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Börsen-Zeitung: Populismus pur, Kommentar von Michael Flämig zur Kritik an Siemens im Zusammenhang mit der Pleite von BenQ Mobile in Deutschland

Frankfurt (ots)

In der Manege wird Siemens gejagt, und auf den
Rängen fordert das Volk: ein Opfer, ein Opfer! Diesem Druck hat der 
Vorstand mit seiner Verschiebung einer Gehaltserhöhung nachgegeben - 
und dies per "Bild-Zeitung" der rasenden Masse offenbart. Außerdem 
wird, so wie der Kaiser im römischen Zirkus Getreidespenden verteilen
ließ, ein Hilfsfonds gefüllt.
Cui bono? Die Geschenke im Altertum sicherten das Überleben armer 
Römer, und der Fonds hilft in Härtefällen. Das ist gut so, weil es 
menschlich ist. Nutznießer ist auch Siemens. Der Konzern und Chef 
Klaus Kleinfeld nehmen der Kritik die Spitze, und dies ist die 
richtige Taktik. Es war höchste Zeit für ein Signal des 
Entgegenkommens.
Trotzdem sind die Aktionen populistisch. Warum? Der zeitweise 
Verzicht auf das Gehaltsplus ist nicht Resultat eines Diskurses über 
den richtigen Zeitpunkt einer Erhöhung, sondern ein Reflex auf den 
Druck der Straße. In einem Jahr kann der 30%-Aufschlag genauso 
unangemessen sein wie heute, oder aber es können 50% richtig sein. 
Der Fonds, den die Aktionäre bezahlen, kann ebenfalls nicht 
vernünftig begründet werden. Mit dem Verkauf an BenQ endete die 
unternehmerische Haftung. Natürlich haben die Münchner auch eine 
moralische Verantwortung. Dieser sind sie gerecht geworden, indem sie
hunderte Millionen Euro ins BenQ-Geschäft leiteten - doppelt so viel 
wie bei einer arbeitsplatzgefährdenderen Variante des Verkaufs. Der 
Populismus ist verständlich angesichts des Drucks, der sich auch in 
persönlichen Bedrohungen niederschlug. Der Konzern ist mit Argumenten
nicht angekommen gegen populistischen Unsinn nach dem Strickmuster 
"Siemens hat Mitarbeiter arglistig bei BenQ entsorgt". Die 
Siemens-Reaktion ist dennoch schwer erträglich, denn sie ist eine 
Kapitulation der Ratio.
Am Beispiel Siemens wird implizit auch eine Standortdebatte 
geführt. Die Frage lautet: Bekennen sich Multis zu ihrer 
Verantwortung in der Heimat? Die Kritiker haben hier einen 
Pyrrhussieg errungen. Siemens füllt zwar den Hilfsfonds, wird aber 
wie andere Konzerne den Aufbau von Stellen noch stärker scheuen. Wenn
sich die Öffentlichkeit für Hightech-Kompetenz in Deutschland mit 
gleicher Verve engagierte wie für die Massenfertigung von Handys, 
würde dies viel mehr als nur 3000 Arbeitsplätze retten. Aber 
komplizierte Themen eignen sich nicht für Populismus.
(Börsen-Zeitung, 4.10.2006)

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