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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Brüssel in der Sommerpause Die EU in der Sinnkrise Fabian Fellmann, Brüssel

Bielefeld (ots)

Der zu Ende gehende Monat wird in die Geschichte Europas eingehen. Jetzt, zu Beginn der Brüsseler Sommerferien, kratzen sich Proeuropäer verlegen am Kopf und fragen sich bange, wohin die Reise den Kontinent führen mag. "Das ist nicht mehr meine Europäische Union", schreibt etwa der 24-jährige Pietro Grandi, italienischer Student in Großbritannien, in einem Blog-Beitrag. Viele fühlen ähnlich, vor allem jüngere Bürger. Die EU habe ihre politischen Ideale verraten und werde wieder zu einem reinen Binnenmarktprojekt, das sich nur um die Wirtschaft kümmere, beklagt sich der Mitarbeiter eines EU-Parlamentariers. Es sind zwei Ereignisse im Juli, welche diese Sinnkrise in der Europäischen Union ausgelöst haben. Zum einen haben die Euro-Länder Griechenland einen harten Spar- und Reformkurs diktiert. Zum andern haben die EU-Länder die Zielvorgabe verpasst, 40.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland aufzunehmen und die beiden Grenzstaaten zu entlasten. Damit wurde gleich zweimal auf die Probe gestellt, was die Union zusammenhalten soll: die Einheit der Werte und die Solidarität unter den Mitgliedern. Beide Male hat die EU versagt - so fühlen viele. Der Philosoph Jürgen Habermas kritisierte, die deutsche Regierung habe in einer Verhandlungsnacht das politische Kapital eines halben Jahrhunderts verspielt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sei die "Zuchtmeisterin des Kontinents", schrieb der Kurier in Österreich. Die Sinnkrise trifft die EU in einem schwierigen Moment: Russland spielt in der Ukraine und dem Baltikum Katz und Maus mit der Union. Großbritannien droht mit einem Austritt. Von rechts und links bedrängen Protestparteien in vielen Ländern die bröckelnde proeuropäische Mitte. Auf all diese Herausforderungen reagieren die Staats- und Regierungschefs der EU keineswegs souverän, sondern höchst defensiv. Freimütig wies EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker diese Woche auf den Mangel an politischem Gestaltungswillen hin: "Wir haben das Schlimmste verhindert, und zwar nicht, weil wir so unglaublich klug wären, sondern weil wir schlicht Angst hatten." Die europäischen Politiker haben Angst. Angst vor Russland, Angst vor ihren eigenen Bürgern, die sich gegen Kredite für Griechenland oder Flüchtlingsheime wehren könnten. Sie haben Angst, politischen Mut zu zeigen. Dabei ist überdeutlich geworden, dass die Eurozone stärker zusammenwachsen muss und dafür eine stärkere politische Legitimation benötigt. Deutschland und Frankreich arbeiten derzeit an Vorschlägen, doch die Pläne bergen die Gefahr, dass die EU in zwei Lager gespalten wird: die enge Euro-Union und die losere Gesamt-EU. Doch existiert diese Trennung schon heute. Noch zeigen der französische Präsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel keinen großen Willen, diese Diskussion offensiv anzugehen. Nach der Sommerpause müssen sie aber dringend wieder Europa den Weg weisen. Selbst wenn das Ziel eine weniger ambitionierte, zweiteilige Union ist, die vielleicht zunächst weniger Begeisterung weckt, langfristig aber mehr Resultate liefern kann.

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