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Berliner Morgenpost: Angela Merkel gegen den Rest der Welt - Kommentar

Berlin (ots)

Man kann Angela Merkel einiges vorwerfen, aber
eines nicht: Geprotze, Geprange, konsumistische Selbstverwirklichung.
Geprägt von ihrer Kindheit im Pfarrhaus, ist die Kanzlerin immun 
gegen die Verlockung der Shoppingcenter. Einkaufen als 
Freizeitbeschäftigung ist ihr fremd.
Dass sie sich nach langem Zaudern nun von Maßschneiderinnen 
einkleiden lässt, ist eher ein vernunftgesteuertes Zugeständnis an 
die medialen Erfordernisse des Amtes. Barockere Mitarbeiter im 
Kanzleramt klagen bisweilen sogar über den "protestantischen 
Bescheidenheitsterror" der Chefin, die Brioni bis heute vermutlich 
für einen italienischen Fußballspieler hält. Der angloamerikanische 
Denkansatz des Konsumankurbelns mittels Steuersenkung ist der 
mächtigsten Frau der Welt fremd; ein halbwegs gesunder Haushalt geht 
als Staatsziel bei ihr allemal vor.
Der Streit mit Partei- und Europa-Unionisten darüber, ob Deutschland 
die Verbrauchsteuern senken soll, hat neben der kulturellen aber auch
eine knallharte machtpolitische Komponente für die Kanzlerin: 
Widerstand gegen den Rest der Welt hat sich seit jeher als 
Führungsinstrument bewährt. Es gilt die Regel: Kanzler gewinnen ihr 
Profil selten mit Harmonie, aber häufig im Konflikt. Ein heftiger 
Streit hat immer auch den Kollateralnutzen, Aura aufzubauen.
Vor allem sein striktes Nein zum Irak-Krieg hat beispielsweise 
Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder den Eintrag ins Geschichtsbuch
gesichert. Ist der Steuerstreit auch keine Frage nach Leben und Tod, 
so birgt er gleichwohl großes internationales Erregungspotenzial in 
Zeiten globalökonomischen Bebens. Alle Welt befeuert den 
Binnenkonsum, nur und ausgerechnet die Deutschen geizen.
Es gehört zu den Paradoxien der Politik, dass der anschwellende 
Protest aus Partei und Europa der Kanzlerin hilft. Jedes Gemaule aus 
London, Paris, Stuttgart oder Saarbrücken lässt die Kanzlerin 
standhafter erscheinen. Schon der Falkland-Krieg von Margaret 
Thatcher hat belegt, dass es in der Politik nicht immer um Sinn oder 
um Unsinn geht, sondern oftmals um Symbolik, den Wert der 
Unbeugsamkeit zum Beispiel.
Im Vergleich zu Schröders Irak-Nein kann sich die CDU-Vorsitzende 
allerdings nicht auf den Rückhalt ihrer Partei verlassen. Die 
wirtschaftspolitische Linie markiert eine der empfindlichsten 
Bruchstellen im labilen Gefüge der Union. Schießt die Konjunktur im 
neuen Jahr tatsächlich in den Keller, werden die Kritiker der 
Kanzlerin genussvoll auf das vorweihnachtliche Zaudern verweisen. Für
diesen Fall bleibt Angela Merkel allerdings immer noch die Chance, 
sich vom Finanzminister abzusetzen und für 2010 einen Sack voll 
Steuergeschenke in Aussicht zu stellen. In Zeiten des Vorwahlkampfes 
hat sich auch die Konjunkturpolitik in die Logik der Machtsicherung 
einzuordnen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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