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Mittelbayerische Zeitung

Doppelte Zerreißprobe
Corona vertieft soziale Ungleichheiten in Frankreich. Das allein wäre schon Herausforderung genug für die Republik.
Leitartikel von Christine Strasser

Kommentar (ots)

Es ist ein schreckliches Déjà-vu: Fünf Jahre nach dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und dem Novemberterror packt viele Franzosen angesichts neuer Attacken wieder die Angst. Die stolze Nation kämpft gegen die Düsternis. Gleichzeitig steht der Winter der Pandemie bevor. Das Virus wirft Frankreich wie eine Zeitmaschine weit zurück bei der Überwindung sozialer Ungerechtigkeiten. Terroranschläge und Corona zusammen stürzen die Republik in eine tiefe Krise.Präsident Emmanuel Macron hat beidem den Krieg erklärt. Dazu muss er an vielen Fronten kämpfen. Lockdowns mit weitreichenden Ausgangssperren haben den wirtschaftlichen Aufschwung abgewürgt. Trotz Streiks und Protesten der Gelbwesten hatte Macron nämlich Erfolge vorzuweisen. Die Industrie baute 2019 erstmals seit Jahrzehnten wieder Jobs auf. Frankreich zog 2019 so viele Auslandsinvestitionen an wie kein anderes EU-Land. Die Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück. Und jetzt? Wirtschaftseinbruch. Um elf Prozent und mehr. Jetzt fehlen die Mittel, um das, was die Gelbwesten auf die Straßen getrieben hat, zu heilen: klaffende Ungleichheiten bei Bildungschancen, der Gesundheitsversorgung, Jobperspektiven und dem Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Es ist eine bittere Wahrheit, dassganze Landstriche in Frankreich verarmt sind. Die Arbeiterklasse ist abgerutscht. Das Gleichheitsversprechen erfüllt sich in Frankreich nicht für jeden Bürger in gleicher Weise. Vieles hängt stark davon ab, in welche Umstände man hineingeboren wurde.Eine besonders dunkle Facette der Ungleichheiten sind die Vorstädte. Dort wütet nicht nur Corona wild, sondern auch Drogen und Prostitution. In den Vorstädten wohnt, wer wenig Geld und besonders wenig Aufstiegschancen hat. Viele Bewohner sind Migranten oder deren Nachkommen. Es stimmt, dass dort zu erleben ist, welche Folgen gescheiterte Integrationspolitik hat. Hier findet sich ein gesellschaftlicher Spalt, an dem radikale Islamisten einen Hebel ansetzen können. Aber das sollte man nicht mit dem Ziel der Extremisten verwechseln. Ihr Terror dreht sich nicht um Integrationsfragen. Er richtet sich gegen das freie Leben schlechthin.Der Laizismus, ein Grundpfeiler der Republik, macht den französischen Staat zur besonderen Zielscheibe für Feinde der Meinungsfreiheit. Die Franzosen haben das laizistische Prinzip verinnerlicht. Religionskritik bis hin zur Blasphemie muss niemand begrüßen oder richtig finden, aber jeder akzeptieren. Religion wird als reine Privatangelegenheit angesehen. Unvorstellbar, dass an einer staatlichen Schule ein schweinefleischfreies Mittagessen angeboten würde. Kopftuch, Kreuz und Kippa sind für Lehrer und Schüler verboten. Frankreich verteidigt als Staat den demokratischen Wert der freien Rede und das Recht zu glauben, woran man will. Im Zweifelsfall auch an gar nichts.Eigentlich bietet der Laizismus ja insofern sogar eine besonders gute Chance für Integration. Millionen französische Muslime bekennen sich auch zu diesem Staat. Drei große Moscheen und mehrere muslimische Verbände in Frankreich haben sich gegen Terrorismus gestellt. Ihre Stimmen gehen aber schnell unter in einer öffentlichen Debatte, die von Rechtsaußen mit schrillen Wortmeldungen angeheizt wird. Insbesondere Marine Le Pen und ihre Partei Rassemblement national schielen schon auf die nächste Präsidentschaftswahl. Ihnen nutzt es genauso wie den radikalen Islamisten, wenn sich die gesellschaftliche Spaltung in Frankreich vertieft. Aber Hass ist nicht die Antwort auf Terror. Die richtige Antwort führt der französische Staat auch vor, etwa mit dem gerade laufenden Prozess gegen die Hintermänner des Anschlags auf Charlie Hebdo. Es ist das entschiedene Wirken des Rechtsstaats. Der militante Islamismus wird mit Härte verfolgt. Wer die Demokratie schätzt, unterstützt das.

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