Allensbach-Studie: Deutsche Industrie verliert Halt – Schlüsselbranchen zweifeln an eigener Zukunft
Erwarteter Verlust deutscher Technologieführerschaft
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Allensbach-Studie: Deutsche Industrie verliert Halt – Schlüsselbranchen zweifeln an eigener Zukunft / Erwarteter Verlust deutscher Technologieführerschaft
Die deutsche Industrie steckt nicht nur in einer Rezession – sie zweifelt an ihrer eigenen Zukunft. Die Mehrheit (51 Prozent) der Maschinen- und Anlagenbauer geht davon aus, die Technologieführerschaft an das Ausland zu verlieren. 57 Prozent der Automobil-Zulieferer nehmen den Kampf um chinesische OEMs als Kunden gar nicht erst auf. In der energieintensiven Industrie scheinen die Mittel zur Eindämmung hoher Energiepreise weitgehend erschöpft. Das zeigt eine aktuelle Befragung von Vorständen und Geschäftsführern deutscher Industrieunternehmen durch das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Unternehmensberatung FTI-Andersch.
- Wo der Kreditzugang erschwert ist, stoppen 90 Prozent der Unternehmen Investitionen, fast die Hälfte baut Arbeitsplätze ab
- Fast jedes zweite Industrieunternehmen ist stark vom globalen Protektionismus betroffen – die meisten reagieren jedoch unzureichend
- 30 Prozent der energieintensiven Unternehmen reduzieren Produkte, 22 Prozent verlagern Produktionsprozesse ins Ausland
83 Prozent aller befragten Unternehmen sehen ihre Planbarkeit verschlechtert, fast jedes zweite ist stark vom weltweit zunehmenden Protektionismus betroffen, und 18 Prozent berichten von einem erschwerten Kreditzugang – mit Investitionsstopps und Arbeitsplatzabbau als Folge.
„Über Konjunktur, Wachstumsraten und Standortbedingungen ist in den vergangenen Jahren bereits intensiv gesprochen worden“, sagt Christian Säuberlich, Sprecher des Vorstands von FTI-Andersch und Country Leader von FTI Consulting in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH). „Diese Untersuchung zeigt, dass die Probleme deutscher Schlüsselindustrien tiefer liegen: Sie liegen in der Wettbewerbsfähigkeit einer Vielzahl der Unternehmen – und nicht nur in externen Rahmenbedingungen. Die Allensbach-Untersuchung macht erkennbar, warum Deutschland im internationalen Wettbewerb zurückfällt.“
Maschinen- und Anlagenbau: Verlust der Führungsrolle wird von der Mehrheit der Befragten erwartet
Die deutschen Maschinenbauer erleben einen historischen Bruch: „Die Mehrheit geht heute davon aus, dass die Technologieführerschaft künftig nicht mehr in Deutschland liegt, sondern im Ausland, zum Beispiel in den USA und China. Das ist ein signifikanter Wandel im Selbstverständnis einer Branche, die jahrzehntelang als weltweiter Qualitätsmaßstab galt“, sagt Christian Säuberlich.
51 Prozent der Unternehmen erwarten den Verlust der Technologieführerschaft, 70 Prozent wären davon nach eigner Aussage stark oder sehr stark betroffen. 93 Prozent rechnen zudem mit einem breiteren Markteintritt chinesischer Hersteller in Europa, rund zwei Drittel (62 Prozent) halten diesen für bereits eingetreten oder sehr wahrscheinlich. Zwar investieren betroffene Unternehmen in klassische Gegenmaßnahmen: 86 Prozent in Softwarekompetenz, 73 Prozent in schnellere Innovationszyklen, 66 Prozent in Nischenstrategien. Doch disruptive Schritte bleiben die Ausnahme: Nur ein Fünftel plant Beteiligungen an Start-ups, immerhin ein Drittel denkt über Geschäftsmodelle nach, in denen die Produktion von Maschinen und Anlagen ergänzt ist durch Dienstleistungen, die mit den eigenen Produkten nicht mehr in Zusammenhang stehen.
„Dass eine Mehrheit der Unternehmen nicht mehr an die eigene Führungsrolle glaubt, ist ein nicht zu ignorierendes Warnsignal“, sagt Christian Säuberlich. „Das wird spürbare Auswirkungen auf den Sektor haben. Gleichzeitig lassen die Zahlen erkennen, dass jeder Zweite bereit ist, den internationalen Wettbewerb anzunehmen. Dies ist entscheidend, um genau die transformatorischen Schritte zu gehen, welche die künftige Qualitäts- und Marktführerschaft sichern.“
Automotive: Zusammenarbeit mit chinesischen OEMs nicht vorbereitet, Mehrheit plant dies auch nicht
Die deutschen Automobilunternehmen stehen an einem Wendepunkt: „Strukturelle Herausforderungen ihres Geschäftsmodells werden inzwischen offen eingeräumt. Bislang wurden diese häufig als vorübergehend skizziert, doch diese Hoffnung scheint zunehmend zu schwinden“, sagt Christian Säuberlich.
64 Prozent erwarten, vom Rückgang des Verbrennermarkts betroffen zu sein, mehr als ein Drittel fühlt sich davon stark oder sehr stark betroffen. Dennoch hält über die Hälfte an Produkten und Dienstleistungen rund um den Verbrenner fest. 83 Prozent der Zulieferer halten eine Zusammenarbeit mit chinesischen Herstellern für schwierig, fast die Hälfte (47 Prozent) sogar für sehr schwierig. Nur eine Minderheit baut gezielt Produkte oder Kapazitäten für diesen Markt auf: Nur 25 Prozent bauen gezielt Vertriebsstrukturen zu chinesischen Herstellern mit Präsenz in Europa auf oder planen das, 19 Prozent entwickeln gezielt Produkte, die auf die technischen Anforderungen chinesischer Autohersteller ausgerichtet sind oder planen das. Die Mehrheit (57 Prozent) nimmt damit den Kampf um chinesische OEMs gar nicht erst auf.
Statt in das eigene Kerngeschäft zu investieren, suchen 79 Prozent der vom Strukturwandel direkt betroffenen Unternehmen nach Geschäft in anderen Branchen, darunter besonders viele im Bereich Rüstung (25 Prozent), gefolgt von Energie, Luftfahrt, Medizintechnik und der Bahnindustrie.
„Die öffentliche Debatte über ein verschlafenes Tempo bei der E-Mobilität greift zu kurz“, sagt Christian Säuberlich. „Die Allensbach-Zahlen zeigen, dass die heutigen Probleme vieler Zulieferer auf mehreren Ebenen entstanden sind: von der kaum vorbereiteten Zusammenarbeit mit in Europa expandierenden chinesischen OEMs, bis hin zur Abhängigkeit vom schrumpfenden Verbrennermarkt. Chinesische Wettbewerber werden sich nicht aufhalten lassen, die Frage ist nur, wie man sich dazu positioniert. Für einige Unternehmen kann der Vorstoß in andere Branchen eine strategisch richtige Option sein. Klar ist aber: Das wird nicht für alle funktionieren. Und die Transformation dorthin wird die Unternehmen im Kern deutlich verändern.“
Energieintensive Industrie: Strategische Optionen scheinen ausgeschöpft
Nahezu alle Unternehmen in energieintensiven Branchen halten eine Abwanderung vieler Unternehmen ihrer Branche aus Deutschland für wahrscheinlich – 94 Prozent insgesamt, mehr als die Hälfte (56 Prozent) sogar für sehr wahrscheinlich. Nur sechs Prozent sehen diese Gefahr nicht oder kaum.
„Ein Hauptgrund sind die hohen Energiepreise in Deutschland“, sagt Christian Säuberlich. Die Reaktionen darauf: 93 Prozent haben Effizienzprogramme aufgelegt beziehungsweise planen dies, 86 Prozent setzen auf eigene Energieerzeugung, zwei Drittel (68 Prozent) schließen langfristige Direktverträge ab. 30 Prozent reduzieren Produkte, 22 Prozent verlagern Produktionsschritte ins Ausland.
Zusätzlich verschärft der außereuropäische Wettbewerbsdruck die Lage: Mehr als die Hälfte der Unternehmen (56 Prozent) fühlt sich stark, 23 Prozent sogar sehr stark unter Druck. Außereuropäische Wettbewerber profitieren von niedrigeren Energiepreisen, staatlichen Subventionen und weniger strengen Regularien. Um dem zu begegnen, investieren nahezu alle betroffenen Unternehmen in Automatisierung und Digitalisierung (98 Prozent), daneben viele in Spezialisierung (72 Prozent) oder in Markenstrategien wie „Made in Europe“ (71 Prozent).
“Viele Unternehmen in der Studie haben angegeben, dass sie aktuell kaum weitere Maßnahmen zur Transformation planen. Das wäre ein Fehler“, sagt Christian Säuberlich. „Das deckt sich auch nur partiell mit unserer Beobachtung in der Praxis. Dort sehen wir deutlich häufiger, dass Eigentümer und Management bereit sind, große Veränderungsschritte zu gehen, um die Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten. Für viele bedeutet das konkret: Prozesse werden ins Ausland verlagert, die Wertschöpfung wird auf Kernprodukte fokussiert und wir sehen starke Bemühungen, staatliche Förderungen einzustreichen. Entscheidend ist es, jetzt aktiv diese Schritte zu gehen – und nicht darauf zu warten, dass die Rahmenbedingungen sich verändern. Damit lässt sich nicht auf Zukunft kalkulieren.“
Übergreifende Belastungen: Finanzierung, Protektionismus, Planbarkeit und KI
Bei der Finanzierung zeigt die Studie kein flächendeckendes Problem. Doch dort, wo der Zugang zu Fremdkapital hakt, sind die Folgen unmittelbar: 18 Prozent der Industrieunternehmen berichten von erschwertem Kreditzugang – in der Automobilindustrie 28 Prozent, in energieintensiven Branchen 20 Prozent. In diesen Fällen verschieben 90 Prozent die Investitionen, fast die Hälfte (48 Prozent) hat bereits Stellen abgebaut, weitere 16 Prozent planen dies. Die Finanzierungslücke trifft damit genau die Sektoren, in denen der Transformationsdruck am größten ist.
Parallel schwächen weitere Faktoren die Handlungsfähigkeit: 83 Prozent sehen ihre Planbarkeit verschlechtert, mehr als die Hälfte deutlich. Dennoch verzichten viele weiterhin auf grundlegende Instrumente wie Szenario-Analysen oder Frühwarnsysteme. Fast jedes zweite Unternehmen (43 Prozent) ist stark vom neuen Protektionismus betroffen, reagiert aber mehrheitlich unzureichend. Künstliche Intelligenz ist zwar breit eingeführt (neun von zehn Unternehmen), bleibt jedoch überwiegend auf generative Anwendungen wie etwa Text- oder Bilderstellung beschränkt. Industrielle Einsatzfelder wie Qualitätssicherung oder Predictive Maintenance werden bislang nur von einer Minderheit genutzt.
„Was wir sehen, ist kein konjunkturelles Tief, sondern ein Strukturbruch“, sagt Christian Säuberlich. „Die Befragung macht deutlich: In den kommenden Jahren werden ganze Industriezweige spürbar schrumpfen. Was aber für Branchen gilt, muss nicht für einzelne Akteure dieser Branchen in gleicher Weise gelten. Im Gegenteil: Wer jetzt klug analysiert und bereit ist, auch fundamentale Entscheidungen zu treffen, der kann noch stärker aus dieser Krise hervorgehen und mit einem neu geordneten Wettbewerbsumfeld weiterwachsen. Wer sich dagegen darin ergeht, das Umfeld und den Standort für seine Probleme verantwortlich zu machen, wird aus dem Markt verschwinden.“
Methodik
Für den German Economic Pulse 2025 – State of German Industry hat das Institut für Demoskopie Allensbach im späten Sommer 2025 im Auftrag der Unternehmensberatung FTI-Andersch insgesamt 169 deutsche Industrieunternehmen telefonisch befragt. Im Fokus standen die Branchen energieintensive Industrie (64 Unternehmen), Maschinen- und Anlagenbau (58) sowie Automobilunternehmen (47). Die Stichprobe umfasst sowohl mittelständische Unternehmen (67 mit Umsatz < 100 Mio. Euro) als auch Konzerne (102 mit Umsatz > 100 Mio. Euro). Rund 80 Prozent der Interviews wurden mit Vorständen oder Geschäftsführern geführt, die restlichen mit Bereichsleitern der Bereiche Finance, Strategie und Vertrieb – die Ergebnisse spiegeln damit die Einschätzungen des Top-Managements wider.
Über FTI-Andersch
FTI-Andersch ist eine Unternehmensberatung, die ihre Mandanten in der Entwicklung und Umsetzung tragfähiger Zukunfts-/Performance- sowie Restrukturierungskonzepte unterstützt. FTI-Andersch begleitet aktiv Unternehmen, die sich mit strategischen, operativen oder finanzwirtschaftlichen Herausforderungen und Veränderungsprozessen beschäftigen müssen – oder frühzeitig Geschäftsmodell, Organisation und Prozesse zukunftsfähig ausrichten möchten. Zu den Mandanten zählen insbesondere mittelständische Unternehmen und Konzerne, die international agieren. FTI-Andersch ist Teil der FTI-Consulting-Gruppe (NYSE: FCN) mit mehr als 7.900 MitarbeiterInnen weltweit.
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