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DIE ZEIT

"Helmut Schmidt ist einer, der weiß, was zu tun ist"
Richard von Weizsäcker zum 85. Geburtstag von Helmut Schmidt

Berlin (ots)

Richard von Weizsäcker würdigt Altbundeskanzler und
ZEIT-Herausgeber Helmut Schmidt anlässlich dessen 85. Geburtstages am
23. Dezember 2003. Weizsäcker schreibt in der ZEIT: "Nie war
Ideologie seine Sache. Er hält sich fern von Idealisten ohne
Realitätssinn oder von Intellektuellen, die es besser wissen, ohne
sich zu engagieren. Er setzt auf eine Vernunft, deren Fundament die
Ethik ist. Daran arbeitet er lebenslang." Der ehemalige
Bundespräsident: "Helmut Schmidt ist einer, der weiß, was zu tun
ist."
Weizsäcker schreibt, Helmut Schmidt sei zum Regieren wie
geschaffen gewesen: "Berufspolitik hat es immer gegeben ... Helmut
Schmidt aber verkörpert nicht diesen Berufspolitiker, sondern, getreu
nach Max Weber, den veritablen Beruf zur Politik. Das ist der Ruf, im
Dienst der res publica voranzugehen, statt mitzulaufen: Lernen und
Wissen, Können und Wollen, mit Kopf und Herz."
Richard von Weizsäcker: "Mit seinem Mut erfüllte er den Beruf zur 
Politik, mit seinem Gewissen errang er seine Glaubwürdigkeit. Das 
tut uns allen gut, bis auf den heutigen Tag."
Der hanseatische Preuße
Helmut Schmidt ist einer, der weiß, was zu tun ist.
   Zum Regieren war er wie geschaffen.
   Ein Glückwunsch zum 85. Geburtstag / Von Richard von Weizsäcker
An diesem Dienstag, am 23. Dezember 2003, wird Helmut 
Schmidt 85. Na und? So würde unser Freund Loriot fragen. In der Tat, 
unverändert sind wir alle auf das gespannt, was der Jubilar sagt 
oder schreibt. Keinem anderen lebenden deutschen Politiker gilt 
dieselbe erwartungsvolle Aufmerksamkeit, in Deutschland, in Europa 
und in der Welt.
Es begann vor einem guten halben Jahrhundert, als Helmut Schmidt 
seine ersten Reden im Bundestag hielt. Heute sind schon mehr als 20 
Jahre vergangen, seitdem er sich vom letzten exekutiven Amt 
verabschiedet hat. Mit seinem politischen Wissen und Gewissen ist er 
jedoch in unserer Mitte geblieben. Die Achtung vor ihm ist 
mittlerweile eher noch gewachsen.
Zunächst hatte er wohl nicht die Absicht, Berufspolitiker zu
werden. Aber die schweren Erfahrungen seiner Generation in der Jugend
und sein hellwacher Geist erzeugten sein elementares Interesse an der
Politik. So nahm er unmittelbar nach Kriegsdienst und Gefangenschaft
das Studium der Volkswirtschaft auf, trat der SPD bei und wurde schon
1953 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt. Alsbald entstand daraus
ein Beruf, der ihn seither immer wieder bis an die äußerste
Leistungsgrenze menschlichen Lebens führte. Rücksicht auf die
Gesundheit hat er nie gelernt. Dennoch meint man, eine Art Recycling
sei am Werk. Seine verantwortungsbewusste Leidenschaft, gepaart mit
seiner unbändigen Arbeitskonzentration, bringen die ganz aufgezehrten
Kräfte auf wundersame Weise wieder von neuem hervor. Helmut Schmidt
ist einer, der weiß, was zu tun ist. So war er zum Regieren wie
geschaffen. Dass er entscheiden konnte, spürte jeder. Sein Mut, seine
Disziplin, seine Ruhe aus Verantwortung waren offenkundig. Weniger
sichtbar, aber von ausschlaggebender Bedeutung blieb seine
unaufhörliche Anstrengung um einen festen Boden unter den Füßen.
Wie kein anderer vor oder nach ihm war er vielfältig vorbereitet
und sachkundig, als er die Führung übernahm. Ein präzises und
differenziertes Fachwissen hatte er sich geschaffen. Dazu zählte
seine frühzeitig als Buch publizierte profunde Analyse über
Sicherheit und Friedenspolitik. Sie hat ihre Relevanz bis in die
Gegenwart hinein behalten. Seiner weiten weltwirtschaftlichen
Übersicht verdankten später die alljährlichen Gipfeltreffen der G7,
danach der G8, ihre Entstehung.
Nie war Ideologie seine Sache. Er hält sich fern von Idealisten
ohne Realitätssinn oder von Intellektuellen, die es besser wissen,
ohne sich zu engagieren. Er setzt auf eine Vernunft, deren Fundament
die Ethik ist. Daran arbeitet er lebenslang.
Aber er trägt es nicht als Programm vor sich her. Vielmehr lernte 
man ihn als ebenso scharfsinnigen wie scharfzüngigen Debattenredner 
kennen. Sein Selbstbewusstsein blieb durchaus nicht verborgen, dann 
schon eher seine Liebenswürdigkeit. Wenn eine Gesellschaft ihn 
langweilte, konnte und kann er durchaus ungalant sein. 
Bescheiden wirkt er also nicht. Doch eben dies ist er in seinem 
Kern, bescheiden vor der Macht der Geschichte, nüchtern in der 
Einschätzung der verfügbaren Mittel, voller Erkenntnis für die 
Notwendigkeit pragmatischer Schritte, aber eben immer mit den 
Maßstäben eines sittlichen Fundaments.
Damit hat er jedoch nie herumrenommiert. Er pflegt vor einem 
Anspruch auf geistig-moralische Führung durch die Politik zu warnen. 
Zugleich hat er sich selbst stets eine grundlegende Orientierung 
abverlangt und sie gerade dann in der Praxis be-zeugt, wenn niemand 
mehr einen guten Ausweg wusste. In seiner letzten Parlamentsrede 
sagte er 1986: "So möchte ich uns aufrufen zur Besinnung auf das 
Ethos eines politischen Pragmatismus unter moralischer Zielsetzung." 
Es gibt für ihn keinen Gegensatz zwischen sittlicher Pflicht und 
pragmatischer Vernunft. Sie gehören zusammen.
In diesem Sinn verdanken wir ihm historisch entscheidende
Schritte. Als er Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag war und
in vertrauens-voller Zusammenarbeit mit seinem Unionskollegen Rainer
Barzel die Große Koalition vom Parlament aus steuerte, sorgte er
gegen harten Widerstand seiner Fraktion dafür, dass die
Bundesrepublik durch die Notstandsgesetze einem inneren Notstand
gewachsen war - statt die Verantwortung den Alliierten zu überlassen.
Er war es, der mit den verantwortlichen Kollegen in den USA und Japan
den weltwirtschaftlichen Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods
und die Ölkrise im Rahmen des Möglichen auffing. Mit dem
französischen Freunde Giscard d'Estaing schuf er die Grundlage für
das europäische Währungssystem. Die schwerste menschliche
Herausforderung bestand er mit seiner ganz persönlichen klaren
Standhaftigkeit gegen den brutalen Terror der Rote-Armee-Fraktion zu
Hause.
Auf dem West-Ost-Gipfel 1975 in Helsinki schuf er mit Edward
Gierek ein haltbares neues Vertrauen zwischen Deutschen und Polen und
verschaffte zugleich der Solidarnos-Bewegung Rückenwind. Dann kam der
berühmte Doppelbeschluss, Nachrüstung und gleichzeitige
Abrüstungsverhandlungen, den er im Atlantischen Bündnis erzwang. Dies
wurde schließlich der entscheidende Schritt, um Breschnew zur Räson
zu bringen und später Ronald Reagans Rezept des "Totrüstens" in
Abrüstungsbereitschaft zu verwandeln.
Seine entschlossene Nato-Führung hatte Helmut Schmidt gegen
starken Widerstand in seiner friedensbewegten Partei durchgesetzt.
Ohne dass sein Parteivorsitzender Willy Brandt ihm zur Hilfe kam,
wurde Helmut Schmidt dafür bestraft und als Kanzler unter Mithilfe
seines liberalen Koalitionspartners abgewählt. Dennoch bleibt es
wahr, dass dank seiner Linie dem Kalten Krieg schließlich die Luft
ausging. Zu seinen eindrucksvollsten Selbstzeugnissen gehört ein Buch
mit dem Titel Weggefährten. Es ist eine Geschichte seiner
Expeditionen durch die menschlichen, geistigen und künstlerischen
Bereiche des Lebens. Aufnehmen, Lesen, Arbeiten, Wachsein,
Wachbleiben - in der überwältigenden Fülle der Ereignisse die
Erlebensfähigkeit bewahren, das macht seinen Weg aus, der nur mit den
Gefährten begehbar ist. Helmut Schmidt, dieser hanseatische Preuße,
ist im hohen Maße zur Freundschaft befähigt, so wie er Vertrauen und
Treue zu seinen Mitarbeitern bewahrt.
Hinzu tritt die musisch-kulturelle Qualität eines Lebens, die er 
schon seiner Schulzeit und seiner wahrhaft wunderbaren Frau Loki 
verdankt. Jetzt dient seine Hauptarbeit der vom Ehepaar Schmidt 
gegründeten Deutschen Nationalstiftung. Sie ist der Kultur unseres 
Landes gewidmet. Immer schon war er besonders beeindruckt von der 
zentralen Bedeutung, die die Kultur im weitesten Sinne für das 
humane Zusammenleben besitzt. Darauf bezieht er sich auch oft in 
seinen großen Artikeln unserer Tage, gegen einen "clash of 
civilizations", für eine UN-Erklärung der allgemeinen 
Menschenpflichten, gegen Machtgier und Raffgier, für den Mut, etwas 
zu ändern.
Seit seiner Jugend prägen ihn seine ethisch-philosophischen 
Erkundungen. Wir haben beide den ganzen Krieg mitgemacht. Jeder von 
uns hatte ein Buch in seinem Gepäck. Das seine war leicht zu tragen 
und schwer zu befolgen: die Selbstbetrachtungen des Marc Aurel, das 
Werk von der inneren Gelassenheit. Das fing ja früh an bei ihm. Mein 
Buch dagegen war Tolstoijs Krieg und Frieden, ein Buch zum Leiden 
und zum Lieben.
Berufspolitik hat es immer gegeben. Wer dies verachtet, steht
unter dem Verdacht einer unpolitischen Überheblichkeit. Max Weber,
einer der großen Lehrer auf dem geistigen Weg von Helmut Schmidt,
kannte keine Gnade für solche Verächter.
Helmut Schmidt aber verkörpert nicht diesen Berufspolitiker, 
sondern, getreu nach Max Weber, den veritablen Beruf zur Politik. 
Das ist der Ruf, im Dienst der res publica voranzugehen, statt 
mitzulaufen: Lernen und Wissen, Können und Wollen, mit Kopf und 
Herz.
In der berühmten Weberschen Spannung zwischen Gesinnungsethik und 
Verantwortungsethik folgt Helmut Schmidt der Verantwortung. Ist 
Gesinnung überhaupt eine Ethik? Sie kann das Gewissen stärken, aber 
auch vor ihm versagen. Verantwortungsethik ist Gewissensethik. Dafür 
gibt uns Helmut Schmidt das Beispiel. Mit seinem Mut erfüllte er den 
Beruf zur Politik, mit seinem Gewissen errang er seine 
Glaubwürdigkeit. Das tut uns allen gut, bis auf den heutigen Tag.
Es folgt eine PRESSE-Vorabmeldung der ZEIT Nr. 1 mit  
   Erstverkaufstag am Montag, 22. Dezember 2003
Den kompletten ZEIT-Beitrag der nachfolgenden Meldung finden Sie  
   im Anhang.
Für Rückfragen melden Sie sich bitte bei Elke Bunse, DIE 
ZEIT Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, (Tel.: 040/ 3280-217, Fax: 
040/ 3280-558, E-Mail:  bunse@zeit.de)

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