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Mittelbayerische Zeitung: Zur Familienpolitik: Deutschland nimmt für Kinder viel Geld in die Hand, doch das allein reicht nicht.

Regensburg (ots)

Was ist schon die Armut in Deutschland, angesichts des stummen Sterbens der Kinder in Somalia? Natürlich geht es bei uns nur um die sogenannte relative Armut. In Deutschland muss kein Kind verhungern, jedes Kind kann eine Schule besuchen, und gebrauchte Kleidung, die den Träger nicht sofort als Hartz-IV-Empfänger brandmarkt, gibt es schon für ein paar Euro auf dem Second-Hand-Basar. Armut im reichen Deutschland ist versteckter. Und doch bedeutet sie Ausgrenzung und Isolation von Anfang an. Die gestern vorgelegte Statistik zur Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen ist das Armutszeugnis einer Gesellschaft, die ihren tragenden Mittelbau verliert, und einer Politik, die lieber zahlt, als neue Wege zu gehen. Dass in Deutschland jedes sechste Kind in - relativer - Armut lebt, ist keine aufrüttelnde Neuigkeit. Die Zahlen werden jährlich vorgelegt und sagen uns seit Jahrzehnten, dass etwas falsch läuft. Trotzdem hat sich an der Ausgabenpolitik des Bundes nichts geändert. Seit Jahren fließen in der Bundesrepublik annähernd drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Ausgaben für Kinder und Familien. Kein schlechter Wert im europaweiten Vergleich. Doch das Ergebnis dieses Aufwands ist miserabel. Bei ähnlichen Leistungen familienpolitisch weit erfolgreicher sind Länder wie Frankreich, Dänemark, Großbritannien und Schweden. Dort wird wesentlich mehr in Dienstleistungen wie Krippen und Kindergärten gesteckt, statt in reine Geldleistungen. Vielleicht sollten die Politiker doch noch einmal ganz genau hinschauen, was etwa die Franzosen besser machen, die nicht ohne Grund eine deutlich höhere Geburtenrate haben. Eine Spitzenposition hält Deutschland lediglich bei den Familienleistungen in Form von Steuererleichterungen. Da gerade Alleinerziehende ein besonderes Armutsrisiko tragen, könnte die Politik hier ein deutliches Signal setzen, dass sie sich nicht nur solche Kinder, die in vermeintlich "geordneten" Verhältnissen aufwachsen, etwas kosten lässt. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings, von dem ja auch kinderlose Paare profitieren, brächte dem Bund nach Berechnung des Deutschen Kinderschutzbunds mindestens sieben Milliarden Euro Mehreinnahmen. Der Aufschrei wäre groß, doch die Kinderlobbyisten sagen zu Recht: Angesichts der Kinderarmutszahlen darf es keine Tabus geben. Ein Tabu sollten vielmehr gut gemeinte, aber bürokratisch aufgeblähte und wirklichkeitsfremde Aktionen wie das Bildungspaket sein. Vor dem Mini-Zuschuss für Klavierstunden und Fußballtraining steht ein typisch deutsches Antragsverfahren. Und schlimmstenfalls erhält das Kind dann einen Gutschein, den es in der Musikschule oder dem Sportverein abgeben kann. Das ist stigmatisierend. Fehlte nur noch, dass "arm" und "Hartz-IV" gleich mit aufgedruckt sind. Arm und reich, das sind die Begriffe, die unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren noch deutlicher prägen werden. Über zehn Prozent der Bevölkerung bewahren nur Transferleistungen wie das Kindergeld vor dem Absturz in die Armut. Die Zahl derer, denen der Staat unter die Arme greifen muss, weil ihr Lohn unter der Grundsicherung bleibt, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Wer wirksam gegen Kinderarmut vorgehen will, muss also auch etwas gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse der Väter und Mütter tun, etwa durch die Einführung von Mindestlöhnen. Kinder sind in mehr als einer Hinsicht die Zukunft des Landes. Die Wirtschaft braucht motivierte, qualifizierte Fachkräfte, die sich gewiss nicht aus einem "abgehängten Prekariat" rekrutieren lassen. Denn diese Kinder sind - neben den schlechten materiellen Verhältnissen - vor allem arm an Bildung, an Zuversicht und an Selbstwertgefühl.

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