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BERLINER MORGENPOST: Nur eine Atempause für die Euro-Retter - Leitartikel

Berlin (ots)

Das Glas ist halb voll, könnte man meinen: Die Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Staaten haben auf ihrem Brüsseler Krisengipfel offenbar erhebliche Fortschritte erzielt. Bei der Rettung Griechenlands werden jetzt dem Vernehmen nach doch private Gläubiger beteiligt, Angela Merkel hat den französischen Präsidenten und den Chef der Europäischen Zentralbank davon überzeugt. Das ist ein beachtlicher Erfolg für die Kanzlerin. Auch in anderen, durchaus wichtigen Detailfragen ist man in Brüssel augenscheinlich vorangekommen. Gemessen an dem, was man vor Tagen noch erwarten durfte, ist der Gipfel eine erfreuliche Überraschung. Tatsächlich aber ist das Glas halb leer. Ziel des Gipfels war es, die Angst vor einer Ausweitung der Krise auf immer mehr Länder zu lindern. Ob das gelungen ist, ist fraglich. Und das Grundübel der Euro-Krise - dass Griechenland seine Staatsschulden aus eigener Kraft nicht mehr bedienen kann - bleibt bestehen. Die avisierte Umschuldung ist viel zu klein, um Griechenlands Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen. Das Land wird am Tropf der Euro-Partner bleiben. Die Garantien, die der europäische Rettungsfonds für neu ausgegebene, lang laufende griechische Staatsanleihen gewähren soll, haben ebenfalls den Charakter einer dauerhaften Alimentierung. Aus dem Rettungsfonds, einst als Feuerwehr zur Bekämpfung akut aufgetretener Krisen gegründet, wird auf diese Weise mehr und mehr zu einem Vehikel für einen institutionalisierten europaweiten Länderfinanzausgleich. So gesehen steht das Brüsseler Treffen für einen weiteren Schritt in Richtung Transferunion - Merkels Teilerfolg in Sachen Gläubigerbeteiligung ist folglich teuer erkauft. Prompt sind die Zinsen, die Geldgeber beim Kauf deutscher Staatsanleihen verlangen, gestern gestiegen. Deutschland hat, mit anderen Worten, ein Stück Kreditwürdigkeit verloren, weil sich an den Märkten der Eindruck verfestigt, dass der hiesige Steuerzahler nicht nur für die Staatsschulden anderer Länder bürgen wird - sondern am Ende tatsächlich auch einen erheblichen Teil der Last abtragen soll. Weltfremdheit wird jedem vorgeworfen, der einen wirklichen Befreiungsschlag fordert: So funktioniere Politik ganz einfach nicht; wie bei anderen komplexen Problemen - etwa der Reform von Gesundheitswesen oder Rentensystem - sei nur eine sukzessive Herangehensweise machbar. Doch wer so argumentiert, missversteht den Charakter der Euro-Krise. Jede Atempause, die sich Europas Politik in dieser Sache verschafft, hat einen hohen Preis. Denn die Probleme werden in der Zwischenzeit nur noch größer, und das in einem dramatischen Tempo. Wäre im Frühjahr vergangenen Jahres eine durchgreifende Lösung für das Griechenland-Problem gefunden worden, hätte zumindest Portugal womöglich nie unter den Rettungsschirm flüchten müssen. Der vermeintlich pragmatische Ansatz dagegen, immer nur so viel zu tun wie gerade unbedingt nötig: Er hat dazu geführt, dass Griechenlands Schuldenberg heute noch gewaltiger ist als vor Jahresfrist - und dass inzwischen sogar ein Land wie Italien als Kandidat für eine Schuldenkrise gilt. Die Politik der Trippelschritte ist anderthalb Jahre lang ausprobiert worden. Weitere anderthalb solcher Jahre kann sich Europa nicht leisten.

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