederum ab vom 
Vertrauen in die handelnden Personen.
Bei alledem ist Vertrauen immer in die Zukunft gerichtet. Der 
Begriff "Vertrauensvorschuss" macht das deutlich. Vertrauen ist die 
von Hoffnung getragene Erwartung, von denjenigen, denen man vertraut 
oder denen man etwas anvertraut, in der Behandlung der jeweiligen 
Angelegenheit nicht enttäuscht zu werden. Vertrauen hält sich an die 
guten Gründe dafür, aus freier Entscheidung auf vorausschauendes 
Misstrauen zu verzichten und dadurch einen Weg in die Zukunft zu 
ermöglichen, der mehr ist als das Festhalten am Gegenwärtigen. 
Deshalb ist Vertrauen eine unerlässliche Bedingung für die Gestaltung
von Zukunft. Vertrauen ist eine entscheidende Bedingung von 
Zukunftsfähigkeit. Wo Misstrauen herrscht, folgt daraus oft ein 
Streben danach, vorhandene Sicherheiten zu erhalten und keinerlei 
Wagnis um er Zukunft willen einzugehen.
Das Recht kann zwar durch äußere Reglementierungen das 
Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft steuern. Es ist aber 
letztlich nicht in der Lage, Vertrauen zu schaffen. Insbesondere 
rechtlicher Zwang ist kein geeignetes Mittel, Vertrauen 
herbeizuführen. Johannes Rau drückt es so aus: Vertrauen kann man 
nicht anordnen, nicht befehlen. Vertrauen kann man nicht beschließen.
Vertrauen muss wachsen. Vertrauen wächst zwischen einzelnen Menschen,
in Gemeinschaften und muss eine ganze Gesellschaft prägen.
So grundlegend also Vertrauen für das Zusammenleben in einer 
demokratischen Gesellschaft und damit für den Rechtsstaat ist, so 
fragil und gefährdet ist es. Wo aus Enttäuschung Vertrauen verloren 
geht - sei es in der Politik, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft,
in den Medien, im privaten Zusammenleben, in vertraglichen 
Geschäftsbeziehungen - ist es besonders schwer, es wieder 
herzustellen.
Das kann man sich an Beispielen dafür verdeutlichen, dass das 
Vertrauen in bestimmte Produkte durch Informationen erschüttert wird,
weil neue Informationen die Produktqualität massiv in Frage stellen. 
Kaum wieder aufzuholende Absatzeinbrüche beim jeweiligen Produkt sind
die Folge. Ein plastisches Beispiel ist der massive Rückgang des 
Rindfleischkonsums im BSE-Skandal.
Wo ein Vertrauensverlust die Gesellschaft insgesamt erfasst, ist 
das gesamte System in Gefahr. Aus derart enttäuschtem Vertrauen wird 
Resignation gegenüber der gegebenen Form gemeinsamen Lebens 
überhaupt. Gesellschaftliche Reformprozesse, die gerade Vertrauen 
benötigen, verkehren sich in ihrer Wirkung in ihr Gegenteil; ihnen 
wird mit großem Misstrauen begegnet. Gewiss sieht der demokratische 
Rechtsstaat die Gewährung von Vertrauen immer nur auf Zeit vor. 
Vertrauen wird auf Bewährung gegeben. Niemand darf im demokratischen 
Rechtsstaat an das Vertrauen der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger 
appellieren, ohne zugleich einzuräumen: Dem Vertrauen korrespondiert 
die kritische Wachsamkeit. Im Zusammenhang politischer und sozialer 
Reformen die Erosion des Vertrauens und die Notwendigkeit des 
Vertrauens anzusprechen, bedeutet nicht, Vertrauen auf Kosten dieser 
Wachsamkeit einzufordern. Vielmehr muss heute beides zugleich gegeben
sein: das Vertrauen, aber ebenso auch die Fähigkeit zur Kritik. Im 
öffentlichen Leben, insbesondere aber in der Politik, wird kritische 
Wachsamkeit immer die Begleiterin des Vertrauens bleiben.
Im Ergebnis sehen wir, dass Vertrauen eine unverzichtbare 
Grundbedingung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundordnung 
ist. Es ist mit dem Mittel des Rechts nicht erzwingbar. Alle Glieder 
der Gesellschaft sind dieser Grundbedingung des Staates verpflichtet;
jede gesellschaftliche Gruppe muss dazu ihren Beitrag leisten. Alle 
müssen sich um Vertrauen bemühen. Diese Vertrauensbereitschaft ist 
unverzichtbar. Im Fall des Verlustes von Vertrauen muss sie 
einhergehen mit der Bereitschaft, verlorenes Vertrauen zu erneuern. 
Nur so kann die Lebens- und Zukunftsfähigkeit eines Gemeinwesens 
gesichert bleiben.
IV.
Ebenso wie für den demokratischen Staat hat das Vertrauen auch für
den Beruf im anspruchsvollen Sinn dieses Wortes eine 
Schlüsselbedeutung. Um zu erläutern, was Beruf in diesem 
anspruchsvollen Sinn meint, ist ein Blick auf die theologische 
Dimension auch dieses Begriffs nötig. Denn das Wort Beruf ist 
ursprünglich in der Bedeutung, die Martin Luther diesem Wort gab, in 
unserer Sprache heimisch geworden. Er knüpfte dafür an eine Aussage 
des Apostels Paulus an: Jeder soll so leben, wie der Herr es ihm 
zugemessen, wie Gott einen jeden berufen hat ... Jeder bleibe in der 
Berufung, in der er berufen wurde (1. Korinther 7, 17.20). Aus dieser
biblischen Aussage entwickelte Martin Luther seine Vorstellung vom 
Beruf, den er bei jedem Menschen in einer Berufung begründet sieht. 
Berufung aber heißt für Luther, dem Ruf Gottes zu folgen und zu 
entsprechen - und zwar auch in der alltäglichen weltlichen Arbeit. 
Auch in einem solchen äußeren Beruf liegt eine innere Berufung: die 
Berufung nämlich zum Dienst am Nächsten. Kein Beruf ist davon 
ausgenommen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Stallmagd - so heißt 
eines von Luthers Lieblingsbeispielen - dem Fürsten absolut gleich. 
Damit ist jeder Vorrang einer religiösen Berufung vor weltlichen 
Tätigkeiten ausgeräumt. Jegliche Berufserfüllung im engeren wie in 
diesem weiteren Sinn wird von Luther als Gottesdienst verstanden. Das
jeweilige berufliche Bemühen um das Herstellen von gegenseitigem 
Vertrauen ist nach diesem Verständnis ein Teilaspekt ausgeübter 
Nächstenliebe.
Jede Person, die einen Beruf, gleich welcher Art, ausübt, ist 
angewiesen auf das Vertrauen, das ihr in diesem Zusammenhang 
entgegengebracht wird. Zugleich begegnet sie ihrerseits ihrer 
Klientel mit Vertrauen. Bei der Ausübung jedweder beruflicher 
Tätigkeit, sei sie gewerblich oder gemeinnützig, kommt es letztlich 
auf die Beziehungen zwischen Menschen an. Dem Verhältnis zwischen 
Arbeitnehmern und Arbeitgebern liegt ein Vertragsverhältnis zu 
Grunde, das vom Vertrauen in die wechselseitige Bereitschaft zur 
Vertragserfüllung geprägt sein muss. Die Orientierung an Tugenden 
wird vorausgesetzt, die jeweils Einzelaspekte dessen darstellen, was 
in der Gesamtheit das Vertrauen ausmacht. Hierzu zählen 
Verlässlichkeit, Verantwortlichkeit, Leistungsbereitschaft, das 
Einbringen und Fördern der eigenen beruflichen Fähigkeiten, 
Korrektheit, Fairness, Berechenbarkeit, Beständigkeit, Vertragstreue,
Verschwiegenheit und sofort. So verstanden ist jeder Beruf ein 
"Vertrauensberuf" - ganz im Sinne der Überlegungen Martin Luthers.
Berufliche Vertrauensbeziehungen sind ursprünglich immer mit 
persönlichem Kontakt verbunden gewesen. Die unmittelbare menschliche 
Kommunikation ist, wie wir gesehen haben, für das Entstehen von 
Vertrauen entscheidend. Verträge sind ursprünglich durch Handschlag 
geschlossen worden. Längst sind Vertragsbeziehungen viel 
komplizierter geworden. Besondere Vorkehrungen sollen das eigene 
Risiko minimieren und den jeweiligen Sicherheitsinteressen Rechnung 
tragen. In immer globaleren Beziehungen findet die Kommunikation der 
Partner längst ohne ein unmittelbares Zusammentreffen der Beteiligten
statt. Telefon und E-Mail, Internet und Unterschriften durch 
Code-Nummern gehören inzwischen zu den technischen 
Kommunikationsmitteln. Dabei lässt sich zugespitzt sagen: Je mehr der
persönliche Kontakt abnimmt, umso höher werden die Anforderungen an 
die Mittel der Risikoabwehr. Vertrauen wird so nicht mehr 
hergestellt, sondern im Wege der technischen, rechtlichen, 
formalisierten Absicherung simuliert. Der Bereich wächst, in dem das 
Zusammenwirken durch äußere Reglementierungen und technische 
Absprachen geregelt ist. Aber ein Zusammenleben der Menschen in der 
Gesellschaft entsteht so nicht. Umso wichtiger werden diejenigen 
Zusammenhänge, in denen die unmittelbare menschliche Kommunikation 
unentbehrlich ist. Sie gewinnen in wachsendem Maß eine 
Stellvertretungsbedeutung für die Gesellschaft im Ganzen. Was wir in 
einem spezifischen Sinn die Vertrauensberufe, die Professionen im 
eigentlichen Sinn nennen, ist genau durch diese persönliche Beziehung
gekennzeichnet. Sie beruhen, wie man im anwaltlichen Bereich sagt, 
auf einem Mandat: einem Auftrag, den eine Person einer anderen Person
gibt. Sie bedarf des unmittelbaren persönlichen Kontakts.
V.
Eine Liste, welche Berufe als Vertrauensberufe zu verstehen sind, 
ergibt sich aufgrund rechtlicher Regelungen des Strafgesetzbuches und
der Strafprozessordnung, die Ausnahmevorschriften für eine Reihe 
besonderer Berufe aufgestellt haben. Einschlägig sind hier § 203 StGB
und die für bestimmte Amtsträger dazugehörende Spezialnorm des § 353 
b StGB, in denen der Verrat von im Beruf erlangten Geheimnissen 
sanktioniert wird, und § 53 StPO, in dem für abschließend benannte 
Berufe und Berufsgruppen ein Recht der Zeugnisverweigerung als 
Ausnahme vom rechtstaatlich bestehenden Zeugniszwang normiert wird.
Die in den §§ 203 StGB und 53 StPO aufgeführten Berufslisten sind 
zwar nicht kongruent. Der Kreis der zur Aussageverweigerung 
Berechtigten ist enger als der Kreis derjenigen, denen die 
Geheimniswahrung geboten ist. Für unsere Fragestellung spielt das 
aber keine entscheidende Rolle. Entscheidendes Merkmal für die 
jeweils genannten Berufe ist nämlich übereinstimmend, dass es bei der
Berufsausübung jeweils um besondere Näheverhältnisse zu Menschen 
geht, die etwa als Klienten oder Patienten mit den Berufsträgern in 
unmittelbarem Kontakt stehen und darauf angewiesen sind, dass die 
Fragen und Sachverhalte ihrer privaten Lebenssphäre angemessen 
aufgenommen werden. Dabei kann es sich um höchst sensible 
Angelegenheiten handeln.
Vertrauensberufe haben es mit der Integrität der Person, ja unter 
Umständen mit der Unantastbarkeit ihrer Würde zu tun. Jeder 
Einwirkung der öffentlichen Gewalt in diesen unantastbaren Bereich 
stehen Grundnormen der Verfassung entgegen. Das Gebot, die 
Intimsphäre des Einzelnen zu achten, ist durch das Grundrecht auf 
freie Entfaltung der Persönlichkeit verbürgt, dessen Inhalt und 
Reichweite anhand der Würde des Menschen als Grundnorm des 
Grundgesetzes zu bestimmen ist. Im Interesse dieser Privatsphäre der 
Menschen müssen diejenigen, die von Berufs wegen Angelegenheiten aus 
diesem Bereich für ihre Klienten behandeln, bei ihrer Tätigkeit vor 
Zugriffen des Staates geschützt werden. Der professionelle Zugang zu 
dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung verlangt zugleich
Kompetenz und Integrität. Auf Menschen, denen man sich auf eine 
solche Weise anvertraut, muss man sich verlassen können.
Damit sind wir im Kernbereich des Vertrauens. In einer 
Entscheidung zu der Frage, ob Sozialarbeitern ein 
Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne von § 53 StPO zukommt, hat das 
Bundesverfassungsgericht hierzu bereits 1972 Folgendes ausgeführt: 
Vielfach ist es Teil seiner (des Bürgers) unabweisbaren 
Lebensbedürfnisse, Vertreter bestimmter Heil- und Beratungsberufe in 
Anspruch zu nehmen. Wirksame Hilfe kann er von ihnen zumeist nur 
erwarten, wenn er sich rückhaltlos offenbart und sie zu Mitwissern 
von Angelegenheiten seines privaten Lebensbereiches macht. 
Andererseits hat er ein schutzwürdiges Interesse daran, dass solche 
Tatsachen nicht zur Kenntnis Dritter gelangen. Die grundsätzliche 
Wahrung dieses Geheimhaltungsinteresses ist notwendige Vorbedingung 
des Vertrauens, das er um seiner selbst willen aufbringen muss, und 
Grundlage für die erfolgreiche Berufstätigkeit jener, von denen er 
Beistand benötigt. anderenfalls bliebe ihm oft nur die Wahl, entweder
eine Offenbarung seiner privaten Sphäre in Kauf zu nehmen oder aber 
auf eine sachgemäße Behandlung oder Beratung von vornherein zu 
verzichten. Das Gericht macht allerdings auch deutliche Aussagen 
darüber, dass die Geheimhaltungspflicht sich nur auf Gegenstände 
beziehen kann, die dem schlechthin unantastbaren Bereich der privaten
Lebenssphäre zuzuordnen sind, und knüpft daran Konsequenzen, auf 
welche Berufe sich das beziehen kann.
In den klassischen Kernbereich der Professionen, der 
Vertrauensberufe also, gehören Geistliche, Rechtsanwälte und Ärzte. 
Neben Mitarbeitern von Presse und Rundfunk werden auch noch andere 
vergleichbare Berufe genannt. In allen diesen Berufen kommt es auf 
das Bestehen eines festen Vertrauensverhältnisses zwischen den 
Beteiligten an. Das schließt das Recht der Zeugnisverweigerung ebenso
wie das Verbot des Geheimnisverrats ein. Wenn übrigens unter den 
Berufen, die zur Geheimniswahrung verpflichtet sind, die Geistlichen 
nicht genannt sind, so liegt das nicht darin, dass sie etwa keiner 
Verschwiegenheitspflicht unterlägen. Das Gegenteil ist der Fall. In 
der evangelischen Kirche hat das Beicht- und Seelsorgegeheimnis einen
hohen Stellenwert. Nur gehört diese Pflicht zu den eigenen 
Angelegenheiten der Kirchen und hat in deren 
Ordinationsverpflichtungen und Pfarrerdienstgesetzen ihren Ort. Der 
religionsneutrale Staat  dagegen kann die besonderen Berufspflichten 
der Geistlichen nicht festlegen oder gar mit staatlichen 
Strafsanktionen sichern.
Die Träger von Vertrauensberufen stehen in einem besonderen 
Verpflichtungsverhältnis zu ihren Klienten. Und sie brauchen in einem
besonderen Maß einen Schutz nicht nur durch den Staat, sondern auch 
gegenüber dem Staat. Denn dieser darf in die unantastbaren Rechte 
seiner Bürger nicht eingreifen und hat dennoch sicherzustellen, dass 
sich die Bürger zur Wahrung ihrer Belange und ohne Risiko für ihre 
Privatsphäre gegenüber den Sachwaltern ihrer Angelegenheiten öffnen 
können. Dazu ist der Staat umso mehr verpflichtet, als in den 
Professionen jeweils besondere Gemeinwohlbelange auf dem Spiel 
stehen. Die Tätigkeit von Ärzten dient der Gesundheitspflege, die 
Tätigkeit von Geistlichen dient der Religionsfreiheit und in ihrem 
Rahmen insbesondere der Seelsorge; die Tätigkeit der Rechtsanwälte 
dient der Rechtspflege.
So wichtig nach alledem die Vertrauensberufe für den Rechtsstaat 
sind, so sehr der Staat deshalb auch die Rechtsgrundlage für 
besonders geschützte Berufsausübung schafft, so klar müssen 
allerdings auch die Grenzen der besonderen Behandlung der 
Vertrauensberufe gesteckt sein. Die Reichweite eines 
Zeugnisverweigerungsrechts kann der Staat vor dem Hintergrund der 
unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung nicht 
grenzenlos ausdehnen. Vielmehr müssen Ausnahmen dieser Art stets 
plausibel begründet und legitimiert sein. Umgekehrt aber ist mit 
großer Sorgfalt darauf zu achten, inwieweit durch neuere 
Entwicklungen die Vertrauensbasis der Vertrauensberufe untergraben 
oder ausgehöhlt wird. Problematisch sind dabei wettbewerbsrechtliche 
Entwicklungen auf europäischer Ebene ebenso wie ständig wachsende 
Anforderungen an die Instrumente der Strafverfolgung im Zuge der 
Ausweitung krimineller oder terroristischer Handlungen.
In diesem Zusammenhang muss gefragt werden, ob und inwieweit eine 
rein marktwirtschaftlich ausgerichtete Organisation von 
Vertrauensberufen ihre besondere Funktion für das Gemeinwesen 
gefährden kann. Nicht nur im Hinblick auf Rechtsanwälte stellt sich 
diese Frage. Sie gilt für andere Vertrauensberufe - Geistliche oder 
Ärzte zumal - in gleicher Weise. Eine marktwirtschaftliche 
Liberalisierung darf nicht so weit gehen, dass es am Ende den 
Berufsstand gar nicht mehr gibt, dem wir den Status eines 
Vertrauensberufs zuordnen könnten. Will man die Vertrauensberufe im 
Wege von Deregulierungen stärker dem Wettbewerb aussetzen und dabei 
die Berufsausübung stärker formalisieren und schematisieren, so muss 
man sich bewusst sein, dass eine schematisierte Behandlung 
höchstpersönlicher Angelegenheiten der Individualität dieser 
Angelegenheiten widerspricht. Es darf nicht die Gefahr entstehen, 
dass die Klienten zu bloßen Objekten einer gleichförmigen 
Berufsausübung werden. Das steht der Bildung des gebotenen 
Vertrauensverhältnisses und damit der Aufrechterhaltung der Funktion 
und Bedeutung der Vertrauensberufe entgegen.
Ein anderes Gefahrenpotential, auf das ich Ihr Augenmerk lenken 
möchte, besteht für Geistliche und das von ihnen zu wahrende Beicht- 
und Seelsorgegeheimnis. Denn angesichts moderner Methoden verdeckter 
Informationsbeschaffung stellt sich die Frage, ob ein umfassender 
Schutz des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses überhaupt noch 
gewährleistet werden kann. Man wird dafür allenfalls dann noch 
kämpfen können, wenn es durch den Gebrauch von weithin wirksamen 
Richtmikrofonen schon längst missbraucht ist. Wie lässt sich dann 
dafür sorgen, dass das Vertrauen der Menschen in den Seelsorger oder 
die Seelsorgerin nicht erschüttert wird? Wie sieht es hier mit 
Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsgeboten aus? Sind sie an 
Personen oder an bestimmte kirchliche Räumlichkeiten zu binden? Wie 
ist das mit der Telefonseelsorge? Mit der Notfallseelsorge? Wer ist 
"Geistlicher" oder "Seelsorger" im Sinn der gesetzlichen 
Bestimmungen? Wer wird dies künftig definieren? Und wie? Hier stehen 
Klärungen an, die sich nach meiner festen Auffassung an dem Ziel 
orientieren müssen, die Funktionsbedingungen für Vertrauensberufe 
aufrechtzuerhalten und zu stärken.
Es wird Sie vielleicht verwundern, dass in dieser Betrachtung der 
Anwalt und der Geistliche in eine gute Nachbarschaft zueinander 
geraten. Das liegt nicht nur an dem Redner, den Sie sich zu diesem 
Thema eingeladen haben. Es liegt auch in der Natur der Sache. Die 
Aufgabe der Rechtspflege und die Wahrnehmung von Grundrechten sind 
nahe miteinander benachbart. Unter den Grundrechten aber kommt der 
Freiheit der Religion und damit der Freiheit des Glaubens und des 
Gewissens schon immer eine Schlüsselstellung zu. Es wundert deshalb 
nicht, dass in Ländern, in denen die Religionsfreiheit 
einschränkenden Bedingungen unterliegt, auch die Freiheit der 
Rechtspflege mit Hindernissen zu kämpfen hat. In einer Woche, in der 
durch den Besuch der Bundeskanzlerin die Aufmerksamkeit in besonderer
Weise auf China gelenkt worden ist, liegt es nahe, dies mit einem 
Hinweis auf China zu verdeutlichen. Dass die Kirchen sich darum 
bemühen, bessere Bedingungen für die Wahrnehmung der 
Religionsfreiheit in China zu erreichen, liegt deshalb genauso nahe, 
wie dass Rechtsanwälte sich mit der beruflichen oder persönlichen 
Situation ihrer chinesischen Kollegen beschäftigen. Beide Fragen 
gehören deshalb in meinem Verständnis auch zu den Themen des 
Rechtsstaatsdialogs, der nach dem des Erinnerns werten Besuch von 
Johannes Rau im Land der Mitte zwischen Deutschland und China in Gang
gekommen ist.
VI.
Meine These heißt: Nichts ist besser als Vertrauen. Wo Vertrauen 
enttäuscht wird, wird an den Grundfesten des Zusammenlebens 
gerüttelt. Vertreter von Vertrauensberufen wissen das am besten. 
Deshalb liegt ihnen daran, dass diese besondere Bedingung ihrer 
Profession gewahrt, im beruflichen Verhalten bewährt und von der 
staatlichen Rechtsordnung geachtet wird.
So führt mein Nachdenken zu dem Ergebnis, dass das Motto Ihrer 
Veranstaltung wohl am ehesten ironisch zu verstehen ist. Mit der 
Parole Vertrauen ist gut. Anwalt ist besser knüpfen Sie an den 
berühmten Satz Lenins an: Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser. 
Dieser Satz indessen erklärt die Notwendigkeit von Misstrauen zur 
Basis des Staates. Ein von dieser Maxime getragener Staat endet 
zwangsläufig als Unrechtsstaat. Ihm fehlt das Vertrauen des Staates 
in seine Bürger ebenso wie das Vertrauen der Bürger in ihren Staat. 
Ich habe dagegen versucht, die grundlegende Bedeutung von Vertrauen 
für ein Gemeinwesen zu beschreiben. Aus meinen Überlegungen folgt, 
dass im freiheitlichen Rechtsstaat ein Anwalt dann am besten ist, 
wenn er durch das Vertrauen seiner Klienten getragen wird. Dieses 
Vertrauen, so habe ich durch manche Erfahrung gelernt, wird ganz 
besonders dadurch gestützt, dass ein Anwalt auch dann Recht Recht und
Unrecht Unrecht nennt, wenn er damit den vorgefassten Meinungen und 
den Interessen seines Klienten widerspricht. Ein Anwalt, so füge ich 
hinzu, ist dann am besten, wenn er im Rahmen einer Rechtsordnung 
arbeiten kann, die diesen Bereich des Vertrauens schützt, ohne ihn 
durch Aushöhlung der Professionen oder durch eingreifende Kontrolle 
zu zerstören. Deshalb schlage ich Ihnen, meine Überlegungen 
zusammenfassend, vor, das Motto Ihrer Veranstaltung zu ändern und zu 
sagen: Ist das Vertrauen gut, ist der Anwalt besser.
Evangelische Kirche in Deutschland
Hans-Christof Vetter
Herrenhäuser Strasse 12
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