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BERLINER MORGENPOST: Nostalgie ist die Utopie der Konservativen

Berlin (ots)

Ach ja, früher. Da war die Union eine moderne, weltoffene Partei, herzlich und von Mitmenschlichkeit beseelt: Die Mitglieder sprachen konstruktiv mit- und nur gut übereinander, man gönnte sich Erfolg. Und das Christliche erst: Das Eheversprechen galt so viel wie das Ehrenwort, keine der sieben Todsünden hatte eine Chance im Bollwerk des Guten. Werte über Werte, von Bayern bis Kiel. Es ging um Deutschland, um Zukunft, um das Wir. Loyalität war Trumpf, Eigennutz verboten. Immer wieder faszinierend, wie triste Tage im milden Licht der Rückschau erstrahlen. Nostalgie, das ist die Utopie der Konservativen, vor allem der Veteranen, die damals ja nur geglänzt haben. Mag sein, dass Erwin Teufel, Kurt Biedenkopf und Volker Rühe von Sorge um die CDU umgetrieben werden. Mag sogar sein, dass früher vieles besser war. Könnte aber auch sein, dass Krachschlagen umso mehr Freude bereitet, je ärger der Bedeutungsverlust nagt. Fritz Walter hätte sicher auch eine Menge zu kritisieren am Fußball 2011. Fakt ist aber: Das politische Geschäft ist nicht besser oder schlechter als früher, sondern schneller, tückischer, unübersichtlicher, eben anders. Man wünscht dem Urgestein Teufel ja nichts Böses, aber mal eine Woche im medialen Gewitter erratischer 24/7-Echtzeit-Kommunikation hätte großen pädagogischen Wert für jene Schar grummelnder Senioren, denen allesamt das Beckenbauer/Schmidt-Privileg zuteilwird: Das Pathos des Altehrwürdigen verwandelt noch jede Banalität in große, tiefe Gedanken. Man kann der CDU-Vorsitzenden einiges vorwerfen: die seelenlosen Reden, uninspirierte politische Kommunikation und den paranoiden Unwillen, um sich ein Ensemble zuzulassen, das die einstige inhaltliche Breite einer Volkspartei abbildet. Angela Merkel müsste jeden Morgen eine Kerze anzünden zum Dank an Wolfgang Schäuble. Der Kämpfer im Finanzministerium repräsentiert so viel CDU wie das ganze restliche Kabinett zusammen nicht. Unfair ist es allerdings, jedes Problem der Welt und seine Ursachen bei der Chefin abzuladen. Auch wenn es manche in der Partei anders sehen: Die Kanzlerin hat weder globale Verwerfungen, Euro-Schuldenkrise noch gesellschaftliche Umbrüche angerichtet. Die Generation Teufel hämmerte in einigem Gutglauben am europäischen Haus und bat aus nachvollziehbaren politischen Motiven alle Notleidenden des Kontinents zu Tisch. Der Schutz gegen globale Zockerbanden kam damals aber entschieden zu kurz. Dass es beim Bewältigen der vielen Konstruktionsmängel in der Hyper-Krise heute keinen idealen Weg gibt, kann man weder dieser Regierung noch einer Partei vorwerfen. Ob Kohl/Waigel/Genscher oder Teufel/Rühe/Biedenkopf eine bessere, billigere, nachhaltigere Lösung für die Euro-Krise gefunden hätten, bleibt eine unbewiesene Annahme. Zur Wahrheit gehört eben auch: Ob in den USA, Italien oder Spanien, in Griechenland, Irland oder Großbritannien - überall stehen Regierungen und ihre Parteien unter existenziellem Druck, weit stärker als ihn die Generation zuvor je erlebt hat.

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