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BERLINER MORGENPOST: Knapp am Debakel vorbei
Leitartikel von Peter Zander zu den Oscars

Berlin (ots)

Der Super-GAU ist bei der Oscar-Verleihung dann doch nicht eingetreten. Auch wenn alle Prognosen und alle Wettbüros einen Sieg für den Netflix-Film "Roma" vorhergesagt hatten und auch wenn man meinte, dass bei der Nennung dieses Kandidaten der Jubel im Saal am größten war: Den Hauptpreis als Bester Film strich mit "Green Book" doch ein anderer ein. Wir wollen nichts Böses gegen diesen Film sagen. Aber es war doch klar eine Verlegenheitslösung. Wie damals bei "Brokeback Mountain". Der hatte auch alle wichtigen Trophäen der Welt gewonnen, und dann kniff Hollywoods Film-Akademie am Ende davor, einem Schwulenfilm den Hauptpreis zu geben. Was Minderheiten anbelangt, ist Hollywood in den letzten Jahren offener und diverser geworden. Diesmal aber ging es um das Reizthema Netflix. Und das ist längst zur Gretchenfrage der ganzen Filmbranche geworden: wie mit einem solchen Streamingdienst umgehen? Netflix macht nicht nur dem Fernsehen, sondern auch dem Kino knallhart Konkurrenz - und schöpft zugleich Filmfördermittel ab, ohne die klassische Kinoauswertung einzuhalten. Auf der anderen Seite wird die Filmbranche immer wageunmutiger, produziert nur noch superteure Comicfilme. Und immer mehr renommierte Filmemacher wechseln zu Netflix, weil sie sonst persönliche Herzensprojekte nicht mehr realisieren können. Die Filmindustrie muss da dringend umdenken - und dass ein mexikanischer, schwarz-weißer, überlanger Film ohne Stars wie "Roma" mit zehn Nominierungen einer der beiden Favoriten der Oscar-Nacht wird, war da ein klares Signal. Aber den Hauptpreis wollten die über 5000 Stimmberechtigten der Academy dann doch nicht dem direkten Konkurrenten in den Rachen werfen. Hätte ein Netflix-Film das erste Mal den wichtigsten Oscar gewonnen, hätte das eine Grundsatzdebatte befeuert, die zwar nach wie vor unbedingt geführt werden muss, aber jetzt zumindest nicht mit der Dringlichkeit, dass sich die ganze Branche dem Rivalen an die Brust wirft. Auch sonst schien diese 91. Oscar-Verleihung seltsam weichgespült. Den Vorwurf, dass der Oscar zu weiß sei, hat man in diesem Jahr so stark entkräften können, dass man nun fast wieder fragen muss, ob da nicht politisch zu überkorrekt gehandelt wurde. Am Ende gingen so ziemlich alle Nebenpreise an "Black Panther", den ersten schwarzen XL-Blockbuster, weitere wichtige Oscars aber an "Green Book", der sehr sentimental von der Freundschaft eines Weißen zu einem Schwarzen handelt, aber doch das Werk eines weißen Regisseurs ist. Während Spike Lee für seine bittere Satire "BlacKkKlansman" zwar wiederholt im Saal gefeiert wurde, aber "nur" den Drehbuchpreis entgegennehmen konnte. "Green Book" war da doch versöhnlicher. Typisch Hollywood. Die gute Nachricht immerhin: Die Filmbranche hat sich ausgesöhnt. Die OscarSoWhite- und die MeToo-Debatte haben Hollywood nachhaltig verunsichert. Die Familie ist seither mit Ansage größer und bunter geworden und hat zu sich gefunden. Nach außen stärker aufzutreten und auch ein paar politische Seitenhiebe auszuteilen, das blieb aber aus - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Offenbar mag man es sich nicht gleich wieder mit allen verscherzen. Bleibt noch die Zeremonie selbst. Erstmals seit 20 Jahren ging die Verleihung ohne Moderatorin oder Moderator über die Bühne. Auch das ließ manch klaren Ton vermissen. Es hat die Show aber auch ziemlich unlustig und langweilig gemacht. Selten konnte man so klar erkennen, dass der Oscar nichts anderes ist als eine einzige riesige Werbekampagne für Hollywood. Unterbrochen lediglich von Werbeclips für andere Produkte.

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