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EKD - Evangelische Kirche in Deutschland

Evangelische Kirche trifft Papst Benedikt XVI. in Erfurt/ Zeit für eine "Ökumene der Gaben" - Ökumenischer Gottesdienst in der Augustinerkirche

Hannover (ots)

Eine Delegation der evangelischen Kirche unter Leitung des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, ist am heutigen Freitag zu einem Gespräch mit Papst Benedikt XVI. und seiner Delegation im Augustinerkloster zu Erfurt zusammengekommen. Im Anschluss an das Gespräch wurde ein ökumenischer Wortgottesdienst in der Augustinerkirche gefeiert.

Bei der Begegnung der 20-köpfigen evangelischen Delegation mit dem Papst im Kapitelsaal des Augustinerklosters verlieh der Ratsvorsitzende Schneider seiner Freude darüber Ausdruck, dass der Papst die Einladung in das Augustinerkloster angenommen habe, jenem Kloster also, in dem Martin Luther im Jahre 1505 in den Augustiner-Eremitenorden aufgenommen worden sei. Nach einer kurzen Begrüßung durch die Landesbischöfin Ilse Junkermann erinnerte der Ratsvorsitzende in seiner Ansprache daran, die "getrennt gewachsenen Traditionen" in den Konfessionen "nicht als Defizite", sondern als "gemeinsame Gaben" zu verstehen. In Fortentwicklung einer "Ökumene der Profile" sei es nun an der Zeit für eine "Ökumene der Gaben", in der "der große Fortschritt" gefeiert werde, dass wir als getrennte Kirchen "freundschaftlich verschieden" sind.

So würden die beiden Konfessionen das Sakrament der Taufe wechselseitig anerkennen. "Menschen in die Kirche als dem Leib Christi einzugliedern, trauen wir einander zu und vertrauen wir einander an. Darauf können wir bauen und weitere konkrete Schritte zu mehr Gemeinsamkeit wagen", so der Ratsvorsitzende wörtlich.

Schneider erinnerte daran, dass sich die Kirchen der Reformation als "Kirche der Freiheit" verstünden. Damit sei keine "unverbindliche Beliebigkeit" gemeint, sondern eine Freiheit, die sich im "Ja" zu Jesus Christus gründe und allein im Zusammenspiel von Freiheit und Bindung wahre Freiheit werde. Diese augustinisch gegründete Theologie der Reformation, so Schneider, sei "die besondere Gabe der Kirchen der Reformation in einer weltweiten Christenheit".

Schließlich warb der Ratsvorsitzende in seiner Ansprache dafür, "von 2000 Jahren gemeinsamer Kirchengeschichte zu sprechen", denn auch nach 1517 seien beide Konfessionen als "Westliche Kirchen" in besonderer Weise aufeinander bezogen gewesen - "im Guten und im Bösen, in heilsamem Wirken miteinander, aber auch in tödlicher Feindschaft gegeneinander". Deshalb sei es, so Schneider, im Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum 2017 an der Zeit, Erinnerungen an die "gegenseitigen Verletzungen in der Reformationszeit" und der ihr folgenden Geschichte beider Kirchen "zu heilen und konkrete Wege der Aussöhnung" zu gehen.

Abschließend lud der Ratsvorsitzende den Papst als "Bruder in Christus" ein, den 31. Oktober 2017 als ein "Fest des Christusbekenntnisses" zu verstehen und "mit den Kirchen der Reformation" zu feiern, auf dass alle in ökumenischer Verbundenheit Christus bezeugten, "damit die Welt glaube" (Johannesevangelium Kapitel 17, Vers 21).

Im anschließenden ökumenischen Wortgottesdienst begrüßte die Präses der Synode der EKD, Katrin Göring-Eckardt, Papst Benedikt XVI. mit einer geistlichen Meditation. In ihren Ausführungen erinnerte sie dabei an Martin Luthers Satz: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan." Er sei auch für die Christinnen und Christen in der DDR ein "kämpferisches, ein stärkendes Wort" gewesen. Aus der Geschichte habe man lernen können: "Wenn man Mauern zu lange bewacht, Mauern aus Stein und Mauern aus Schweigen, dann brechen sie von innen auf, weil die Menschen von der Freiheit wissen."

Ausgehend von der Tageslosung des 23. Septembers aus dem Buch Jesaja (Kapitel 26, Vers 9: "Von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja, mit meinem Geist suche ich dich am Morgen") erinnerte Göring-Eckardt an die Gottsuche vieler Menschen heute, die heimatlos geworden sind: "Heimatlos auf der Flucht vor Hunger, vor Krieg, vor Umweltzerstörung; heimatlos auch durch Gewalt an Körper und Seele, heimatlos in Enge und in Verzweiflung. Dagegen gelte es zu erinnern: "In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen' heißt es im Johannesevangelium (Kapitel 14, Vers 2), und dieses Haus, in dem wir wohnen, in das wir kommen können, egal wie wir heißen oder sind, hat auch immer noch Zimmer frei für die, die suchen und bei uns Heimat finden." Dies gelte für alle Menschen, betonte Göring-Eckardt. "Gott sieht uns alle mit der gleichen und nur ihm eigenen großen Liebe an."

Im Blick auf den gemeinsamen Gottesdienst sagte die Präses abschließend: "Wer auf uns schaut, soll spüren, dass wir in allem wissen von Gottes Liebe, die uns nicht drängt, sondern trägt, die sich manchmal verbirgt und dann wieder leuchtet mit aller Kraft."

Erfurt/Hannover, 23. September 2011

Pressestelle der EKD

Reinhard Mawick

Es folgen die

   -	Ansprache des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, am 23. September 2011 
im Kapitelsaal des Augustinerklosters zu Erfurt -	Begrüßung und 
Geistliches Wort von Frau Präses Katrin Göring-Eckardt im Rahmen der 
Ökumenischen Feier in der Augustinerkirche in Erfurt am 23.09.2011 -	
Ansprache der Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in 
Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, am 23. September 2011 im 
Kapitelsaal des Augustinerklosters zu Erfurt

Es gilt das gesprochene Wort! Achtung! Sperrfrist: Freitag, 23. September 2011, 11.45 Uhr

Ansprache

des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, am 23. September 2011 im Kapitelsaal des Augustinerklosters zu Erfurt

Von Herzen freue ich mich darüber, dass Sie, Eure Heiligkeit, lieber Bruder in Christus, unsere Einladung nach Erfurt angenommen haben. Sehr gerne begrüße ich Sie und Ihre Delegation sowie die Geschwister aus den reformatorischen Kirchen heute in dem Raum, in dem Martin Luther in den Orden der Augustiner-Eremiten aufgenommen wurde. Das Augustinerkloster in Erfurt prägt unsere Begegnung.

Christinnen und Christen unserer beiden Kirchen leben in dieser Stadt in der Diaspora. Ihr Zusammenleben und ihr gemeinsames Zeugnis werden von dem Wissen und der Erfahrung gestärkt, dass uns viel mehr verbindet als trennt. Zu den gemeinsamen Gaben gehört unser Verständnis der Heiligen Schrift als 'Wort des lebendigen Gottes'. Sie leitet unsere Kirchen dazu an, Gott als den Schöpfer und Herrn der Welt 'zu fürchten und zu lieben' und ein dem Leben zuträgliches Maß menschlicher Lebensentfaltung zu finden.

In der Heiligen Schrift ermutigt uns im Epheserbrief die Bitte, "... dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid." Damit auch die daraus folgende Verheißung wahr wird: "So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle." (Eph. 3,17f)

Im Vertrauen auf dieses Gebet beschreiten wir unseren ökumenischen Weg. Daraus gewinnt das Ringen um ökumenische Gemeinschaft Zuversicht und unser Christuszeugnis seine überzeugende Kraft.

Denn gerade in der Diaspora stärkt ökumenische Gemeinschaft uns in unserem Auftrag, 'Botschafter und Botschafterinnen an Christi statt zu sein'; weil wir gemeinsam einladen: "Lasst euch versöhnen mit Gott" (2. Kor. 5, 20).

Das Vertrauen auf das Wirken dieser Fürbitte hält die Hoffnung lebendig, unseren "Eigen-Sinn" überwinden zu können und getrennt gewachsene Traditionen als gemeinsame Gaben zu verstehen. Danach sehnen sich viele Menschen in allen Regionen Deutschlands - vor allem die Gläubigen, die in konfessionsverbindenden Ehen und Familien leben. Für uns alle wäre es ein Segen, ihnen in absehbarer Zeit eine von Einschränkungen freiere eucharistische Gemeinschaft zu ermöglichen.

Der Geist Gottes hat uns dahin geleitet und der nüchterne Blick auf unsere Geschichte hat uns dahin geführt, dass wir die Feindschaft gegeneinander überwunden haben. Unseren Glauben leben wir in vielerlei Gestalt schon jetzt gemeinsam.

Das ist ein großer Fortschritt! In getrennten Kirchen sind wir freundschaftlich verschieden - dafür sind wir dankbar.

Aber damit können wir nicht zufrieden sein - nicht im Blick auf Christi Gebet um die 'Einheit in seiner Nachfolge, damit die Welt glaube' (vgl. Joh. 17,21) und auch nicht im Blick auf die großen gemeinsamen Herausforderungen angesichts von Gott-Vergessenheit, Orientierungslosigkeit und Verunsicherung.

Deswegen ist es an der Zeit für eine "Ökumene der Gaben", in der unsere Charismen sich ergänzen und einander erhellen.

Über unsere Erkenntnisfähigkeit sagt der Apostel Paulus: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild;" (1. Kor. 13,12). Es entspricht dem Realismus dieser Aussage, dass wir einander ergänzen müssen, um das Bild aufzuhellen. Sie, lieber Bruder in Christus, haben wesentlich Anteil daran, dass dies in der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre gelungen ist. Auch der "Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen" trägt dazu bei, dass unsere Stimmen in versöhnter Verschiedenheit zusammenklingen und nun praktische Früchte tragen können.

Im Zusammenklang unserer je besonderen Gaben mag es gelingen, so von Gott zu reden, dass Menschen in ihm eine Adresse für ihre Sehnsüchte, Fragen und Ratlosigkeiten wie auch für ihre vermeintlichen Sicherheiten wahrnehmen.

Wir erkennen das Sakrament der Taufe wechselseitig an. Menschen in die Kirche als dem Leib Christi einzugliedern, trauen wir einander zu und vertrauen wir einander an. Darauf können wir bauen und weitere konkrete Schritte zu mehr Gemeinsamkeit wagen.

Die Kirchen der Reformation verstehen sich als "Kirche der Freiheit". Damit meinen wir eine Freiheit, die sich im "Ja" zu Jesus Christus gründet - nicht eine unverbindliche Beliebigkeit. Denn wir haben von den Reformatoren und im Grunde vom Kirchenvater Augustinus gelernt, dass nur die Freiheit, die im Zusammenspiel von Freiheit und Bindung begriffen wird, wahre Freiheit ist.

Diese augustinisch gegründete Theologie der Reformation ist unsere besondere Gabe in einer weltweiten Christenheit.

Wenn Ihre Diagnose zutrifft, dass von der spätmittelalterlichen Theologie des vereinzelten, tief über Gott und Welt verunsicherten Menschen Linien in die Moderne führen, dann gilt doch auch, dass das theologische Konzept Luthers und der Reformatoren, sich von Gott Gewissheit angesichts aller solcher Verunsicherung schenken zu lassen, so aktuell ist wie nie. Das gilt für die evangelischen Kirchen. Aber gilt das nicht auch für unsere römisch-katholische Schwesterkirche und für die ganze anders- und nichtglaubende, aber ebenfalls zutiefst verunsicherte Welt - gerade in dieser äußerst krisenhaften Zeit?

Lieber Bruder in Christus, die Steine können es bezeugen: Martin Luther wurde an diesem Ort Augustiner-Eremit. Im Dom wurde er zum Priester geweiht, in der Klosterkirche las er seine Primiz, die erste Messe.

Verbindet ihn nicht Wesentliches mit der römisch-katholischen Kirche, das auch bleibt? Ist der Erfurter Augustinermönch Martin Luther nicht auch als ein Scharnier zwischen unseren Kirchen zu verstehen, weil er zu beiden Kirchen gehört?

Die Reformatoren haben die Reformation als Umkehr der Kirche zu Christus verstanden. Reformation als Umkehr zu Christus ist uns Christenmenschen, allen kirchlichen Amtsträgern und Amtsträgerinnen und doch auch den Institutionen täglich aufgetragen!

Ich werbe dafür, von 2000 Jahren gemeinsamer Kirchengeschichte zu sprechen, und nicht allein von 1500 Jahren. Auch nach 1517 blieben wir als "Westliche Kirchen" in besonderer Weise aufeinander bezogen - im Guten und im Bösen, in heilsamem Wirken miteinander, aber auch in tödlicher Feindschaft gegeneinander.

Es ist meines Erachtens an der Zeit, im Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum 2017 die Erinnerungen an die gegenseitigen Verletzungen in der Reformationszeit und der ihr folgenden Geschichte unserer Kirchen zu heilen und konkrete Wege der Aussöhnung zu gehen. Dazu möchte ich Sie gerne einladen.

Der Geist triumphalistischer Großspurigkeit wird das Reformationsjubiläum nicht prägen. Vielmehr laden wir alle Christenmenschen ein, sich gemeinsam mit uns darüber zu freuen, dass Gott der ganzen Kirche eine starke Theologie der Gewissheit in Zeiten höchster Verunsicherung geschenkt und für die ganze Christenheit in den letzten fünfhundert Jahren lebendig gehalten hat.

Daher möchte ich Sie, lieber Bruder in Christus, bitten, den 31. Oktober 2017 als ein Fest des Christusbekenntnisses zu verstehen und mit den Kirchen der Reformation zu feiern, so dass wir alle in ökumenischer Verbundenheit Christus bezeugen, "damit die Welt glaube".

Ich freue mich auf den Gottesdienst, den wir gleich gemeinsam feiern werden. Gott segne Sie und unsere ökumenische Gemeinschaft.

Deutsche Originalfassung / English Translation / Traduzione italiana: www.ekd.de/texte-erfurt-2011

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Begrüßung und Geistliches Wort

von Frau Präses Katrin Göring-Eckardt im Rahmen der Ökumenischen Feier in der Augustinerkirche in Erfurt am 23.09.2011

"Von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja mit meinem Geist suche ich dich am Morgen." (Jesaja 26,9)

Mit diesem Jesajawort, das die Herrnhuter Brüdergemeine für diesen Tag gelost hat , grüße ich Sie, grüße ich Euch, liebe Schwestern und Brüder, zu unserem Gottesdienst. Ich grüße von Herzen unseren Bruder in Christus, Papst Benedikt XVI. Wir sind dankbar, dass Sie mit uns beten, singen und auf Gottes Wort hören wollen und dass Sie predigen. Ich grüße unseren Bruder Nikolaus Schneider, den Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland; Sie beide leiten diesen Gottesdienst gemeinsam!

Sehr froh bin ich, dass wir mindestens ein Ehepaar unter uns haben, welches die Verbundenheit der Konfessionen in der Familie lebt. Herr Bundespräsident, liebe Frau Wulff. Wie schön, dass Sie beide da sind und mit den evangelischen und römisch-katholischen Christinnen und Christen aus den Gemeinden diesen Gottesdienst feiern. Ein herzliches Willkommen den Schülerinnen und Schülern der katholischen Edith-Stein-Schule und des evangelischen Ratsgymnasiums hier aus Erfurt. Sie bringen die Zukunft unserer Kirchen in unsere Runde. Ich hoffe, ihr singt laut mit! Und mit uns beten und singen Christenmenschen hier im Augustinerkloster, draußen in der Stadt und zu Hause an den Fernsehgeräten. Wir alle sind Gemeinde Gottes und wir freuen uns, diesen Gottesdienst feiern zu dürfen.

"Von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja mit meinem Geist suche ich dich am Morgen."

Unser ökumenischer Gottesdienst hier ist ein großes und sehr öffentliches Ereignis. Er ist aber trotz der Scheinwerfer keine Show. Er dient nämlich etwas Anderem, etwas viel Größerem. Obgleich uns manches trennt, das Wichtigste verbindet uns: die Sehnsucht nach Gott. Denn unsere Heimat ist der Himmel. Es ist Gottes Licht, das in der Niedrigkeit scheint, im Stall von Bethlehem, das Licht, das von Kreuz und Auferstehung ausgeht.

So will ich auch die Neugierigen begrüßen, die, die uns zuschauen, vielleicht sogar mit Skepsis; die, die wenig von Gott erhoffen, die ihn kaum noch kennen und gar nicht glauben können. Seien Sie versichert, auch christliche Hoffnung ist nicht immer groß und unsere Fragen sind mitunter größer, als der Glaube fest ist. Aber hören Sie vor allem, dass Sie willkommen sind. Fröhliche Christenmenschen nämlich wollen gar nicht unter sich bleiben.

"Von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja mit meinem Geist suche ich dich am Morgen."

Nachts, wenn die Schatten länger werden, sehnen wir uns - in tobender Unruhe, in der Verwirrtheit, in der Ungewissheit - nach Gott. Und es ist Nacht in der Welt: Menschen werden heimatlos: heimatlos auf der Flucht vor Hunger, vor Krieg, vor Umweltzerstörung; heimatlos auch durch Gewalt an Körper und Seele, heimatlos in Enge und in Verzweiflung. Morgens, wenn der Tag noch voller Möglichkeiten ist, suchen wir Gott an den Kreuzwegen und Weggabelungen, wenn wir entscheiden müssen, was richtig ist und gut und dauerhaft. Wie wir leben - ohne Zerstörung; wen wir lieben - ohne Verletzung; was wir tun - ohne Anmaßung. Immer wieder wollen und sollen wir wählen. Und doch wollen wir vor allem eines: Heimat finden, angenommen sein und den Ort kennen, an dem wir bleiben können.

Beheimatet in Gottes Trost, geborgen in seiner Liebe, werden Menschen frei und unverzagt. Oder wie Sie, lieber Bruder Papst Benedikt, es formuliert haben: "ER will, dass zwischen ihm und uns das Geheimnis der Liebe entstehe, das Freiheit voraussetzt."

Der Mönch Martin Luther ist hier in diesen Mauern der Augustinerkirche zu Erfurt eingekehrt bei Gott und hat diese Liebe gesucht. Und er ist aufgebrochen, hinter sich zu lassen: Macht ohne Liebe, Glaube ohne Freiheit, Angst ohne Ausweg. Aufgebrochen, hin zu einer Freiheit, die in Gott ihre Wurzeln und in der Welt ihren Ort findet, immer wieder, durch die Jahrhunderte hindurch, bis in die jüngere Geschichte, bis heute. Luthers Satz: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan" war auch für Christinnen und Christen in der DDR ein kämpferisches, ein stärkendes Wort. Ja, wir konnten getrost wissen, dass Gott größer ist, größer als die kleinbürgerliche SED sowieso, größer als die martialische Stasi aber eben auch. Und gewiss größer als das ganze heuchlerische, unterdrückerische System, das die Menschen klein und den Glauben unsichtbar machen wollte. Und aus dieser Geschichte haben wir erneut gelernt: Wenn man Mauern zu lange bewacht, Mauern aus Stein und Mauern aus Schweigen, dann brechen sie von innen auf: weil die Menschen von der Freiheit wissen.

"Von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja mit meinem Geist suche ich dich am Morgen."

Viele Menschen suchen nach Gott mit ihrem Geist, morgens und abends, allein oder gemeinsam; und Gott sieht alle, uns alle an, mit der gleichen und nur ihm eigenen großen Liebe: ob wir nun alt sind oder jung, Mann oder Frau, so oder anders gläubig, heiter oder bedrückt, egal, wen wir lieben und mit wem wir das Leben teilen. Denn "in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen", heißt es im Johannesevangelium (14, 2), und dieses Haus, in dem wir wohnen, in das wir kommen können, egal wie wir heißen oder sind, hat auch immer noch Zimmer frei für die, die suchen und bei uns Heimat finden. Wir haben ein Fundament, das Wort Gottes, und wir haben einen gemeinsamen Grund, die Heilige Taufe. Und, ja, zum richtigen Zeitpunkt werden wir am hellsten und besten Ort des Hauses gemeinsam und füreinander den Tisch decken, an den ER uns einlädt, von dem wir gemeinsam essen und trinken, was Jesus an seinem letzten Abend teilte. Nicht, weil wir es müssen, sondern weil wir es können und weil wir es wollen.

Ich bin Ihnen, lieber Bruder Papst Benedikt, dankbar, dass Sie Station machen hier mit uns, auf dem Weg, den Gott uns schenkt, denn auch die Ökumene ist zuallererst Gottes Geschenk an uns.

"Von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts und mit meinem Geist suche ich dich am Morgen", heißt es bei Jesaja.

Dieser Freitagmittag in Erfurt ist kein gewöhnlicher. Wer jetzt auf uns schaut, soll das spüren. Nein, wir sind nicht besser, größer, reicher als andere, noch nicht einmal alle zusammen. Und ja, wir machen Fehler und denken kurzfristig und egoistisch. Dietrich Bonhoeffer hat aber richtig erkannt: "Ich glaube, daß auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten."

Wer auf uns schaut, soll spüren, dass wir in allem wissen von Gottes Liebe, die uns nicht drängt, sondern trägt, die sich manchmal verbirgt und dann wieder leuchtet mit aller Kraft.

Dass wir diese Liebe kennen, in ihr leben, bei ihr bleiben, dass wir in ihr Heimat finden können und leben im Hause des Vaters, gemeinsam als die eine Gemeinde Jesu Christi, das ist es, was die Suche unseres Geistes ausfüllt und das Verlangen unserer Herzen zur Erfüllung bringt.

Gott segne unser Hören und Reden, unser Singen und Sagen, unser Aufbrechen und Ankommen.

Lasst uns aufstehen, vor Gott treten und beten.

Deutsche Originalfassung / English Translation / Traduzione italiana: www.ekd.de/texte-erfurt-2011

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Ansprache

der Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, am 23. September 2011 im Kapitelsaal des Augustinerklosters zu Erfurt

Eure Heiligkeit, Papst Benedikt XVI.,

lieber Bruder in Christus! Sehr geehrter Vorsitzender des Rates der EKD, lieber Bruder Präses! Sehr verehrte Eminenzen und Exzellenzen, liebe Brüder im Bischofsamt und Präsidenten, sehr geehrte Professorinnen und Professoren, liebe Schwestern und Brüder!

Sehr herzlich heiße ich Sie im Namen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland hier im Kapitelsaal des Evang. Augustinerklosters zu Erfurt willkommen!

Es ist für unsere Kirche eine große Ehre und eine noch größere Freude, Ihnen mit unserem Haus und der Klosterkirche für diese Begegnung und den Gottesdienst dienen zu können.

"Historisch" nennen viele diese Begegnung. In dieser Bezeichnung kommt die hohe politische und gesellschaftliche Bedeutung zum Ausdruck, die von der Öffentlichkeit dieser Begegnung beigelegt wird.

Ich möchte diese Begegnung als eine geschichtlich bedeutsame verstehen. Und zwar in dem Sinn, wie wir es von unseren jüdischen Glaubensgeschwistern wissen und von unseren Gottesdiensten her verstehen: Geschichte liegt vor uns. Auch wenn es um Geschehen und Ereignisse in der Vergangenheit geht, so sind wir eingeladen und aufgefordert, die Geschichte in unsere Gegenwart aufzunehmen und uns so in diese Geschichte hineinzubegeben.

Dies gilt für die jährliche Feier des Passamahles wie für die Feier der Eucharistie und des Abendmahls. In Jesu Einsetzungsworten "...solches tut zu meinem Gedächtnis" ruft er uns: Nehmt diese Geschichte in Eure Gegenwart auf. In diesem Mahl bin ich mitten unter Euch.

Bei allem, was uns an einer gemeinsamen Feier dieses Mahls hindert, dies eine verbindet uns gewiss: wir feiern dieses Mahl im Gedenken an unseren Herrn Jesus Christus und seinen großen Versöhnungsdienst an uns so, dass wir uns von ihm einladen lassen und stärken als solche, die zu seiner Geschichte gehören. Wir sollen und dürfen ein Teil dieser Geschichte werden. Wir sollen und dürfen Anteil an dieser Geschichte bekommen - dass wir mit ihr unsere Gegenwart und Zukunft gestalten.

Und das hat eine Wirkung auf unsere Geschichte, die wir gemeinsam haben und auf die Geschichte unserer Verschiedenheit und Trennung. Auch diese Geschichte ist nicht abgeschlossen und vorbei, schon gar nicht so, dass wir auf sie festgelegt werden. Auch diese z. T. überaus schmerzhafte Geschichte liegt so vor uns, dass wir in der Gegenwart, heute, in sie hineingehen und Gemeinschaft suchen im Gespräch miteinander und im Hören auf Gottes Wort.

In diesem Sinn ist die Begegnung heute geschichtlich bedeutsam. Welche Führung und Entscheidung, dass wir an diesem Ort zusammengekommen sind, an diesem Ort, der uns anspricht, der mit seiner Geschichte zu uns heute spricht.

Gottes Heiliger Geist lasse uns segensreiche Schritte in diese Geschichte hineingehen.

Deutsche Originalfassung / English Translation / Traduzione italiana: www.ekd.de/texte-erfurt-2011

Pressekontakt:

Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de

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