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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel "Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg) zum Streit über Flüchtlinge in Europa

Regensburg (ots)

Tausende Flüchtlinge haben das Wagnis auf sich genommen: Sie legen ihr Schicksal in die Hand skrupelloser Schlepper, erkaufen sich einen Platz in einer Nussschale und machen sich auf den Weg nach Europa. Eine Reise, die viele nicht überleben. Diese Menschen träumen von Freiheit und Demokratie, von Arbeit, einem guten Leben. Dass die EU ihnen Menschlichkeit versagt, ist eine Schande und ein beunruhigendes Signal: Ein Europa, das die Mauern hochzieht, verrät seine Werte - und verliert so seine Glaubwürdigkeit. Mit Hubschraubern, Wärmebildkameras und Satellitentechnik hält die Grenzschutzagentur Frontex den EU-Staaten die Flüchtlinge vom Hals. Die EU behandelt Menschen, die vor Gewalt, Verfolgung und traumatischen Erlebnissen fliehen, wie Terroristen. Schon vor den Umwälzungen in der arabischen Welt hatte die EU-Außenpolitik versagt. Europas Staaten sind mit den Despoten bisher nicht schlecht gefahren: Mit Gaddafi machten europäische Länder wie Deutschland und Frankreich millionenschwere Waffengeschäfte. Tunesien unter Ben Ali und Ägypten unter Mubarak sah man in der EU als Bollwerk gegen islamistische Terroristen. Dass die Despoten, die man hofierte, den Menschen in ihren Ländern Demokratie und Mitbestimmung verweigert hatten, übersah die EU geflissentlich. In der Frage um die Flüchtlinge offenbart sich, wie uneins die Staatengemeinschaft ist, wenn es um nationale Interessen geht. Italiens angezähltem Präsidenten Berlusconi ist jedes Mittel recht, um von seinen Skandalen abzulenken. Seine Regierung hält es nicht für notwendig, die Flüchtlinge auf Lampedusa menschenwürdig zu versorgen, wie Hilfsorganisationen berichten. Diejenigen, die es ans Festland schaffen, müssen in überfüllten Camps unter furchtbaren hygienischen Umständen leben - ein faires Asylverfahren ist derzeit fraglich. Auch die anderen EU-Staaten schotten sich ab. Frankreichs Präsident Sarkozy schielt auf die Wähler der rechtspopulistischen Front National. Nicht, dass ein paar Tausend Flüchtlinge für Frankreich nicht zu verkraften wären. Doch deren Aufnahme wäre ein willkommener Anlass für FN-Frontfrau Marine Le Pen, Sarkozy im rechtskonservativen Lager schlecht dastehen zu lassen. Die deutsche Bundesregierung blockiert eine solidarische Regelung innerhalb der EU, obwohl die Zahl der Asylbewerber in Deutschland in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen ist. Und CSU-Politiker forderten sogar Grenzkontrollen. Die konservativen Regierungen benutzen die EU für egoistische Ziele. Dieses Verhalten konterkariert den Anspruch der Europäer, freie, offene Gesellschaften zu sein. Das Flüchtlingsproblem offenbart die Sollbruchstellen einer Gemeinschaft, die mehr sein will als ein Wirtschaftsverbund. Wenn es darum geht, Verfolgten Zuflucht zu gewähren, sind die Ideale von Humanismus, Aufklärung und Französischer Revolution nicht mehr als Lippenbekenntnisse. Während die Europäer von China Menschenrechte fordern, verlieren diese auf dem eigenen Kontinent an Bedeutung. Freiheit, Demokratie, Toleranz und Achtung von Menschenrechten sind die Pfeiler des europäischen Selbstverständnisses. Diese Werte wurden zuletzt anderswo erkämpft: Zum Beispiel von den mutigen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, die sich für diese Ideale von den Anhängern des Regimes prügeln ließen. Mit ihrer Nabelschau und verweigerter Solidarität gegenüber verzweifelten Flüchtlingen laufen die Europäer Gefahr, eine historische Chance zu verpassen: Wenn arabische Despoten gestürzt werden und sich die Reformkräfte durchsetzen, dann müsste Europa für die zukünftigen Regierungen ein Partner sein, der seine Glaubwürdigkeit in schwieriger Zeit behalten hat.

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