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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Jahrestag des Kriegsendes 1945 70 Jahre Frieden Thomas Seim

Bielefeld (ots)

Am 7. Mai 1945 unterzeichnet die deutsche Wehrmacht im Obersten Hauptquartier der Alliierten in Reims die Urkunde der bedingungslosen Kapitulation. Am 9. Mai 1945 wird der Kapitulationsakt aus protokollarischen Gründen im Hauptquartier der 5. Sowjet-Armee in Berlin-Karlshorst wiederholt. Dazwischen ist am 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr die Kapitulation rechtlich in Kraft getreten. Der Krieg ist zu Ende. Ein bestialischer Krieg, ein Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion. Ein Luftkrieg gegen Großbritannien. Ein Überfallkrieg gegen Polen, Frankreich - ganz Europa im Chaos versunken. Aber dann ist Frieden. 70 Jahre lang bis heute. Was für eine wunderbare Zeit. Zwei volle Generationen leben in Deutschland, ohne das eigene Land je verteidigt haben zu müssen, geschweige denn andere Länder überfallen zu haben. Zwei volle Generationen im Wohlstand des Wirtschaftswunderlandes: Steuerüberschüsse so hoch wie lange nicht mehr, Wachstum stabil, Arbeitslosigkeit nahe an Vollbeschäftigung, Inflation null. Heute sind wir von Freunden umgeben. Freunde, die sich an uns orientieren, unsere modernisierte Wirtschaft zum Vorbild nehmen. Freunde, die auf unsere Hilfe hoffen, wenn ihr Wohlstand bedroht ist. Freunde, die sich um die Flüchtlinge kümmern, die sie aus dem Mittelmeer fischen, um sie vor dem Tod zu retten, und bei sich aufnehmen. Vor einiger Zeit lief der Werbespot eines Baumarktes über unsere TV-Sender. Zwei ältlich gewordene Rocker mit volltätowierten Armen in Lederwesten und T-Shirt saßen unter einer sauberen Markise in schönen Gartenstühlen auf millimetergenau geschnittenem englischem Rasen - so liegt Deutschland im Frieden und genießt seinen Wohlstand. Gut 2.000 Kilometer östlich von uns tobt indes ein unerklärter Krieg in der Ost-Ukraine. Gut 4.000 Kilometer südöstlich in Kurdistan kämpft eine Terrororganisation namens Islamischer Staat mit bestialischen Methoden gegen die dort lebende Bevölkerung. Ein paar Kilometer vorher zerbombt sich Syrien im brutalen Bürgerkrieg, wo auch vor Giftgaseinsatz nicht zurückgeschreckt wird. Die Lage in Libyen, dem Jemen ist verheerend, in Ägypten unterdrückt nur eine verdeckte Militärdiktatur weitere Kämpfe. Das Verhältnis von Israel und Palästina ist so schlecht und explosiv wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Selbst wenn man die einst verheerenden, inzwischen vorläufig und vorübergehend befriedeten Konflikte in Korea und Vietnam außen vor lässt, sind die vergangenen 70 Jahre keine Jahre des Friedens gewesen. Der Nobelpreisträger Günter Grass hat kurz vor seinem Tode im Interview mit unserer Zeitung die Befürchtung geäußert, dass der dritte Weltkrieg bereits begonnen hat. Es könnte ein anderer Krieg sein als der, der vor 70 Jahren zu Ende gegangen ist. Grass zielte damit auf eine neue, ganz andere Form von Auseinandersetzungen, die mit neuen Systemen im Internet als Wirtschaftskrieg geführt werden und mit neuen Kampfformen ganze Systeme blockiert. Ganz gleich, ob man Grass folgt oder nicht: 70 Jahre Frieden sind auch nur als Abwesenheit von Krieg eine besondere Phase des Glücks für dieses Land. Sie wird nicht ohne Leistung anhalten. 70 Jahre Frieden sind ein guter Grund zu feiern. Aber sie müssen den Generationen ohne Krieg auch bewusst machen, dass dieses Glück an Leistung gebunden bleibt. Im Biedermeier auf englischem Rasen unter sauberer Markise ist es nicht zu gewinnen.

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