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Rheinische Post: Sanierungsfall Merkel

Düsseldorf (ots)

Leitartikel von Sven Gösmann
Hinter der Bundeskanzlerin liegt eine politische Woche, die sie 
gewiss schnell vergessen möchte, an die sich das Wahlvolk und ihre 
Partei aber noch länger erinnern werden.
Drei Aspekte spielten eine Rolle. Der offensichtlichste ist das 
Fehlen einer Kommunikationsstrategie. Das jüngste Beispiel dafür 
lieferte die Debatte um das Familiensplitting. Der durch die Kritik, 
er sei mehr Sekretär als General, verunsicherte CDU-Chefstratege 
Ronald Pofalla trat eine zu diesem Zeitpunkt unnötige Debatte über 
das Familiensplitting los. Dieser Vorstoß, wird aus der CDU-Spitze 
glaubhaft versichert, war weder mit den Granden der Partei noch mit 
der CSU abgestimmt. Trotzdem glaubte die Kanzlerin, dieses 
wünschenswerte, allerdings unbezahlbare Vorhaben unterstützen zu 
müssen. Das Ende vom Lied: Fraktionschef Kauder stoppte im Namen der 
genervten Basis die Diskussion.
Dann redete die Kanzlerin ihr Land als Sanierungsfall schlecht. 
Deshalb öffentlich unter Druck geraten, hielt sie die Argumentation 
nicht aufrecht. Nun soll alles ein "Missverständnis" sein.
Zum zweiten fehlt der Merkel-Regierung die politische Strategie. 
Bisher hatte die Kanzlerin auf die Wirkung ihrer außenpolitischen 
Auftritte vertraut und darüber die Innenpolitik vernachlässigt. 
Programmatisch hat die Vorsitzende der CDU keinen Anhalt gegeben, 
wohin die Reise gehen soll. Wahrscheinlich vermag Merkel das allein 
auch nicht. Sie hat aber, um ihre brüchige Machtbasis nicht zu 
gefährden, auch keine parteiinterne Debatte um den künftigen Kurs 
zugelassen.
Die Christdemokraten erleben so zähneknirschend die 
Sozialdemokratisierung der Regierungspolitik, ja, sogar der 
Diskussion darüber: mehr Steuern, mehr Staat, die Einführung einer 
Bürgerversicherung durch die Hintertür und als Tüpfelchen auf dem i 
das Antidiskriminierungsgesetz in rot-grüner Tradition. Der 
bürgerliche Gegenentwurf wird nicht aufgemacht. Erschwerend kommt 
hinzu, dass die Unions-Minister farblos oder im Fall von 
Innenminister Schäuble wie unoriginelle Wiedergänger ihrer 
sozialdemokratischen Vorläufer wirken.
Der dritte Aspekt ist die Bunkermentalität, die im Merkel-Lager Platz
greift. Zu ihrem Beraterkreis gehört keiner der einflussreichen 
Unions-Ministerpräsidenten. Die sind irritiert, behalten ihren Ärger 
aber noch für sich. Das musste Merkel bei ihrem Aufstieg weniger 
interessieren, weil sie weite Teile der Parteibasis  auch in NRW  
hinter sich wusste. Doch dort bröckelt, siehe oben, die 
Unterstützung.
So kommt die Kanzlerin deutlich schwächer aus dieser Woche, als sie 
hineingegangen ist. Man ist geneigt, das System Merkel für einen 
Sanierungsfall zu halten. Im Interesse des Landes, das eine starke 
Regierung braucht, sollte sich das als Missverständnis entpuppen.
Bericht: Missverstanden, Titelseite

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