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DIE ZEIT

Pentagon veranstaltete Schnellkurs für irakische Richter

Bagdad/Hamburg (ots)

Das Pentagon-eigene Defense Institute for
International Legal Studies hat in den vergangenen zwei Wochen in
Bagdad etwa hundert irakische Juristen für die Arbeit am neuen
"Irakischen Sondertribunal für Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
ausgebildet, berichtet die ZEIT. Vor dem Tribunal soll sich auch
Ex-Diktator Saddam Hussein verantworten.
Vom 7. bis zum 18. Dezember 2003 lernten dem Bericht zufolge 
Staatsanwälte, Verteidiger und Richter aus dem gesamten Land die 
Grundzüge des internationalen Völkerstrafrechts kennen. Auch 
ehemalige Exiliraker, Diplomaten und Juristen aus den 
Rechtsabteilungen internationaler Firmen nahmen an dem Schnellkurs 
teil. Auf dem Lehrplan standen die Rechtsgarantien nach den Genfer 
Konventionen und Mindeststandards für faire Verfahren. Unterstützt 
wurden die Amerikaner von Rechtsexperten aus Großbritannien, Spanien 
und Australien.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert, den 
irakischen Juristen fehle die Erfahrung für komplexe Strafverfahren, 
wie sie vor dem Tribunal zu erwarten seien. Einer der Rechtsexperten 
der Organisation, Richard Dickers, sagt der ZEIT, Prozesse im Irak 
hätten bisher nie länger als anderthalb Tage gedauert, und die 
meisten irakischen Exiljuristen hätten lediglich Erfahrungen als 
Zivilrechtler.
Mutter aller Prozesse
Ein irakisches Sondertribunal soll die Schergen des Baath-Regimes 
   aburteilen 
   Ihnen droht die Todesstrafe. Saddam Hussein könnte der Erste sein
Der Schnellkurs für das historische Richteramt dauerte nicht
einmal zwei Wochen. Vom 7. bis zum 18. Dezember versammelten sich
rund 100 irakische Juristen im Bagdader Convention Center nahe dem
Raschid-Hotel um zu lernen, was die amerikanische Besatzungsmacht
sich unter einem fairen Prozess gegen den Exdiktator Saddam Hussein
und alle anderen Schurken des Baath-Regimes vorstellt. Staatsanwälte,
Verteidiger und Richter aus dem ganzen Land kamen zu dem Seminar.
Ebenfalls geladen: ehemalige Diplomaten und Juristen aus den
Rechtsabteilungen internationaler Firmen, die aus dem Exil
zurückgekehrt sind. Durchschnittsalter etwa 55 Jahre. Ausgewählt hat
sie der irakische Regierungsrat. Die Ausbildung besorgten Mitarbeiter
des Pentagon-eigenen Defense Institute for International Legal
Studies, außerdem Rechtsexperten aus Großbritannien, Spanien und
Australien.
Am vergangenen Donnerstag überreichte Richard Jones, eigentlich
US-Botschafter in Kuwait und derzeit als Stellvertreter von
Zivilverwalter Paul Bremer im Irak, den Kursteilnehmern ihre
Fortbildungsdiplome. Anlass für ein Abschiedsessen in der Cafeteria
des Convention Center. "Ich finde, Saddam hat auf jeden Fall die
Todesstrafe verdient", sagt ein älterer Jurist im Dreiteiler, während
er sich mariniertes Rindfleisch mit Reis auf den Teller lädt. "Im
neuen Irak sollte es keine Todesstrafe geben", widerspricht der Mann
hinter ihm. "Gerade wir mit unserer Geschichte sollten darauf
verzichten." Eine junge Frau im Kostüm mischt sich ein: "Wir sollten
nicht wieder in den alten Zeiten landen, wo manches Todesurteil schon
vor Beginn der Verhandlung feststand." Gut möglich, dass die drei
irgendwann selbst zum neuen Irakischen Sondertribunal für Verbrechen
gegen die Menschlichkeit gehören werden, das am 10. Dezember
offiziell gegründet wurde. Vor diesem Gericht soll, so scheint
mittlerweile festzustehen, der Prozess gegen Saddam Hussein
stattfinden. Die Sache Sadddam wäre nur der Auftakt für eine
justizielle Abrechnung mit dem Baath-Regime und dessen Büttel. Das
Tribunal will laut seinem Statut über "jeden irakischen Bürger oder
Bewohner des Iraks" Recht sprechen, der sich zwischen dem 17. Juli
1968 (Machtergreifung der Baath-Partei) und dem 1. Mai 2003
(Kriegsende) Völkermord, Massakern, Kriegsverbrechen, Versklavung,
Folter oder Vergewaltigung schuldig gemacht hat. Mit anderen Worten:
ein Bagdader Nürnberg. Deshalb paukten die irakischen Juristen die
Genfer Konvention (Was sind Kriegsverbrechen? Welche Waffen sind
geächtet? Welche Rechte haben Kriegsgefangene?) und die Rechte von
Angeklagten nach dem Völkerrecht (Aussageverweigerungsrecht, Recht
auf Anwalt, Recht auf Berufung).
Botschafter Jones rief die Richteranwärter zum Abschluss des 
Seminars zur Geduld auf. "Wir haben so viele Mitglieder des alten 
Regimes in Gewahrsam. An denen könnte sich das Gericht erst einmal 
warmlaufen, bevor es den Fall Saddam verhandelt." Die Mutter aller 
Prozesse brauche sorgfältige Vorbereitung.
39 der 55 Gesuchten haben die Koalitionstruppen mittlerweile 
aufgespürt. Insgesamt hält das Militär 7000 Personen gefangen. 101 
von ihnen sind als besonders bedeutsam eingestuft. Sie sollen für 
die schlimmsten Gräueltaten unter der Saddam-Diktatur verantwortlich 
sein.
Rechtsberatung aus dem Pentagon
Aber Warmlaufen - kann sich ein Gericht, das auf einen fairen 
Prozess verpflichtet ist, dies leisten? Wenn es um Leben oder Tod 
von Angeklagten geht, ist Learning by Doing eine eher riskante 
Methode. Menschenrechtlern stehen die Haare zu Berge, wenn sie 
sehen, wer die Verhandlungen in dem Mammutprozess führen soll. Sie 
fürchten einen Schauprozess nach schlimmster arabischer Tradition. 
Richard Dicker, führender Rechtsexperte von Human Rights Watch, hat 
sich mit einer Reihe von irakischen Richtern und Staatsanwälten 
unterhalten - keiner von ihnen, berichtet Dicker, habe sich an ein 
Verfahren erinnern können, das länger als anderthalb Tage gedauert 
habe. "Ihnen fehlt einfach die Erfahrung, ein solches hoch komplexes 
Verfahren zu leiten." Über die Anwälte, die jetzt aus dem Exil in 
Bahrain, New York oder London nach Bagdad zurückkehren, sagt 
Dickers: "Nun ja, im Privatrecht kennen sie sich ziemlich gut aus." 
Es dürfte ihnen allerdings entgegenkommen, dass Artikel 24 (a) der 
Tribunalstatuten dem gewohnten irakischen Strafrecht die Tür öffnet. 
Einst maßgeschneidert vom Baath-Regime, könnte es dessen Mitgliedern 
jetzt selbst die Köpfe kosten. Sollten die irakischen Paragrafen für 
einige Abscheulichkeiten der Saddam-Getreuen keine Strafe vorsehen, 
dürfen sich die Richter selbst überlegen, welche Sanktion ihnen 
angesichts "der Schwere des Verbrechens" angemessen erscheint.
Human Rights Watch und amnesty international fordern, dem Gericht 
ausländische Richter beizuordnen, wie etwa beim UN-Tribunal in 
Kambodscha. Bisher sehen die Statuten im Irak nur vor, dass 
ausländische Juristen als Berater herangezogen werden können (siehe 
Kasten unten). Die Entscheidung, ob fremde Juristen kommen dürfen 
und woher, liegt allein in irakischer Hand.
Stellt sich bloß die Frage: Wie unabhängig ist der 24-köpfige 
Regierungsrat von der amerikanischen Besatzungsmacht? Und wie 
unabhängig sind Juristen, die gerade von Pentagon-Mitarbeitern das 
rechtsstaatliche Einmaleins des Kriegsverbrecherprozesses gelernt 
haben? Ziemlich unwahrscheinlich beispielsweise, dass ausgerechnet 
sie, wenn es etwa um den Giftgaskrieg gegen Iran geht (1980-88), 
jene Unterstützung thematisieren würden, die ein gewisser Donald 
Rumsfeld dem Diktator Saddam Hussein damals leistete.
Unwahrscheinlich auch, dass sie der Frage, wie das mit den 
Massenvernichtungswaffen wirklich war, genau auf den Grund gehen 
werden. Ist es eine Beeinflussung der Richter, wenn US-Präsident 
George Bush nach Saddam Husseins Festnahme noch einmal bekräftigte, 
die Welt sei ohne ihn ein schönerer Platz?
Wären da nicht diese Europäer, die Saddam Hussein schon wieder 
retten wollen. Und diesmal auch noch mit ungewohnter Einigkeit. Von 
Madrid bis Berlin tönt es: Eine Hinrichtung Saddam Husseins 
verstieße gegen die Grundüberzeugungen der Union (siehe 
nebenstehenden Kommentar). Der schwedische Ministerpräsident bot gar 
an, der Exdiktator könne eine etwaige Haftstrafe in Schweden 
verbüßen.
Eine Gruppe von Delegierten des irakischen Regierungsrates, die am
Donnerstag Berlin besuchten, reagierte eher schmallippig, als 
deutsche Politiker sie auf das Thema Todesstrafe ansprachen. Auf 
entsprechende Nachfragen erntete die Menschenrechtsbeauftragte der 
Bundesregierung, Claudia Roth, lediglich wohlmeinende 
Allgemeinplätze. Das Tribunal, hieß es, müsse "transparent, offen 
und gemäß internationaler Standards" arbeiten.
"Vielen Irakern erscheint die Todesstrafe als Garantie dafür, dass
Saddam wirklich nicht zurückkommt", sagt eine Mitarbeiterin des 
Büros für Menschenrechte und Übergangsjustiz der 
Koalitionsverwaltung. "Saddam Hussein hat in der Vergangenheit 
mehrfach Amnestien verfügt und alle Kriminellen, Diebe wie Mörder, 
einfach laufen lassen. Deshalb sitzt die Angst tief, der größte 
irakische Verbrecher könnte eines Tages ebenfalls freigelassen 
werden." Wie viele Menschenleben Saddam Hussein auf dem Gewissen 
hat, wie viele Vermisste in den vermutlich 270 Massengräbern des 
Landes verscharrt sind, lässt sich kaum bestimmen. Schätzungen 
schwanken zwischen 300 000 und einer halben Million.
Allein in Bagdad (wo die Baath-Partei nicht am schlimmsten wütete)
soll seit 1979 in 6,6 Prozent aller Haushalte ein Familienmitglied 
hingerichtet worden sein. Hinzukommen die Kriegsopfer. 200 000 
Iraker und eine Million Iraner starben im ersten Golfkrieg. Geht man 
davon aus, dass zwei Prozent der irakischen Bevölkerung ermordet 
wurden oder verschwunden sind, wären dies auf Deutschland 
hochgerechnet 1,6 Millionen Opfer.
Hinrichten geht nur einmal
"Sie sollten ihn an einem hohen Pfosten aufhängen und jeden Iraker
an seiner Hinrichtung teilhaben lassen", findet der Taxifahrer 
Mohammed Schaukat und spricht damit aus, was viele denken. Während 
seine Ratskollegen durch Europa jetteten, forderte einer der 
einflussreichsten irakischen Politiker, Achmed Tschalabi, Saddam 
Hussein müsse so schnell wie möglich hingerichtet werden. 
Dieses Tempo scheint selbst den Amerikanern etwas übertrieben. Das 
Motiv für die Eile der Regierungsratsmitglieder liegt nahe: Ihre 
Tage an der Macht sind gezählt. Am 1. Juli soll der Irak seine volle 
Souveränität zurückerhalten, die amerikanische Zivilverwaltung wird 
sich auflösen. Dasselbe Schicksal erwartet auch den Regierungsrat. 
Bis dahin wollen seine Mitglieder Tatsachen geschaffen haben.
Momentan gewinnen die Amerikaner Zeit mit der Debatte, ob Saddam 
Hussein als Kriegsgefangener zu betrachten sei. Dann dürften ihn die 
Amerikaner nach internationalem Recht nur einer souveränen 
irakischen Regierung übergeben, nicht aber einem Staat im 
Besatzungszustand. Damit wäre der Terminstreit elegant gelöst: Vor 
dem 1. Juli dürften die Amerikaner Saddam Hussein gar nicht an die 
Iraker ausliefern.
"Wir befinden uns in einer Grauzone zwischen Krieg und Frieden", 
sagt Botschafter Jones. Er glaubt, dass der Prozess gegen Saddam 
Hussein frühestens in ein paar Monaten beginnen wird. Gut Ding will 
Weile haben, findet Jones. "Saddam hat sehr viele Verbrechen 
begangen. Aber hinrichten können Sie ihn nur einmal."
Von Jochen Bittner und Susanne Fischer
Es folgt eine PRESSE-Vorabmeldung der ZEIT Nr. 1 mit  
   Erstverkaufstag am Montag, 22. Dezember 2003
Den kompletten ZEIT-Text der nachfolgenden Meldung finden Sie  
   im Anhang.
Für Rückfragen melden Sie sich bitte bei Elke Bunse, DIE 
ZEIT Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, (Tel.: 040/ 3280-217, Fax: 
040/ 3280-558, E-Mail:  bunse@zeit.de)

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