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Tränendrüse in Corona-Zeiten: unbelegte Geschichte über Opa vor leeren Regalen

Berlin (ots)

Dutzende Facebook-Nutzer sind offenbar demselben Rentner im Supermarkt begegnet. "Mit Tränen in den Augen" habe der alte Mann vor leeren Regalen gestanden, wissen sie zu berichten. "Ich weiß nicht mehr was ich machen soll", wollen mehrere User wortgleich gehört haben. "Ich habe kaum noch was zu essen zuhause. Ich habe kein Brot mehr nur noch Kartoffeln. Kein Toilettenpapier." Grund sei die Hysterie der Menschen anscheinend hinsichtlich der Ausbreitung des Coronavirus.

BEWERTUNG: Ein Beleg für den Wahrheitsgehalt der Tränendrüsen-Geschichte, die im Netz massiv geteilt wird, ist nirgends zu finden.

FAKTEN: Richtig ist, dass es seit Tagen in vielen Supermärkten und Discountern zu Hamsterkäufen angesichts der Corona-Krise kommt. Immer wieder stehen Kunden vor teilweise leeren Regalen. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warb in ihrer Fernsehansprache für maßvolles Einkaufen: "Hamstern, als werde es nie wieder etwas geben, ist sinnlos und letztlich vollkommen unsolidarisch." (http://dpaq.de/aW6sB)

Doch ohne jeglichen Beleg wird zuletzt in sozialen Netzwerken die Story über den alten Mann an vielen verschiedenen Tagen verbreitet. "Eben passiert!!!", steht jeweils über den Texten - wohl um Aktualität und Glaubwürdigkeit zu erzeugen.

Dabei wird die Szene auf vielen verschiedenen Accounts (etwa http://dpaq.de/0pqBS und http://dpaq.de/nmztr) so erzählt, als sei sie von denjenigen, die sie versenden, selbst erlebt worden: "Mir selbst stehen die Tränen in den Augen!", heißt es unisono. Genauso gibt sich auch jeder Erzähler äußerst mitmenschlich: "Ich habe dem Mann Dinge von mir gegeben die ich selbst nur noch mit ach und krach ergattert habe.! Er hatte es nötiger als ich!" Die Grammatikfehler werden in den jeweiligen Texten weitergetragen.

Die Story hat ein Eigenleben, sie wird massiv geteilt und gelikt. Immer wieder wird sie kopiert und unter neuem Namen gepostet, ihr Ursprung lässt sich nicht mehr ermitteln. Einige Nutzer merken an, dass sie den Text nur geteilt haben, andere verschweigen das und geben das Beschriebene als ihr Erlebnis aus. Doch warum erfinden Menschen solche Geschichten?

Nach Ansicht von Kommunikationswissenschaftlerin Katarina Bader gibt es derzeit zentrale und wichtige Botschaften, die uns alle angehen: "Bleib zuhause!", "Hamstere nicht!", "Halte Abstand!" oder "Geh anständig mit den Leuten um, die den Laden am Laufen halten!" Sehr viele Menschen hätten das Bedürfnis, diese Botschaften weiter zu verbreiten, sagt die Stuttgarter Professorin der Deutschen Presse-Agentur am 20. März. "Das ist an sich etwas Gutes."

Emotionale Geschichten verbreiten sich auf sozialen Medien wesentlich leichter als reine Aufforderungen, das weiß jeder User. Besonders authentisch: vermeintliche Augenzeugen. "Ein normales menschliches Bedürfnis", so Bader. Dennoch solle man mit solchen Storys sehr vorsichtig sein, sie nicht teilen und schon gar nicht selbst erfinden.

Obwohl es derzeit durchaus Probleme etwa bei der Lieferung von Waren gibt und deshalb unter Umständen gewisse Produkte zeitweise nicht in Supermärkten erhältlich sind, sollte man aufgrund individueller Beobachtungen oder weitergeleiteter Gerüchte keine langfristigen Engpässe befürchten. Denn Handel und Logistikunternehmen geben grundsätzlich Entwarnung.

Die Lager seien noch gut gefüllt, die Lieferketten in Deutschland zwar angespannt, aber stabil, heißt es. Es sei genug Ware da. Edeka, Rewe, Aldi, Lidl, Penny, Netto und Kaufland bitten gleichwohl um Rücksicht und Solidarität: "Bitte kaufen sie möglichst bedarfsgerecht und entsprechend ihrer jeweiligen Haushaltsgröße ein." (http://dpaq.de/47Khl)

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Links:

Beispielhafter Facebook-Post mit Geschichte über alten Mann: https://www.facebook.com/RistoranteLaFamigliaOfficial/photos/a.816090922071367/1128509740829482/ (archiviert: http://dpaq.de/18KOe)

Weiterer Beispiel-Post mit Geschichte über alten Mann: https://www.facebook.com/jochen.goerris/posts/2928133420558168 (archiviert: http://dpaq.de/nmztr)

Angela Merkels Fernsehansprache vom 18.03.2020: https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/fernsehansprache-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-1732134

Anzeige der Supermärkte hinsichtlich Lieferketten vom 19.03.2020: https://www.welt.de/Advertorials/lebensmittelhandel/article206625971/Einzelhandel-Die-Versorgung-mit-Lebensmitteln-ist-gesichert.html (archiviert: http://dpaq.de/NNO55)

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Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com

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