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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Katia Meyer-Tien zu 70 Jahre Hiroshima

Regensburg (ots)

Wenn heute, 70 Jahre danach, die Friedensglocke in Hiroshima läutet, bleibt nur Staunen. Darüber, dass die Atombombe "Little Boy", die am 6. August 1945 um 8 Uhr, 15 Minuten und 17 Sekunden in 580 Metern Höhe über der japanischen Stadt explodierte, nicht den Anfang vom Ende der Welt bedeutete. Zehntausende Menschen starben an jenem 6. August. Zehntausende Menschen starben drei Tage später, bei der Explosion der zweiten Atombombe über Nagasaki. Niemand konnte die Toten je zählen, viele Körper waren restlos verdampft. Zehntausende starben in den Jahren darauf an den Folgen der Strahlung, Tausende leiden noch heute. Und doch war die erste Konsequenz der Weltpolitiker angesichts des Zerstörungspotenzials der Bombe kein "Nie wieder". Sondern ein nie gekanntes Wettrüsten. Trotz der Gründung der Vereinten Nationen, die Konflikte durch Verhandlungen lösen sollten, reagierten die USA auf den erfolgreichen Test einer Atombombe durch die Sowjetunion 1949 weiter in der Logik der Konfrontation. Und entwickelten mit der Wasserstoffbombe, die 1954 im Bikini-Atoll getestet wurde, eine Waffe mit einer Sprengkraft, die tausendfach größer war als die von "Little Boy". Die UdSSR zog nach, das Ergebnis: Ende der 1950er Jahre waren die USA und die Sowjetunion in der Lage, sich wechselseitig und auch den Rest der Welt gleich mehrfach zu vernichten. Japan hingegen schrieben die Kriegsgewinner USA einen Satz in die Verfassung, der dem Inselstaat den Unterhalt von Streitkräften verbietet. Das japanische Volk, heißt es in Artikel neun, verzichtet für alle Zeit auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation. Es ist ein einzigartiger Artikel, in Auslegung und Bedeutung umstritten, gerade angesichts der engen sicherheitspolitischen Kooperation Japans mit den USA. Aber er verhinderte im fragilen Balanceakt der Großmächte in Asien, dessen Brennpunkt immer wieder das geteilte Korea ist, lange Zeit das militärische Erstarken einer weiteren Regionalmacht. Und erlaubt einem Teil der japanischen Bevölkerung, nicht nur über das durch die Atombomben erlittene Leid zu trauern, sondern auch auf die einzigartige pazifistische Verfassung stolz zu sein. International kam der Rüstungswettlauf 1962 mit der Kubakrise an einen Wendepunkt. Die Beinahe-Eskalation vor der Küste der USA führte zur Einrichtung des heißen Drahtes zwischen den Supermächten, zum Verbot von überirdischen Atomtests, zum Atomwaffensperrvertrag. Eingesetzt worden sind die Nuklearwaffen seit Nagasaki nie wieder. Und trotzdem kann die Bilanz 70 Jahre nach dem ersten Einsatz einer Atombombe nicht positiv ausfallen. Die pazifistische Verfassung Japans, längst Symbol all jener, die um die verheerendsten Folgen des Krieges wissen, wird zur Makulatur. Schon lange zählt das Land - wie Deutschland - zu den Nationen mit den höchsten Rüstungsausgaben weltweit. Gerade hat die Regierung den Weg für Kampfeinsätze der Selbstverteidigungsstreitkräfte im Ausland freigemacht. Und: So erstaunlich es ist, dass die Menschheit angesichts des enormen selbstgeschaffenen Vernichtungspotenzials noch immer existiert, so bedrohlich ist doch die Tatsache, dass die Zahl der Staaten, die über Atomwaffen verfügen, mittlerweile auf mindestens neun angewachsen ist. Weltweit gibt es heute immer noch 16 350 Nuklearsprengköpfe, 4000 sind jederzeit einsatzbereit, fast die Hälfte davon werden rund um die Uhr in höchster Alarmbereitschaft gehalten, schätzen Experten. Ein Bruchteil davon würde genügen, die Welt doch noch zu zerstören. Es scheint, als läute die Friedensglocke von Hiroshima noch immer nicht laut genug.

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