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Deutsche Umwelthilfe e.V.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof wirft Staatsregierung gezielte Missachtung des Gerichts vor und legt EuGH Frage der Zulässigkeit einer Zwangshaft für Ministerpräsident Söder u.a. Amtsträger vor

Berlin (ots)

Bayerische Staatsregierung weigert sich ein von der Deutschen Umwelthilfe erstrittenes und bereits seit 2014 rechtskräftiges Urteil für "Saubere Luft" umzusetzen - Bayerischer Verwaltungsgerichtshof sieht den Fortbestand des Rechtsstaats in Gefahr - Europäischer Gerichtshof klärt nun, ob Zwangshaft gegen hochrangige Politiker anzuwenden ist - Beschluss ist einzigartig in der deutschen Rechtsgeschichte - Kanzlerin Merkel und Justizministerin Barley sind aufgefordert, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, die Bayerische Staatsregierung zur Anerkennung rechtskräftiger Urteile zu bewegen

Im Zwangsvollstreckungsverfahren der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen die Bayerische Staatsregierung (AZ: 22 C 18.1718) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) durch einen am 20. November 2018 bekanntgegebenen Beschluss vom 9. November 2018 entschieden, die Frage der Zulässigkeit einer Zwangshaft gegenüber den für den Luftreinhalteplan München verantwortlichen Amtsträgern dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen. Grund ist die Weigerung der Bayerischen Staatsregierung, das bereits seit 2014 rechtskräftige Urteil für "Saubere Luft" in München umzusetzen und Diesel-Fahrverbote in den Luftreinhalteplan aufzunehmen.

Der BayVGH wirft der Staatsregierung und seinem Ministerpräsidenten Markus Söder evidente Amtspflichtverletzungen, eine gezielte Missachtung des Gerichts sowie die Bedrohung des Fortbestands des Rechtsstaats vor. Diesen Vorwurf begründet das Gericht ausführlich und zutreffend. Insbesondere verwirft das Gericht das Argument des Freistaats, er habe nur bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten ausgenutzt. Dazu stellt der BayVGH fest, dass sich der Freistaat der Erkenntnis verweigert, dass alle Entscheidungen abschließend sind und seit langem keine Rechtsmittel mehr bestehen (Beschluss, Rn. 63).

Der Verwaltungsgerichtshof, als das für diese Fragen letztinstanzliche Gericht, stellt ebenfalls fest, dass man zu Fragen der Notwendigkeit von Diesel-Fahrverboten zwar eine andere Meinung haben könne, die Pflicht zur Einführung solcher Fahrverbote in München hingegen feststehe (Beschluss, Rn. 67). Das Gericht widerlegt überdies die Auffassung der Landesregierung, nach der die Luftqualität in den letzten Jahren grundlegend besser geworden sei. Dies ist vielmehr nicht festzustellen, so das Gericht, teilweise im Gegenteil (Beschluss, Rn. 88). Die Haltung der Landesregierung zeige ein für den Fortbestand des Rechtsstaats bedrohliches Rechts- und Politikverständnis, bei dem man nicht erst in anderen Mitgliedstaaten der EU suchen muss, um den Rechtsstaat in Gefahr zu sehen (Beschluss, Rn. 120).

Nach der Rechtsauffassung des BayVGH ist im nationalen Recht nicht mit abschließender Klarheit geregelt, ob in einer solchen Situation auch zum Mittel der Zwangshaft gegriffen werden dürfe. Diese Klarheit könnte sich aber dadurch ergeben, dass das Recht der Europäischen Union dazu verpflichte, im Zweifel zur Anwendung dieses Mittels zu greifen, wenn sich andernfalls das Unionsrecht nicht effektiv durchsetzen ließe.

Wird die Zwangshaft vom EuGH als anwendbar bewertet, kündigt der BayVGH in seinem Beschluss an, die Haft gegenüber dem Ministerpräsidenten, dem Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz, dem Präsidenten der Regierung von Oberbayern, dem Regierungsvizepräsidenten, dem Leiter der Abteilung der Regierung von Oberbayern sowie allen Mitarbeitern in der Regierung von Oberbayern, die für die Aufstellung des Plans verantwortlich sind, anzuordnen. Abschließend würde darüber in der Haftanordnung nach Entscheidung des EuGH entschieden.

Den Beschluss kommentiert Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: "Wir erleben derzeit, wie sich Gerichte in Deutschland gegen die Umwandlung unseres Staates in eine von Industriekonzernen gesteuerte Bananenrepublik wehren und für den Fortbestand von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpfen. Dass das höchste bayerische Verwaltungsgericht die Anordnung von Zwangshaft gegen den bayerischen Ministerpräsidenten und seinen Umweltminister für notwendig hält und den Europäischen Gerichtshof um Bestätigung dieser Rechtsauffassung bittet, zeigt ein Staatsversagen. Die Weigerung der bayerischen Regierung, ein von der DUH erstrittenes, rechtskräftiges Urteil für die 'Saubere Luft' in München umzusetzen, ist ein Frontalangriff auf die Demokratie. Zur Profitsteigerung der Dieselkonzerne gefährdet Ministerpräsident Söder ebenso wie sein Vorgänger Horst Seehofer die Gesundheit tausender Münchenerinnen und Münchner, die ein Recht auf saubere Luft haben."

Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Verfahren vertritt, ergänzt: "Der Beschluss ist einzigartig in der deutschen Rechtsgeschichte. Und er ist eine Blamage für Deutschland. Wenn Deutschland in den aktuell gegen andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union geführten Rechtsstaatsverfahren noch eine glaubwürdige Position einnehmen möchte, darf der Vorlagebeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht folgenlos bleiben. Im Grunde sagt er doch, dass das nationale Recht nicht zur Vollstreckung gerichtlicher Urteile taugt. Die Existenz einer solchen Rechtsordnung ist aber Beitrittsvoraussetzung für die Europäische Union. Bundeskanzlerin Merkel und Justizministerin Katarina Barley müssen eine Klarstellung des Verwaltungsvollstreckungsrechts auf den Weg bringen. Denn die ehrenhaften Zeiten, in denen sich Behörden quasi von selbst an Gerichtsurteile hielten, sind offenbar vorbei."

Das Gericht regt gegenüber dem EuGH eine vorrangige Behandlung der Sache an, eine Entscheidung darüber liegt bei dem Präsidenten des EuGH. Folgt dieser der Anregung, ist mit einer Entscheidung innerhalb von drei bis sechs Monaten zu rechnen, so die Einschätzung von Rechtsanwalt Klinger.

Hintergrund:

Die DUH legte am 29. Februar 2012 Klage gegen den Freistaat wegen Überschreitung des NO2-Grenzwertes ein. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2012 wurde der Freistaat Bayern antragsmäßig verurteilt, das Urteil ist seit 2014 rechtskräftig. Mit der 6. Fortschreibung des Plans werden die Grenzwerte für NO2 im Jahresmittel erst nach 2030 eingehalten werden können. Da trotz anhaltender Luftverschmutzung keine kurzfristig wirksamen Maßnahmen für eine schnellstmögliche Grenzwerteinhaltung ergriffen werden, hat die DUH das Zwangsvollstreckungsverfahren eingeleitet. Nachdem bereits mehrere Zwangsgelder verhängt wurden, ist die Zwangshaft die verwaltungsrechtlich nächste Konsequenz.

Links:

Beschluss BayVGH vom 9. November 2018: http://l.duh.de/p181121

Hintergrundpapier "Klagen für saubere Luft": https://www.duh.de/abgasalarm/

Pressekontakt:

Kontakt:

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer
0171 3649170, resch@duh.de

Prof. Dr. Remo Klinger, Rechtsanwalt, Geulen & Klinger Rechtsanwälte
030 8847280, 0171 2435458, klinger@geulen.com

DUH-Pressestelle:

Andrea Kuper, Ann-Kathrin Marggraf
030 2400867-20, presse@duh.de

www.duh.de, www.twitter.com/umwelthilfe, www.facebook.com/umwelthilfe

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