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Weser-Kurier

Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 9. Juni 2010 die Kandidatur Luc Jochimsens für das Amt des Bundespräsidenten:

Bremen (ots)

Unfreiwillig komisch

von Joerg Helge Wagner Zumindest wird sich nun niemand mehr darüber mokieren können, dass SPD und Grüne einen 70-Jährigen ins Rennen ums höchste Staatsamt schicken: Luc Jochimsen, die Kandidatin der Linken, wurde noch vier Jahre vor Joachim Gauck geboren - im Westen übrigens, in der fränkischen Metropole Nürnberg. Die streitbare Journalistin wird ihre pensionäre Politik-Karriere nun also als reine Zählkandidatin für die Bundespräsidentschaft beenden. Damit begibt sie sich in illustre Gesellschaft: Annemarie Renger, Luise Rinser, Hildegard Hamm-Brücher, Dagmar Schipanski, Uta Ranke-Heinemann, Gesine Schwan. Dass ausgerechnet die vermeintlich progressive Linke diese Dokumentation mangelnder Emanzipationsbereitschaft abermals verlängert, ist unfreiwillig komisch. Von gleicher Komik sind aber auch die taktischen und dialektischen Verrenkungen der Dunkelroten. Fangen wir bei der Taktik an. Wenn man als Partei gerade zehn Prozent der Delegierten in der Bundesversammlung stellt, kann man doch nur ohne eigene Kandidatin etwas bewirken: Indem man gleich im ersten Wahlgang den Kandidaten der beiden größeren Oppositionsparteien unterstützt, auf ein paar Abweichler aus dem Regierungslager hofft und so die absolute Mehrheit des schwarz-gelben Favoriten verhindert. Im Idealfall hätte man ihn sogar gleich ganz hinausgekegelt. Beim Duell Christian Wulff gegen Joachim Gauck konnte das niemand ausschließen; entsprechend groß war ja auch zuletzt die Nervosität bei CDU, CSU und FDP. Nun aber können sich Angela Merkel, Christian Wulff, Guido Westerwelle und Horst Seehofer bei der Linken-Doppelspitze Gesine Lötzsch und Klaus Ernst ganz herzlich bedanken: Die von den beiden durchgedrückte Kandidatur Jochimsens macht einen Durchmarsch Wulffs wahrscheinlicher als je zuvor. Sie ist ein Signal an die schwarz-gelben Delegierten, nun ja die Reihen zu schließen und alle Flirts mit dem ehrenwerten Herrn Gauck einzustellen, um die Gefahr einer krachenden Niederlage im Ansatz zu bannen. Da die beiden linken Strategen damit auch noch den genialen Schachzug von SPD und Grünen ausgehebelt haben, ist zudem die Atmosphäre für irgendwelche rot-rot-grünen Koalitionsträumereien auf längere Sicht nachhaltig vergiftet - Merkels Mundwinkel dürften gestern locker die Ohrläppchen erreicht haben. Zur Erheiterung tragen schließlich auch die zahlreichen Wortbeiträge aus der linken Chefetage bei. Der große Vorsitzende Ernst bekundet Respekt für "die großen Verdienste von Herrn Gauck", traut ihm aber "in Zeiten von Sparprogrammen" nicht die Rolle eines "Anwalts der kleinen Leute" zu. Klar, das kann die pensionierte Chefredakteurin einer großen Rundfunkanstalt mit Wohnsitzen in Hamburg und im Veneto, die einst Gerhard Schröder bejubelte, viel glaubhafter vermitteln. Ist ja auch egal, denn im zweiten Wahlgang müsse die Linke ohnehin geschlossen für Gauck stimmen, um Wulff zu verhindern, wie Bundestags-Fraktionsvize Dietmar Bartsch betont. Für den Linken-Fraktionschef in Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter, wäre das sogar ein schönes "Zeichen unserer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit". Genau! Denn Gauck ist ja "jemand, der für die Vergangenheit steht" - mit diesen Worten begründete Holter noch am Freitag Gaucks Unwählbarkeit für die Linke. In Dialektik lassen sich auch Post-Kommunisten von keinem übertreffen. Was also spricht aus linker Sicht für Frau Jochimsen? Seit sie im Bundestag sitzt, ist sie entschieden dagegen eingetreten, die Stasi-Überprüfung von Mitarbeitern im Öffentlichen Dienst zu verlängern. Das aber sollte für alle anderen demokratischen Parteien eindeutig gegen sie sprechen. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de

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