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Landeszeitung Lüneburg: "Politik muss Versprechen einlösen" - Der Präsident des Bundes der Steuerzahler fordert Entlastungen für die Bürger und mehr direkte Demokratie

Lüneburg (ots)

Herr Holznagel, in der kommenden Woche setzen sich die Steuerschätzer zusammen. Erwarten Sie positive Überraschungen?

Reiner Holznagel: Es ist fast Routine, dass die Steuerschätzung nach oben korrigiert wird und die tatsächlichen Einnahmen beim Bundesfinanzminister über dem Wert liegen, der vorher prognostiziert war. Insofern ist es keine Überraschung, sondern fast schon ein Ritual, dass mehr Geld reinkommt, als geplant war.

Die Jamaika-Sondierer wissen dann, wieviel Geld sie zur Verfügung haben. Welche Forderungen stellen Sie an eine künftige Regierung?

Reiner Holznagel: Ich würde es anders formulieren: Einige Argumentationsketten werden dann erodieren. Zum Beispiel, dass nicht genügend Geld für Entlastungen da ist. Oder, dass man nur entweder investieren oder Schulden tilgen kann. Die finanzpolitische Trias aus Investitionen, Konsolidierung und Entlastung wird durch die Steuerschätzung einen Schub bekommen. Ein Beispiel: Auch wenn der Soli abgeschafft wird, wird der Bund weiterhin steigende Steuereinnahmen haben. Insofern wird die Steuerschätzung die Argumente zunichtemachen, dass man nur eines der drei Dinge realisieren kann. Wir erwarten, dass sich die Jamaika-Koalitionäre zu den fundamentalen Versprechungen bekennen, die sie im Wahlkampf gemacht haben.

Wäre denn die Abschaffung des Soli die einzige Entlastung für Steuerzahler, die Sie fordern?

Reiner Holznagel: Die Soli-Abschaffung ist für uns erst einmal die große Symbolforderung, weil sie nicht nur im Kontext von Steuerentlastungen von uns aufgestellt wurde, sondern auch im Hinblick auf Versprechungen, die man in der Politik gemacht hatte. 2005 wurde der Soli neu geordnet und mit dem Solidarpakt II verbunden, also den besonderen Hilfen für die neuen Bundesländer. Damals hat man dem Steuerzahler gesagt, dass der Soli abgeschafft wird, wenn die Hilfen vollendet sind. Der Solidarpakt II endet 2019. Er darf schon aus moralischen Gründen nicht verlängert werden, denn sonst würde ein Versprechen gebrochen werden. Hinzu kommt, dass der Solidaritätszuschlag eine sogenannte Ergänzungsabgabe ist, die erhoben werden darf, wenn Bedarfsspitzen da sind. Einfacher gesagt: Wenn der Bund klamme Kassen hat, aber große Ausgaben, darf er diese Sonderabgabe erheben. Seit Jahren haben wir aber steigende Steuereinnahmen. Also wäre es auch rein technisch fahrlässig, wenn der Soli nicht abgeschafft werden würde, denn er hat keine Legitimation mehr. Drittens kann man mit der Abschaffung des Soli eine wunderbare Steuerentlastung für alle Bürger durchdrücken - ohne Zustimmung der Bundesländer, denn der Soli ist eine reine Bundessteuer. Zusätzlich zum Soli-Aus fordern wir strukturelle Änderungen im Steuertarif. Wir wollen, dass der Spitzensteuersatz erst ab 80.000 Euro greift. Zweitens wollen wir, dass der sogenannte Mittelstandsbauch abgeflacht wird. Das hätte auch den Vorteil, das kleine und mittlere Einkommen entlastet werden. Und drittens fordern wir, dass die kalte Progression mindestens alle zwei Jahre abgestellt wird. Besser wäre es, wenn die Einkommensentwicklung als Grundlage dienen würde - und nicht nur die Inflation. Mit all diesen Maßnahmen würde man deutliche Steuerentlastungen herbeiführen. Diese Entlastungen stehen nicht im Widerspruch zu Investitionen oder Konsolidierung, sondern würden dazu beitragen, dass mehr Geld bei den Bürgern bleibt, und Bund und Länder nicht überproportionale Steuereinnahmen verzeichnen.

Die CSU will die Mütterrente erhöhen. Ein Rentenpunkt kostet 6 bis 7 Milliarden Euro. Die Deutsche Rentenversicherung lehnt das ab und sieht die Mütterrente als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die aus Steuermitteln finanziert werden muss. Sehen Sie das auch so?

Reiner Holznagel: Nein. Wir brauchen keine weiteren rentenpolitischen Geschenke. Wir brauchen Strukturreformen, die die Rentenkasse auch für jüngere Generationen sicher machen. Wir müssen darüber reden, inwieweit wir den Steuerzuschuss deckeln. Denn es kann nicht sein, dass der Steuerzahler immer stärker in die Rentenkasse einzahlen muss. Es ist schon jetzt ein Umverteilungstopf. Statt die Mütterrente aufzustocken, sollte man lieber dafür sorgen, dass die Bürger in die Lage versetzt werden, mehr für die private Vorsorge tun zu können. Wenn der Soli wegfällt, könnte ein Durchschnittsverdiener 300 bis 400 Euro pro Jahr zusätzlich zur Seite legen. Das wäre die beste rentenpolitische Maßnahme, die man derzeit auf den Weg bringen sollte.

Der Bund der Steuerzahler fordert angesichts der Rekordgröße des neuen Bundestages eine Wahlrechtsreform. Was kosten die zusätzlichen Abgeordneten und wie soll die Reform aussehen?

Reiner Holznagel: Gemessen an der Regelgröße von 598 Abgeordneten wird der nun 709 Abgeordnete umfassende Bundestag im kommenden Jahr mindestens 75 Millionen Euro mehr kosten. Aber das ist eine konservative Schätzung, denn es ist noch nicht absehbar, wie teuer die zusätzlich angemieteten Räume werden. Doch das ist nicht unser ausschlaggebender Punkt. Dass Demokratie Betriebskosten verursacht, ist völlig klar. Aber die Betriebskosten, die derzeit verursacht werden, sind unnötig hoch. Wir brauchen eine Wahlrechtsreform, die zum Ziel hat, das Parlament effizienter zu machen und Entscheidungsstrukturen klarer abbilden zu können. Bei 709 Abgeordneten ist das kaum gewährleistet. Man braucht neue Ausschüsse, um alle Abgeordneten unterzubringen. Debatten werden in die Länge gezogen, Protokolle aufgebläht. Dieses XXL-Parlament tut der Demokratie nicht gut. Wenn sich der neu gewählte Bundestag als erste Maßnahme selbst beschneidet und eine Wahlrechtsreform auf den Weg bringt, wäre es auch ein Gewinn für die Glaubwürdigkeit der Politik.

Sie unterstützen die Initiative "Jetzt ist die Zeit.Volksentscheide.Bundesweit". Was erhoffen Sie sich von mehr direkter Demokratie etwa nach Schweizer Vorbild?

Reiner Holznagel: Kurz vor der Bundestagswahl gab es eine Diskussion über die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre. Aus unserer Sicht wäre es kein Gewinn für die Demokratie, wenn der Bürger nur alle fünf Jahre abstimmen darf. Vielmehr halten wir die Diskussion über mehr plebiszitäre Elemente für richtig. In diesem Zusammenhang hoffen wir natürlich auch auf mehr Abwehrrechte der Bürger. In der Schweiz kann zum Beispiel eine Steuererhöhung per Volksentscheid verhindert werden. Es ist gut, wenn nun auch auf Bundesebene darüber diskutiert wird, mehr Bürgerbeteiligung oder Volksentscheide zuzulassen. Ich halte es zudem für fragwürdig, wenn man argumentiert, auf kommunaler oder Landesebene dürfe man die Bürger befragen, auf Bundesebene aber nicht, weil es angeblich alles zu kompliziert sei und der Bürgerwille dem nicht gerecht werden könne. Das ist völliger Blödsinn. Die Gesellschaft ist mündig genug, um auf allen Ebenen ihren Entscheidungswillen, ihre Präferenzen deutlich zu machen. Zugleich müssen wir aber über die Rahmenbedingungen für Volksentscheide diskutieren. Wir wollen nicht, dass die Republik permanent im Wahlkampf ist. Wir wollen aber, dass das Volk an wirklich wichtigen, evidenten Entscheidungen beteiligt wird. Wir haben dafür Partner in der Politik. Die CSU sieht es ähnlich. Die SPD auch und die Grünen sowieso. Nur die CDU muss sich noch einen Ruck geben. Auch deshalb unterstützen wir die Initiative.

Der neue Bundestag verursacht Mehrkosten von 75 Millionen Euro. Doch an anderer Stelle verliert der Staat mehr Geld. Er springt ein, wenn zum Beispiel Väter keinen Unterhalt für die Kinder zahlen und gibt einen Vorschuss. Doch die Rückholquote ist mit 23 Prozent so niedrig, dass dem Staat in einem Jahr 650 Millionen Euro verloren gegangen sind. Muss das Unterhaltssicherungsgesetz nachgebessert werden?

Reiner Holznagel: Dass der Staat beim Unterhaltsvorschuss aktiv wird, nützt in erster Linie den Müttern und Kindern. Daher ist die Intention völlig richtig. Aber der Staat ist verpflichtet, seine Rückholquote deutlich zu erhöhen. Das fordern wir auch in anderen Bereichen wie Subventionskriminalität und überall dort, wo der Staat betrogen worden ist. Derjenige, der dem Staat etwas schuldet, muss diese Schuld begleichen. Der Staat muss all seine Ansprüche durchsetzen - auch mit schärferen Gesetzen und Maßnahmen.

Betrügt sich der Staat ein stückweit auch selbst, weil die Erträge aus Kapital und Arbeit immer noch ungleich besteuert werden?

Reiner Holznagel: Nein. Grundsätzlich ist es so, dass wir Kapital und Arbeit nicht unterschiedlich besteuern. In einigen Bereichen ist Kapital in der Struktur sogar höher besteuert, denn es gibt Doppelbesteuerungseffekte. Eine Kapitalgesellschaft muss zum Beispiel neben der Körperschaftsteuer und dem Soli auch noch Gewerbesteuer zahlen, bevor dann die ausgeschüttete Dividende beim Aktionär besteuert wird. Immer wieder wurde auch über die Abgeltungssteuer diskutiert. Wir sind dafür, dass diese Steuer in dieser Höhe beibehalten wird. Die unbürokratische Abgeltungssteuer ist eine gute Sache, weil sich der Sparer um die Besteuerung der Zinsen im Regelfall nicht mehr kümmern muss. Auch insgesamt sehen wir keinen großen Reformbedarf. Zudem muss man auch dem Sparer den Rücken stärken und Freigrenzen beibehalten. Und man darf nicht vergessen, dass Kapital auch der Rentensicherung dient und für Arbeitsplätze sorgt.

Das Interview führte Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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