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Mittelbayerische Zeitung: Am längeren Hebel
Die "Tierwohl-Initiative" ist nur ein Anfang. Entscheidend ist das Verhalten der Verbraucher. Leitartikel von Dagmar Unrecht

Regensburg (ots)

Zu den WM-Partys lagen sie zuhauf auf dem Grill: saftige Steaks, Rippchen und Würstchen. An Tagen wie diesen macht sich wohl kaum einer Gedanken darüber, wie Tiere leben, bevor sie auf dem Teller landen. Debatten über artgerechte Haltung eignen sich beim Essen auch nur bedingt als Gesprächsstoff. Es gibt appetitlichere Themen als zum Beispiel die Frage, ob Ferkel ohne Betäubung kastriert werden sollen. Doch zwischen den Mahlzeiten wäre durchaus Zeit, über die Produktionsbedingungen in der Lebensmittelbranche nachzudenken. Schließlich ist es der Verbraucher, der mit seiner Kaufentscheidung die Richtung vorgibt. In Umfragen geben die Deutschen regelmäßig an, dass ihnen das Tierwohl wichtig ist. Dabei spielen auch romantische Vorstellungen von freilaufenden Hühnern, Schweinen im Bilderbuchstall und Bauernhöfen inmitten grüner Wiesen eine Rolle. Die Realität sieht anders aus. An der Ladentheke ist das Wohl der Tiere keine Herzensangelegenheit mehr. Im Zweifel zählt für Verbraucher der Preis. Die Mehrheit kauft lieber billig, also Fleisch aus Massenproduktion. Denn nur über entsprechende Mengen lassen sich auch bei Schleuderpreisen noch Gewinne erzielen. Es geht hier nicht darum die Fleischproduktion im großen Stil pauschal zu verurteilen. Deren Qualität wird regelmäßig geprüft und muss hohe Standards erfüllen. Auch die Haltung der Tiere in riesigen Mastbetrieben ist durch eine Vielzahl von Vorgaben streng geregelt. Ausgefeilte Technik ist im Einsatz, im digitalen Stall wird pünktlich auf die Minute gefüttert und saubergemacht. Fleisch in großen Mengen, in guter Qualität und zu günstigen Preisen anbieten zu können, ist eine Leistung. Viele Menschen in Deutschland können dadurch ein Leben im Überfluss führen. Doch die Effizienzsteigerung im Stall hat ihre Schattenseiten: Die Bundesbürger essen mehr Fleisch und Wurst als ihnen gut tut. Kleine bäuerliche Betriebe haben es schwer, sich gegen die Großen der Branche zu behaupten. Tiere in der Landwirtschaft verkommen immer mehr zu reinen Produktionsfaktoren: Sie haben Nummern, keine Namen. Daran wird auch die "Tierwohl-Initiative" so schnell nichts ändern. Dennoch ist das geplante Bonussystem, das mehrere Handelsketten und die Land- und Fleischwirtschaft ab 2015 einführen möchten, das richtige Signal. Bauern sollen motiviert werden, die Haltungsbedingungen von Hühnern und Schweinen zu verbessern, zum Beispiel durch Tageslicht im Stall oder Heu statt Fertigfutter. Für den zusätzlichen Aufwand erhalten Landwirte Geld. Die Teilnahme ist freiwillig. Die Initiative ist schon deshalb sinnvoll, weil sie das Thema Tierschutz in den Fokus rückt. Sie ist aber auch ein Eingeständnis dafür, dass in deutschen Ställen Handlungsbedarf besteht. Kritiker befürchten, dass die Branche mit einer Flucht nach vorn nur versucht, strengere Gesetze - die dann für alle verpflichtend wären - zu verhindern. Der Einwand ist berechtigt. Sollten die Appelle wirkungslos verpuffen, muss nachgelegt werden. Wie die Tierschutz-Initiative Kunden informieren wird, steht noch nicht fest. Bio-Siegel gibt es schon genug. Wie viel "Bio" in einzelnen Produkten steckt, ist für Verbraucher aber oft schwer zu erkennen. Daher ist das Misstrauen in solche Kennzeichnungen groß. Neues Vertrauen aufzubauen, ist eine der großen Herausforderungen für die Lebensmittelbranche. Sie ist daher gut beraten, ihr Bekenntnis zum Tierschutz ernst zu nehmen und die Bürger nicht an der Nase herumzuführen. Am Ende sitzt der Kunde am längeren Hebel. Er könnte diese Macht nutzen und beim nächsten Einkauf auch an die Tiere denken.

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