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NRZ: Nichts ist mehr, wie es war - Kommentar zur Wahl Von Rüdiger Oppers

Essen (ots)

Was in Baden-Württemberg an der Wahlurne geschehen ist, war mehr als eine Ländle-Wahl; es war ein Umsturz. Seit dem Krieg war das vielgerühmte Musterland die sprichwörtliche Hochburg der CDU. Ein perfektes Pendant zur Alpenfestung der CSU in Bayern und der Gegenpol zum "roten" NRW. Nun ist nichts mehr, wie es war. Der grün-rote Sieg hat Bewegung in die fest gefügte politische Architektur der Republik gebracht: das rot-grüne Projekt feiert ein Comeback - allerdings unter veränderten Vorzeichen. Erstmals wird die Republik wohl einen grünen Ministerpräsidenten erleben - und das ausgerechnet im Stammland der CDU. Menschen wie Filbinger, Teufel und Oettinger waren Symbolfiguren für eine quasi naturgegebene Herrschaft des Konservativismus über das Ländle. Ein blinder Fortschrittsglaube in Verbindung mit sturem Gewohnheitsdenken hat die bürgerliche Mehrheit von der gesellschaftlichen Wirklichkeit getrennt. Schon bei dem zu lange unterschätzten Projekt "Stuttgart 21" haben Regierende die Frustration ihrer vermeintlich Schutzbefohlenen sträflich missachtet. Daraus resultierte eine Bürgerbewegung, die den neuen Star der CDU-Rechten, Stephan Mappus, aus dem Amt fegte. Ausschlaggebend für den Erdrutsch war dann die Nuklearkatastrophe in Japan. Die "Atomkraft-Nein-Danke"-Renaissance hat den Grünen unerwartet viel Schwung verschafft. Vollends verzweifelt muss die Kanzlerin sein. Erst ist ihre Traumkoalition von Union und Liberalen schlecht gestartet, dann kamen Skandale, Krisen und Pech hinzu. Nichts davon konnte sie, die sonst vom Glückslos stets begünstigte Erbin Helmut Kohls, unter Kontrolle bringen, geschweige denn gelang ihr, ein eigenes Programm erfolgreich in Szene zu setzen. Aus "Miss World" wurde "Mutti" und dann "Miss Murks". Verloren wurde die Wahl nicht nur in Stuttgart. Ebenso wenig hat der wackere, aber letztendlich untaugliche Herr Mappus die alleinige Verantwortung für das Desaster zu tragen. Angesichts großer Herausforderungen hat die Bundesregierung in den Augen der Bevölkerung grandios versagt. Die aktuellen Landtagswahlergebnisse sind die Quittung für das Taumeln und Trudeln, das Zagen und Zaudern, die Wort- und Ideenlosigkeit in Berlin. Obwohl die Atomkatastrophe am anderen Ende der Welt das Leben von unschuldigen Menschen bedroht, fühlen auch wir uns betroffen; das ist nicht mehr als menschlich. Darauf hat die Bundesregierung keine Antwort gefunden. Weder eine tröstliche, noch eine herausfordernde. Am Schlimmsten ist, dass die Akteure scheinheilig wirken. Was viele zu ahnen glaubten, dass nämlich der schnelle Atomausstieg nur ein Täuschungsmanöver ist, wurde vom Wirtschaftsminister in einer kabarettreifen Einlage vor Industriebossen sogar eingeräumt. Auch dafür haben die Wähler gestern die Quittung präsentiert. Schlimm getroffen hat es Guido Westerwelle. Er hat alles dafür getan, dass die FDP ganz und gar als " seine Partei" wahrgenommen wird, was sich jetzt rächt. Ab heute wird "seine Partei" darüber entscheiden, welche Position und wie viel Macht sie dem einstigen Sonnenkönig noch zubilligen will. In Rheinland-Pfalz hat der grundsolide Kurt Beck zwar nicht verloren. Ein erstklassiger Sieg war es aber nicht. Beck ist zur Symbolfigur der guten, alten Tante SPD geworden, der man sich irgendwie verbunden fühlt, weil sie eigentlich mehr könnte, wenn sie nur wollte. Für Schwarz-Gelb markiert der Wahltag den Anfang vom Ende. Im Bundesrat droht eine Blockade und unser Land kann sich nicht noch mehr Stillstand leisten. Gerhard Schröder hatte in vergleichbarer Situation Neuwahlen herbeigeführt.

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