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Berliner Morgenpost: Stalinistische Machtlogik
Leitartikel von Michael Backfisch

Berlin (ots)

Auch wenn die offizielle Bestätigung für den Tod von Privatarmee-Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin noch aussteht: Die Wahrscheinlichkeit, dass der russische Präsident Wladimir Putin hinter dem Flugzeug-Absturz oder -Abschuss steckt, ist sehr hoch. Es passt zum bulldozerhaften Herrschaftsanspruch des Kreml-Chefs, für den jede Infragestellung seiner Macht Verrat darstellt. Prigoschins Kritik an der russischen Kriegsführung, die sogar die Notwendigkeit der Ukraine-Invasion in Zweifel zog, war für Putin eine politische Todsünde.

Den Aufstand Prigoschins vor zwei Monaten, der für Stunden das Gespenst eines Putsches in Moskau sehr real werden ließ, fasste Putin als Kriegserklärung auf. Als der Präsident kurz danach in die Kameras sprach, sah man zum ersten Mal Unsicherheit, ja Angst in seinen Augen.

Der Tod Prigoschins exakt zwei Monate nach der Wagner-Revolte darf als zynisches Ausrufezeichen Putins interpretiert werden: Wer illoyal ist, kann sich seines Lebens nicht mehr sicher sein. Prigoschin reiht sich ein in die Kette von "Verrätern", die die kalte Rache des Kremlchefs zu spüren bekamen: Der Putin-Kritiker Alexander Litwinenko, der Oppositionspolitiker Boris Nemzow und die kremlkritische Journalistin Anna Politkowskaja wurden getötet. Im Falle des Korruptions-Enthüllers Alexej Nawalny und des Ex-Spions Sergej Skripal blieb es bei Mordversuchen. Mehr denn je bedient sich Putin eines Herrschaftssystems, das nach dem bedingungslosen Führer-Prinzip ausgerichtet ist. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn und wird liquidiert.

Wenige Wochen nach der Invasion in der Ukraine machte der Präsident klar, dass er absolute Gefolgschaft erwartet und Kritik als Feindschaft auffasst: "Jedes Volk, besonders die Menschen in Russland, kann echte Patrioten von Bastarden und Verrätern unterscheiden. Und wir werden sie einfach ausspucken wie ein Insekt, das uns versehentlich in den Mund geflogen ist", drohte Putin. Eine solche "natürliche und notwendige Säuberung der Gesellschaft" werde Russland "nur stärken". Es ist die menschenverachtende Sprache einer stalinistischen Machtlogik. Das ist Totalitarismus pur, der an die finstersten Zeiten der Geschichte des 20. Jahrhunderts erinnert.

Prigoschins Tod ist ein Signal, vor allem nach innen: Abweichende Meinungen oder Widerstand haben tödliche Konsequenzen. Dahinter stecken maximale Drohung, Einschüchterung und die Verbreitung von Angst. Prigoschin mag sich nach einem - wie sich heute herausstellt - Schein-Deal mit Putin sicher gefühlt haben. Sein vor wenigen Tagen verbreiteter Video-Clip über neue Wagner-Aktivitäten in Afrika zeugte von neuem Selbstbewusstsein des prahlerischen Haudrauf-Militärs. Gut möglich, dass er sich in Sicherheit wiegen sollte, bis das Todesurteil des Rächers im Kreml vollstreckt wurde.

So brutal und barbarisch Putin in der Endphase seiner Diktatur auftritt, so sehr zeugt sein absoluter Vernichtungswille gegenüber Andersdenkenden von Schwäche. Wer derart grob mit dem Instrumentarium der Gewalt hantiert, muss große Sorgen vor Widerstand von innen haben.

Putin macht aber mit der Causa Prigoschin auch klar, dass er seinen Zerstörungskrieg gegen die Ukraine ungezügelt weiterführen wird. Wer immer sich im Westen Illusionen über die Verhandlungsbereitschaft des Präsidenten macht, sollte sich einem Realitäts-Check unterziehen. Friedens-Apologeten wie Sahra Wagenknecht oder Richard David Precht mag man empfehlen: Aufwachen, bitte!

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