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Börsen-Zeitung: Essers Millionen und die Folgen, Leitartikel von Bernd Wittkowski zur bevorstehenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs über das Revisionsbegehren der Staatsanwaltschaft im „Mannesmann-Verfahren“

Frankfurt (ots)

Percy Barnevik und Göran Lindahl sind fein raus.
Die ehemaligen Chefs von ABB mussten zwar auf reichlich die Hälfte
der für sich ausgehandelten Altersbezüge von 148 Mill. bzw. 85 Mill.
sfr verzichten. Strafrechtlich aber sind die einstigen Topmanager
unbescholtene Leute. Die Wirtschaftsstaatsanwaltschaft des Kantons
Zürich stellte das Verfahren im Oktober ein. In über dreijährigen
Ermittlungen hatte sie nämlich festgestellt, dass das eidgenössische
Recht, sofern ein paar formale Mindestanforderungen beachtet wurden,
keine Handhabe zur Ahndung von Vergütungsexzessen bietet. Wobei die
Frage, was eine maßlose Übertreibung ist, natürlich subjektiver
Beurteilung unterliegt.
Der Schweizer Josef Ackermann hat mit großem Interesse zur
Kenntnis genommen, wie es den beiden Schweden ergangen ist. Denn dem
Vorstandssprecher der Deutschen Bank und seinen fünf Mitangeklagten
im Mannesmann-Verfahren, die freilich mit dem sich seit Jahren
hinziehenden Prozess ohnehin schon „bestraft“ sind, könnte
möglicherweise ein weniger angenehmes Ende drohen. Am Mittwoch
entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) über das Revisionsbegehren
der Staatsanwaltschaft.
Ackermann war als Mitglied des Aufsichtsratspräsidiums von
Mannesmann an der Beschlussfassung über – aus Sicht der Ankläger –
ungerechtfertigte Anerkennungsprämien und Pensionsabfindungen für
frühere Manager des Düsseldorfer Mobilfunkunternehmens beteiligt. Er,
der zweifelsfrei nicht zum eigenen Vorteil gehandelt hat, ist zwar
nicht der Hauptangeklagte. Doch er ist aufgrund seiner Position an
der Spitze von Deutschlands führendem Kreditinstitut der
Hauptbetroffene.
Das persönliche Schicksal der seinerzeit mit Millionenprämien
begünstigten Klaus Esser und Joachim Funk, einst Chef bzw.
Aufsichtsratsvorsitzender von Mannesmann, oder des vormaligen
Gewerkschaftsführers Klaus Zwickel, der als Arbeitnehmervertreter
involviert war, interessiert heute außer ihrem unmittelbaren Umfeld
vielleicht noch den Boulevard. Aber von wem und wie die deutsche
Vorzeigebank – an dieser Bewertung hat die Formschwäche der
vergangenen Tage nichts geändert – geführt wird, das bleibt auch nach
der weit fortgeschrittenen Abwicklung der Deutschland AG eine Frage
von hoher Relevanz für den ganzen Wirtschaftsstandort.
Übergeordnete Bedeutung hat die Causa Mannesmann indes nicht
allein wegen des Promi auf der Anklagebank. Denn jenseits der
hochkomplexen, selbst in der Rechtswissenschaft heftigst umstrittenen
Frage, ob im konkreten Fall allzu großzügig gegeben und genommen
wurde und inwieweit dieser Sachverhalt überhaupt mit strafrechtlichen
Instrumenten greifbar ist, steht in Karlsruhe ein Teil der
unternehmerischen Freiheit auf dem Prüfstand. Und dabei geht es
keineswegs nur um die Freiheit der oberen zehntausend, die in der
deutschen Neidgesellschaft sowieso unter dem Generalverdacht der
Selbstbedienung stehen.
Man muss den Angeklagten Esser nicht mögen, der vor Gericht die
Chuzpe hatte, sich mit „Hunderttausenden“ Arbeitnehmern zu
vergleichen, die ebenfalls Ermessensboni erhielten. Aber richtig ist:
Wenn die Millionenzahlungen, die im Zuge der Mannesmann- Übernahme
durch Vodafone an Esser, Funk & Co. flossen, eine bewusste Schädigung
des Gesellschaftsvermögens waren, wie verhält es sich dann mit der
Belohnung, die einfachen Mitarbeitern für besondere Leistungen oder
außergewöhnliches Engagement nachträglich und außertariflich gewährt
wird – schwere Untreue? Wer entscheidet künftig, welche nicht bis ins
kleinste Detail vorab geregelte Entlohnung noch angemessen und damit
erlaubt ist – die Kriminalpolizei? Wer bestimmt nach dem 21.
Dezember, inwieweit Unternehmen, Manager und Aufsichtsräte in
Vergütungsfragen Ermessensspielräume haben – die Strafjustiz? Bei
allem Respekt: Dort ist das Thema nicht gut aufgehoben.
Dem 3. Strafsenat des BGH fehlt es diesbezüglich nicht an
Problembewusstsein, wie die mündliche Verhandlung offenbarte.
Andererseits wurde aber auch klar, dass es kein grenzenloses Ermessen
gibt. Doch gemach: Der Versuch, aus Anmerkungen, Fragestellungen, gar
aus Mimik und Gestik der Richter auf ihr Urteil schließen zu wollen,
ist ein untauglicher. Vom völligen Verwerfen der Revision gegen die
Freisprüche des Düsseldorfer Landgerichts bis zur kompletten
Zurückverweisung an die Vorinstanz ist alles möglich, und innerhalb
dieser breiten Spanne gibt es eine Vielzahl von Optionen. Verurteilt
wären Ackermann et alii zunächst ja selbst dann nicht, wenn für sie
der „Worst Case“ – Aufhebung der Freisprüche – einträte. Allerdings:
Es ginge von vorne los.
Was sie, gerade auch an persönlichen Belastungen durch eine
eventuelle neue Verhandlung, zu erwarten und welche Schlüsse sie
daraus möglicherweise zu ziehen hätten, wird in hohem Maße von den
Details der BGH-Entscheidung und nicht zuletzt von der Wortwahl des
Gerichts abhängen. Eines allerdings steht schon vor der Verkündung
fest: Über Anstand urteilen die „Roten Roben“ ebenso wenig wie die
Staatsanwälte in Zürich. Denn moralische Defizite lassen sich nicht
mit strafrechtlichen Mitteln ahnden. Womöglich wird diese Erkenntnis
am Mittwoch namentlich für Esser und Funk zum vorgezogenen
Weihnachtsgeschenk.
(Börsen-Zeitung, 17.12.2005)

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