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WAZ: Paris-Moskau-Berlin-Gipfel: Der russische Wolf zeigt Zähne - Kommentar von Joachim Rogge

Essen (ots)

Die Eisenfaust hatte Wladimir Putin in der
Asservatenkammer des Kreml gelassen, hatte beim Gipfel im 
nordfranzösischen Compiègne statt dessen die Feiertags-Samthandschuhe
angezogen. Als verlässlicher, moderater Partner mit nur den 
allerbesten Absichten präsentierte sich der Kremlchef sehr zur Freude
Jacques Chiracs.
Nichts soll die Freundschaft zwischen Élysée-Palast und Kreml trüben.
Dass sich die Russen gerade klammheimlich, ohne die französischen
und deutschen Partner auch nur zu informieren, beim gemeinsam 
geführten Rüstungskonzern EADS einkauften und dabei unverhohlen auch 
auf Mitsprache in unternehmerischen Entscheidungen schielen, vermag 
Präsident Chirac offenkundig ebenso wenig zu irritieren wie die 
handfeste Moskauer Drohung, dem französischen Ölkonzern Total die 
Lizenz für die Ausbeutung eines sibirischen Ölfelds zu entziehen. Der
russische Wolf zeigt Zähne - und Paris lächelt dazu.
Russland ist unter Putin entschlossen, sein neues politisches 
Gewicht strategisch klug zu nutzen. Das Land, das nur acht Jahre nach
seiner de-facto-Pleite heute vor Kraft und Geld kaum laufen kann, 
will mit aller Macht in die Beletage der europäischen 
Spitzentechnologie einziehen, auch wenn Putin Moskaus Absichten im 
Prunkschloss von Compiègne demonstrativ herunterspielte. Er weiß nur 
zu gut: Der Hunger nach russischem Gas, die europäischen Rivalitäten 
auch im Energiebereich, zwingen zu Zugeständnissen, die der starke 
Mann im Kreml für die eigenen Ziele geschickt zu nutzen weiß. Putin 
nutzt den Energiehebel als politisches Instrument, um Russlands 
Einfluss als Wirtschaftsmacht auf der europäischen Bühne dauerhaft zu
verankern. Die Luft- und Raumfahrtindustrie etwa, Europas Stolz, ist 
ein strategischer Bereich, in dem das russische Riesenreich trotz 
aller Erfolge in der Vergangenheit heute erheblichen Nachholbedarf 
hat.
Mit Chirac hat Putin einen politischen Partner zur Seite, der das
russische Spiel um strategischen Einfluss in Zukunftsmärkten ohne 
erkennbare Reserve mitspielt und in dem Mann aus Moskau einen engen 
Freund sieht, dem man lästige Fragen nach seinen wirklichen Absichten
möglichst er-spart. Wird schon gut gehen, meint Chirac.
Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel es nicht eilig hatte, sich in 
Compiègne dazu zu gesellen, beim Gipfel sogar mit einiger Verspätung 
eintraf, hatte vor diesem Hintergrund fast schon einen gewissen 
Symbolcharakter. Wo kritische Distanz auf der Strecke bleibt, wachsen
die Risiken.

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Telefon: (0201) 804-8972
zentralredaktion@waz.de

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