Alle Storys
Folgen
Keine Story von Mittelbayerische Zeitung mehr verpassen.

Mittelbayerische Zeitung

Mittelbayerische Zeitung: Ja, aber... Karlsruhe hat richtig entschieden - nun müssen Berlin und Brüssel die richtigen Konsequenzen ziehen. Von Christian Kucznierz

Regensburg (ots)

Wäre es nach dem Willen der Mehrheit der Deutschen gegangen, so wäre der gestrige Tag anders ausgegangen. Und doch wieder nicht: Vor gut einer Woche hatten 54 Prozent der Bundesbürger in einer repräsentativen Umfrage gesagt, sie wünschten, dass die Kläger gegen ESM und Fiskalpakt in Karlsruhe Recht bekämen und beide Instrumente noch einmal rechtlich geprüft werden. Nun hat das Verfassungsgericht die Klagen abgewiesen. Die Bedenken der Kläger - und damit wohl auch die der Befragten - haben sie aber dennoch aufgegriffen. Es ist ein "Ja, aber"-Urteil geworden, wie Karlsruhe es in europäischen Fragen gerne fällt. Und das ist gut so. Schon im Vorfeld ist eines klar gewesen ist: Ein Nein zum Rettungsschirm hätte kaum absehbare Folgen gehabt. Für Deutschland und für die gesamte Europäische Union, vielleicht sogar weltweit. Die Regierung Merkel hätte sich vor dem Scherbenhaufen ihrer Euro-Politik gesehen, die Märkte hätten ein Ausscheren der größten Volkswirtschaft der Eurozone aus der bisherigen Linie als Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung verstanden und dementsprechend reagiert. Kurzum: Alles andere als ein "Ja, aber ..." aus Karlsruhe hätte fatale Folgen gehabt. Die Bundesregierung hat also irgendwie gewonnen, ja. Aber die Gegner auch. Deutschland darf nicht mit mehr als 190 Milliarden Euro für die Eurorettung haften. Karlsruhe hat klargestellt, dass die Obergrenze, die zwar immer wieder genannt wird, eben nicht klar genug gesetzt ist. Berlin muss also nachbessern. Und für den Fall, dass die rote Linie einmal doch wieder nicht die letzte ihrer Art gewesen sein sollte, geht nichts ohne die Zustimmung des Parlaments. Auch das haben die Richter in Rot gestern Merkel und Co. ins Hausaufgabenheft geschrieben. Kein Wunder, dass selbst die Linke, die ESM und Fiskalpakt bekämpft, das Urteil für gut befindet. Das mit dem "Ja, aber" stimmt jedoch auch in ganz anderer Hinsicht. Denn selbst wenn es eine Obergrenze für die deutsche Beteiligung an der Eurorettung gibt, so steht die Eurozone seit vergangener Woche vor der Situation, dass die Europäische Zentralbank künftig selbst Anleihen kränkelnder Euro-Staaten kaufen darf - und das in unbegrenzter Höhe. Was nichts anderes heißt, als dass die EZB Geld druckt, und dass damit auch der deutsche Steuerzahler in unbegrenzter Höhe für die Schulden anderer haften wird. Und das ohne Kontrolle durch ein gewähltes Parlament. Zwar will Karlsruhe noch prüfen, ob dieses Vorgehen rechtens ist. Doch bis dahin könnte schon viel Geld verbrannt worden sein. Die Ironie an der Sache ist, dass die EZB sich zu ihrer Blankoscheck-Entscheidung vielleicht deswegen gezwungen sah, weil die deutschen Klagen das Inkrafttreten des ESM verzögert haben, und die Währungshüter fürchteten, ohne Garantieaussage könnte der Euro noch stärker unter Druck geraten. Daraus abzuleiten, dass die Entscheidungen zur Krisenbekämpfung möglichst schnell durchgeboxt werden sollten, wäre aber falsch. Und so ist es zwar schön und gut, wenn EU-Kommissionspräsident Barroso seine Pläne für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft skizziert, weil er damit eine Richtung vorgibt, ein Ziel, wohin die Reise führen soll. Aber für den Moment ist es fatal, weiter aufs Gaspedal zu drücken. Die Europäische Gemeinschaft ist ein Konstrukt aus Staaten, und diese sind für die Menschen da, nicht umgekehrt. Die verbreitete Skepsis gegenüber der EU und der Euro-Rettung hat viel damit zu tun, dass kaum einer mehr versteht, wofür er mit Steuergeldern in dreistelligen Milliardenbeträgen haften soll. Die eingangs genannte Umfrage ist ein Symptom dafür. Die 37 000 (!) Bürger, die sich der Beschwerde des Vereins "Mehr Demokratie" vor dem Verfassungsgericht angeschlossen hatten, ebenso. Nicht nur in Berlin sollten sich die Verantwortlichen dies vor Augen halten. Gegen ein Europa, auf das die Bürger keine Lust mehr haben, helfen keine Rettungsschirme mehr.

Pressekontakt:

Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Mittelbayerische Zeitung
Weitere Storys: Mittelbayerische Zeitung