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EKD - Evangelische Kirche in Deutschland

Plädoyer für den Sonntagsschutz: "Raum für die Frage, was im Leben wirklich trägt"/ Stellungnahme des EKD-Ratsvorsitzenden vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

Hannover (ots)

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber hat sich heute 
vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nachdrücklich gegen 
eine Erweiterung der Ladenöffnungszeiten am Sonntag ausgesprochen, 
wie sie in Berlin seit November 2006 praktiziert werden.
Anlässlich der Verhandlung aufgrund der Verfassungsbeschwerde der 
evangelischen und katholischen Kirche von Berlin gegen das geltende 
Ladenöffnungsgesetz in der Bundeshauptstadt am heutigen Dienstag warb
Huber für den Erhalt des Sonntags als "Tag der kollektiven 
Arbeitsunterbrechung", der Raum gebe "für die Frage, was im Leben 
wirklich trägt". Der Ratsvorsitzende und Bischof der Evangelischen 
Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz forderte mit 
Nachdruckt, dass der ganze Sonntag aus dem Alltag herausgehoben 
bleiben müsse und "im Gegenüber zur werktäglichen Beschäftigung ein 
eigenes Gepräge" behalten solle. Der Sonntag mache deutlich, so Huber
weiter, "dass der Mensch nicht nur durch Arbeit und Leistung 
definiert ist."
Hintergrund der Verfassungsbeschwerde, die die Evangelische Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das katholische 
Erzbistum Berlin eingereicht haben, ist das neue Ladenöffnungsgesetz 
in Berlin. Seit dem 17. November 2006 dürfen in der Bundeshauptstadt 
die Geschäfte an zehn Sonn- oder Feiertagen öffnen, darunter auch an 
allen vier Adventssonntagen.
Diese Regelung lehnen die Kirchen als verfassungswidrig ab und 
verweisen dabei u.a. auf den besonderen Schutz von Sonn- und 
Feiertagen durch Artikel 140 des Grundgesetzes. Dort wurde der 
entsprechende Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 
unverändert übernommen, der da lautet: "Der Sonntag und die staatlich
anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der 
seelischen Erbauung gesetzlich geschützt."
Hannover, den 23. Juni 2009
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick
Bischof Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber
Einleitendes Votum
bei der mündlichen Verhandlung
vor dem Bundesverfassungsgericht
zum Berliner Ladenöffnungsgesetz
Karlsruhe, 23. Juni 2009
"Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das 
Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum 
segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn." So lautet die 
Begründung der Sabbatheiligung in den zehn Geboten. Nach sechs Tagen 
Arbeit wird das Werk Gottes durch einen Tag der Ruhe und der 
Heiligung, durch einen Feiertag vollendet. Und so soll es auch das 
Volk Gottes halten. Darauf beruht das Gebot: "Gedenke des 
Sabbattages, dass du ihn heiligest" (2. Mose 20, 8 ff.).
Seit den Anfängen der Christenheit ist der Sonntag als Tag der 
Auferstehung Jesu Christi an die Stelle des Sabbattags getreten. Er 
prägt nun den Rhythmus der Woche im Gegenüber zu den sechs Werktagen:
An den sechs Werktagen sollen wir alle unsere Werke tun, den Sonntag 
aber heiligen.
Den Sonntag heiligen heißt: sich öffnen für die Teilhabe an Gottes 
Heiligkeit. Es bedeutet, diesen Tag aus dem Alltag herauszuheben. Der
ganze Tag soll im Gegenüber zur werktäglichen Beschäftigung ein 
eigenes Gepräge erhalten. Für die persönliche Lebensführung wie für 
das gemeinsame Leben ist das ein wichtiges Element der Lebenskultur. 
Es macht deutlich, dass der Mensch nicht nur durch Arbeit und 
Leistung definiert ist. Der Tag der kollektiven Arbeitsunterbrechung 
gibt Raum für die Frage, was im Leben wirklich trägt. Der Sonntag 
gewährt Zeit für Erholung und schöpferischen Neuanfang, für 
persönliche Besinnung und Gemeinschaft mit anderen.  Der 
Gottesdienstbesuch ist nach christlicher Auffassung in der Heiligung 
des Feiertags ein wichtiges, sinnstiftendes Element; aber die 
prägende Bedeutung der Muße am Sonntag für den Rhythmus der Woche 
gehört zum religiösen Sinn dieses Tages unlöslich hinzu. Das 
biblische Gebot bezieht deshalb gerade auch die abhängig 
Beschäftigten - den Knecht, den Fremdling - in die kollektive 
Arbeitsunterbrechung ein, die für diesen Tag der Arbeitsruhe 
vorgesehen ist.
Unsere Gesellschaftsordnung hat den wöchentlichen Wechsel zwischen 
den Werktagen und dem Sonntag nicht hervorgebracht; sie hat vielmehr 
diesen "Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung" vorgefunden.
Der arbeitsfreie Sonntag leitet sich aus einer Jahrhunderte, ja 
Jahrtausende umfassenden Tradition her, die bereits in einem Edikt 
Kaiser Konstantins des Großen im Jahr 312 rechtliche Anerkennung 
fand. Diese Tradition hat das religiöse, soziale und kulturelle Leben
nachhaltig geprägt. Sie ist in unserem Land bewahrt worden, ohne 
dessen wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu schmälern. Wegen der 
prägenden Bedeutung des Sonntags für das Gemeinwesen vertraut unsere 
Verfassungsordnung die Gewährleistung dieses Verfassungsguts dem 
besonderen Schutz des Staates an. Der Gesetzgeber ist an diese 
Schutzpflicht gebunden. Ausnahmen bedürfen einer besonderen 
Begründung und dürfen nicht die Pflicht zum Schutz des Sonntags außer
Kraft setzen.
In Erfüllung ihres Auftrags leisten die Kirchen ihren eigenständigen 
Beitrag dazu, den Sonntag als "Tag der Arbeitsruhe und der seelischen
Erhebung" zu gestalten. Die Gemeinschaft in jeder christlichen Kirche
ist bestimmt durch die gemeinsame Ausübung der christlichen Religion.
Wenn es zu einer Verletzung des Sonntagsschutzes kommt, sind die 
Kirchen davon unmittelbar betroffen. Denn sie werden dadurch in der 
Ausübung ihres Auftrags behindert, dem sie - geschützt durch die 
institutionelle Religionsfreiheit - nachgehen.
Der Auftrag der Kirchen zur Gestaltung des Sonntags hat in der Feier 
des Gottesdienstes sein Zentrum; aber er ist nicht auf die 
Gottesdienste beschränkt. Er erstreckt sich vielmehr auf eine Fülle 
von religiös motivierten Veranstaltungen über den ganzen Tag. Auch 
Gottesdienste werden im Übrigen nicht nur vormittags, sondern auch am
Nachmittag und Abend gefeiert. Die vielfältigen kirchlichen Angebote 
am Sonntag gelten zuallererst den Kirchenmitgliedern, aber nicht nur 
ihnen allein, sondern der ganzen Gesellschaft.
Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich in der Kirche. Ihre 
Mitwirkung an kirchlichen Veranstaltungen ist für sie selbst Teil 
ihrer "seelischen Erhebung"; und sie öffnet anderen dafür die Tür. 
Beispielhaft seien hier die Mitglieder von Posaunenchören und 
Kirchenchören oder die Helferinnen und Helfer bei der Organisation 
von Gemeindefesten genannt. Bei einer Einebnung des Unterschieds 
zwischen Sonntag und Werktag gehen kollektive Freiräume für 
ehrenamtliches Engagement - nicht nur, aber auch, ja gerade in den 
Kirchen - verloren. Das beeinträchtigt die Kirchen in der Ausübung 
ihres Auftrags.
Aus Seelsorgeerfahrungen wissen wir, wie sehr Arbeitnehmerinnen und 
Arbeitnehmer unter dem Konflikt leiden, sich sonntags zwischen ihrer 
Berufsausübung und der Pflege ihrer religiösen Bedürfnisse oder ihrer
sozialen Kontakte entscheiden zu müssen.
Das Berliner Ladenöffnungsgesetz reizt die Geschäftigkeit an 
Werktagen rund um die Uhr, auch an Samstagen, aus. Für die im Handel 
Beschäftigten bleibt während der Woche kein verlässlicher Freiraum 
für gemeinsame Zeiten in Familie und Freundeskreis, für kirchliches, 
soziales oder kulturelles Engagement. Umso wichtiger ist es, den 
Sonntag als Tag der Arbeitsruhe so umfassend wie möglich zu schützen.
Dieser Aufgabe wird das Berliner Ladenöffnungsgesetz mit seiner 
Erlaubnis zur Ladenöffnung an zehn Sonntagen im Jahr nicht gerecht.
Eine besondere Bedeutung hat die Adventszeit. Sie ist eine Zeit der 
Erinnerung und der Erwartung, der Vorbereitung auf das Gedenken der 
Geburt Jesu Christi und der Buße zu Beginn des Kirchenjahrs, das mit 
dem Ersten Advent beginnt. Schon jetzt unterliegt die 
"Vorweihnachtszeit", wie man stattdessen häufig sagt, einer sehr 
weitgehenden Beherrschung durch den Kommerz. Die Frage, was gefeiert 
wird und wie das geschehen soll, tritt dahinter in erheblichem Maß 
zurück. Die Möglichkeit, den Advent im christlichen Sinn angemessen 
zu gestalten, verdichtet sich deshalb weitgehend auf die 
Adventssonntage. In einer Reihe von Bundesländern wird deshalb die 
Ladenöffnung für die Adventssonntage generell ausgeschlossen. Im 
Berliner Ladenöffnungsgesetz geschieht das genaue Gegenteil, indem es
alle Adventssonntage für die Ladenöffnung freigibt. Damit greift es 
in eklatanter und gravierender Weise in den kirchlich geprägten 
Jahreslauf und den zu ihm gehörenden Festkalender ein. Ausgerechnet 
in dieser Zeit gibt es in Berlin keinen geschützten Sonntag mehr. Das
Weihnachtsfest als Motor des Handels zu nutzen, den besonderen 
Charakter der Adventssonntage aber mit solcher Gleichgültigkeit zu 
übergehen, zeugt von einem beunruhigenden Mangel an religiöser wie 
kultureller Achtung.
Regelungen dieser Art entwickeln jeweils eine Sogwirkung auf 
angrenzende Länder. Diesem Sog muss Einhalt geboten werden. Im Sinne 
des Sonntagsschutzes kann die Ladenöffnung am Sonntag nur die aus 
besonderen Gründen gerechtfertigte Ausnahme sein; das durch die 
grundgesetzliche Vorgabe geschaffene Regel-Ausnahme-Verhältnis zu 
Gunsten der sonntäglichen Arbeitsruhe darf nicht Schritt für Schritt 
umgekehrt werden.
Weitgehende Ladenöffnungen an Sonn- und Feiertagen, vor allem in 
besonderen Festzeiten wie dem Advent, entziehen den christlichen 
Kirchen wichtige Voraussetzungen dafür, ihrem Auftrag nachzukommen, 
und hindern die Menschen an der seelischen Erhebung. Sie höhlen ein 
prägendes, vom Verfassungsgeber ausdrücklich als schützenswert 
anerkanntes  Kulturgut aus. Angesichts der - gerade in Berlin - sehr 
weitgehend möglichen Ladenöffnung an Werktagen ist eine Begründung 
für die Aushöhlung dieses Gutes nicht ersichtlich.
Hoher Senat, wir erhoffen uns von Ihrer Entscheidung, dass 
verlässliche Grenzen aufgezeigt werden und die sonst drohende 
Aushöhlung des Sonntagsschutzes beendet wird.

Pressekontakt:

Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de

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