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Pleitgen: Shoah und Drittes Reich - Erinnerungsarbeit der Medien steht vor doppelter Aufgabe: Geeignete Darstellungsformen finden und historischen Kontext wahren

Köln (ots)

Köln, 3. Juni 2005 – Anlässlich der Studientagung des
Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für
christlich-jüdische Zusammenarbeit in Bonn zum Thema „Zukunft braucht
Erinnerung – 60 Jahre danach“ hat WDR-Intendant Fritz Pleitgen auf
die anspruchsvolle Aufgabe der Medien in Hinblick auf
Erinnerungsarbeit hingewiesen.
Die Frage nach der Authentizität der Bilder und Töne erweise sich
hierbei als Problemkern der medialen Vermittlung von Erinnerung an
die Shoah, die die Folge des nationalsozialistischen Rassenwahns war
und zurecht als „Zivilisationsbruch Holocaust“ bezeichnet wurde. Ein
Geschehen, das für normal denkende Menschen eigentlich unglaublich
sei, dass deshalb immer wieder daran erinnert werden müsse. Noch
könnten die medialen Vermittlungen auf die Authentizität der Zeugen
in Wort und Bild zurückgreifen. Ihr Zeugnis sei primäres Dokument und
wesentliches Vermittlungsinstrument. In diesem Zusammenhang wies
Pleitgen auf die vielen erschütternden Berichte hin, die nicht vom
bewegten Bild oder sonstigen dramaturgischen Mitteln lebten, sondern
allein von dem, was erzählt wurde. Man könne nur erahnen, wie
grauenvoll sich diese fürchterliche Mischung aus Kriegs- und Rassen-
Terror, den die jüdischen Familien ertragen mussten, anfühle.
Wirklich nachempfinden könnten diejenigen, die es nicht selbst
erleben mussten, nicht.
„Zum wissenden Erinnern muss das Mitfühlen-Können hinzutreten. Um
das aber zu können, muss man sich selbst angenommen haben. Dieses
Sich-Selbst-Annehmen wird im Augenblick von der Kriegskinder-
Generation geübt. Sie müssen deshalb öffentlich zu Wort kommen
können. Und das scheint mir wichtig: Dass das Erinnern, solange es
nur eine Sache des Wissens bleibt, nicht ausreicht. Die Impfung gegen
den Wahnsinn des ‚Dritten Reiches’ muss schon intravenös erfolgen,
damit sie wirklich schützt. Die Medien haben das erkannt und darum
den Zeitzeugen eine Stimme verliehen“.
Auf der anderen Seite könnten die Kinder der Kriegskinder diese
Erinnerungsarbeit jetzt betrachten und dabei vielleicht besser
verstehen, warum ihre Eltern so sind, wie sie sind. Und die
Gesellschaft könne Erkenntnisse darüber gewinnen, dass Kriege nicht
mit der Kapitulation beendet seien, sondern tief in den einzelnen und
durch ihn in die Gesellschaft hinein weiter wirkten. Erinnern
interpretiere die Gegenwart und befähige deshalb zum Handeln, so
Pleitgen weiter. Pleitgen: „Bei den Schilderungen von Erfahrungen
kann ein Zeuge nicht irren. Um diese Erfahrungen bemühten sich in den
vergangenen drei Jahrzehnten die Medien.“ Damit Erinnerung nicht zu
bloßem Schulwissen einerseits oder zur schieren Sentimentalität
andererseits entgleite, müsse darauf geachtet werden, dass
Information und Emotion in Spannung zueinander stehen, so Pleitgen
weiter.
Anlässlich des „Stockholm International Forum on the Holocaust“ im
Januar 2000 wurde der Holocaust in einer abschließenden Proklamation
zur warnenden Botschaft des 20. und 21. Jahrhunderts erklärt. „Die
Erinnerungsarbeit der Medien steht aus meiner Sicht also vor einer
doppelten Aufgabe: Sie muss weiter auf der Suche nach geeigneten
Darstellungsformen bleiben, um die Erinnerung an den
Nationalsozialismus wach zu halten. Zugleich muss sie Mittel und Wege
finden, um die Shoah auf dem Wege der Globalisierung in ihrem
historischen Kontext zu belassen, damit sie nicht zu einem
geschichtslosen Mythos wird.“ Wie also Kenntnisse über den Holocaust
auch in Länder vermittelt werden könnten, in denen kein unmittelbarer
Zusammenhang zum Nationalsozialismus bestehe, dieser Zukunftsaufgabe
müssten sich die Medien nun stellen.
Pressekontakt
Annette Metzinger, WDR-Pressestelle, Telefon 0221/220-2770

Original-Content von: WDR Westdeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell

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