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WAZ: Neue Schuldenregeln Eine einmalige Chance - Leitartikel von Stefan Schulte

Essen (ots)

Sich selbst an die Kandare zu nehmen, liegt nicht in
der Natur des Menschen. Warum also sollten ausgerechnet Politiker, 
die fürs Ausgeben fremden Geldes gewählt werden, sich freiwillig 
zügeln? Der Sozialdemokrat Alex Möller war 1970 der letzte 
Bundesfinanzminister, der einen ausgeglichenen Haushalt vorlegte. 
Seitdem ist die Volksweisheit "Spare in der Zeit, dann hast Du in der
Not" unzählige Male bemüht, aber nicht einmal mehr befolgt worden. 
Nun, 37 Jahre später, soll sie wieder zum Grundsatz deutscher 
Finanzpolitik werden.
Der Zeitpunkt ist perfekt: Die Steuern sprudeln, der Aufschwung 
haucht unseren Politikern das nötige Quäntchen Selbstvergessenheit 
ein. Und die Große Koalition hat den Vorteil, dass Wahlgeschenke 
keiner Volkspartei einen Vorteil brächten. Kurzum: Unsere Politiker 
können es sich derzeit leisten, weitsichtig zu sein. Nur so geht es. 
Immerhin müssen sie für neue Schuldenregeln das Grundgesetz ändern.
Einig ist man sich, dass die alte Regelung ausgedient hat. Bisher
darf der Finanzminister so viele Schulden machen, wie er investiert. 
Das hat dazu geführt, dass der Staat sich auch in guten Jahren Geld 
geliehen hat, statt es zurückzuzahlen. Und in ganz schlechten durfte 
er noch das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht für gestört und damit
alle Begrenzungen für nichtig erklären. Als Folge zahlen wir nun 
jedes Jahr rund 40 Milliarden Euro nur für Zinsen.
Einer der beiden Lösungsvorschläge springt deshalb zu kurz: Statt
der Bruttoinvestitionen könnten die Nettoinvestitionen zur Grenze 
werden. Damit wäre nur das falsche Prinzip etwas abgeschwächt. Ein 
Neuanfang wäre dagegen Variante zwei: Für den gesamten 
Konjunkturzyklus wird eine Schuldenschranke festgesetzt, zum Beispiel
ein Defizit von 0,5 Prozent. Höhere Schulden im Abschwung müssten 
durch Überschüsse im Aufschwung ausgeglichen werden. Theoretisch. 
Dass man auch dieses EU-Prinzip brechen kann, haben ausgerechnet die 
Deutschen mehrfach bewiesen. Dennoch wäre dieser Weg der richtige.
Allerdings sind die zwei Jahre bis zur Bundestagswahl in 
politischer Zeitmessung schon wieder knapp. Die neuen Regeln müssen 
ein Bundes- und 16 Länderfinanzminister unterschreiben. Steinbrücks 
Plan, mehr Schulden machen zu dürfen als die Länder, ist dem nicht 
dienlich. Auch wird die Hilfe für strukturschwache Länder kniffelig. 
Deshalb sollten sich die Finanzminister ihrer Verantwortung gewahr 
werden: Sie haben die seltene Chance, einmal nicht nur in 
Plakatphrasen Zukunft zu gestalten.

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