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Berliner Morgenpost: Ein Entlastungsangriff, der keine Chance hatte - Leitartikel

Berlin (ots)

Der Glanz des Sieges bei der Bundestagswahl ist
dahin. Gerade mal 100 Tage (exakt am Donnerstag) im Amt, laufen der 
christlich-liberalen Koalition immer mehr Wähler schon wieder davon. 
Ein Vertrauensverlust, der von der Bundes- auf die Landesebene 
durchschlägt. Besonders bedrohlich ist das im Augenblick für das 
schwarz-gelbe Kabinett in Düsseldorf. Dort wird am 9. Mai ein neuer 
Landtag gewählt. Laut Meinungsumfragen müssen Ministerpräsident 
Jürgen Rüttgers (CDU) und sein Stellvertreter Andreas Pinkwart (FDP) 
um die Fortsetzung der gemeinsamen Regierung bangen. Weil das 
bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen als politisches 
Schlüsselland gilt, kann das bei den Bedrängten schnell mal zu 
Panikreaktionen führen.
In derartigem Seelenzustand hat Pinkwart, der zugleich 
Vizevorsitzender der Bundes-FDP ist, zum Rückzug von der 
Steuerhalbierung bei Hotelübernachtungen geblasen. Diese mit viel 
Bürokratismus verbundene neue Subvention und die 
Millionen-Parteispende ausgerechnet aus der Hotelbranche hat die FDP 
Glaubwürdigkeit gekostet, die brandgefährlich werden kann. Geht 
Schwarz-Gelb in der quasi kleinen Bundestagswahl "über die Wupper", 
verliert die Bundesregierung potenziell ihre Mehrheit im Bundesrat. 
Damit wäre die Chance der Berliner Koalition dahin, ihre Vorhaben bis
hin zur großen Steuerreform ohne Berücksichtigung der Opposition 
durchzusetzen.
Pinkwart hat bei seinem Entlastungsvorstoß also viel bedacht; sich 
vielleicht sogar an die SPD und deren Erfahrung mit Hartz IV 
erinnert. Seine Argumentation, gute Politik korrigiere sich, wenn sie
den Praxistest nicht besteht, ist nachvollziehbar.
Wie ist es von allen Seiten zu Recht verhöhnt und verspottet worden, 
das Steuergeschenk an die Hoteliers. Warum also sollten nicht auch 
Politiker Fehler eingestehen und auf Änderung pochen? Selbst wenn 
wahltaktische Überlegungen im konkreten Fall wohl ausschlaggebend 
sind. Aber leider ist das Herrn Pinkwart alles ein paar Tage zu spät 
eingefallen.
Im Hochgefühl der neuen Macht lässt Parteichef Guido Westerwelle als 
100-Tage-Bilanz bundesweit längst plakatieren, dass die FDP "Wort 
gehalten" habe. Da gibt's kein Zurück mehr. Fazit des 
Pinkwart-Vorstoßes: Die Verwirrung in der Berliner Koalition ist um 
eine Variante reicher.
Dass die Verlierer die Sieger vom 27. September in den vergangenen 98
Tagen immer häufiger vor sich hertreiben konnten, war schwerlich zu 
erwarten. Kampfbegriffe wie Klientelpolitik, Käuflichkeit oder 
Lobbyismus werden der Opposition fast frei Haus geliefert. Und die 
stoßen durch die noch immer nicht schlüssige Politik der Regierung 
Merkel/Westerwelle zunehmend auf Resonanz in der Bevölkerung.
Statt ihre 100-Tage-Bilanz blank zu polieren, muss die Koalition 
einmal mehr Inhalt und Stil ihrer Politik selbstkritisch überprüfen. 
Sehr glaubwürdig ist das alles bislang nicht. Und wenn es für 
Schwarz-Gelb an Rhein und Ruhr schiefgeht, droht auch in Berlin 
Panik.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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