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Leitartikel zu Demonstrationen/Reichstags-Tumulten: Klarmachen, wo man steht von Jana Wolf

Regensburg (ots)

Warum sind wenige so laut und viele so leise? Diese Frage bleibt nach den Protesten in Berlin vom vergangenen Wochenende, bei der etwa 300 bis 400 Demonstranten die Absperrungen am Reichstagsgebäude überrannten, sich vor dem Sitz des Parlaments aufbäumten und damit eine der wichtigsten demokratischen Institutionen verhöhnten. Dieser aggressiven Truppe ist es gelungen, seit Samstag die öffentliche Debatte und die Timelines in den sozialen Medien zu beherrschen - die Reaktionen aus Politik, Medien und Gesellschaft sind aufgewühlt. Dass unter den Demonstranten Rechtsextreme und Reichsbürger waren und schwarz-weiß-rote Reichsflaggen wehten, macht die Szenen mitten im Regierungsviertel besonders hässlich, keine Frage. Dennoch würde man sich wünschen, dass die Bekenntnisse zu demokratischen Werten und Institutionen von der Mehrheit der Menschen ebenso leidenschaftlich vorgebracht werden, wie die Empörung über die Treppenstürmer. Um es zuzuspitzen: In Deutschland leben mehr als 83 Millionen Menschen, wenige hundert Protesttreiber aus Berlin stehen nun im Fokus. Den Gefallen sollte man ihnen nicht tun. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass die durchaus legitimen Demonstrationen gegen die Corona-Politik zunehmend von extrem Rechten dominiert werden. Die Gewerkschaft der Polizei etwa warnt vor einem wachsenden Einfluss rechtsextremer Gruppen bei den Protesten. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland ist besorgt, dass sich unter dem Deckmantel kruder Verschwörungen antisemitische Tendenzen verfestigen. Ist die Grundlage einmal gelegt, tun sich extreme Gruppierungen leichter, ihre demokratiefeindlichen Ideologien weiter zu verbreiten. Diese Gefahr darf nicht verharmlost werden. Und genau aus diesem Grund sollte man nicht den Fehler machen, den wild zusammengewürfelten Demonstranten eine zusätzliche Bühne zu bieten. Nun gibt es auch in den Reihen der Protestanhänger empörte Reaktionen. Manche sehen sich zu unrecht mit Rechtsextremen in einen Topf geworfen. Und ja, Differenzierung tut hier not. In Berlin demonstrierten insgesamt rund 40 000 Menschen. Darunter mischten sich Kaisertreue, Impfgegner, Esoteriker, Hippies, QAnon-Anhänger, USA- und Russland-Freunde ebenso wie einfache Menschen mit existenziellen Sorgen. Auch überzeugte Kritiker der staatlichen Corona-Beschränkungen gingen auf die Straße. All diese Überzeugungen und Meinungen dürfen offen geäußert werden. Deswegen ist es auch richtig, dass das Berliner Demo-Verbot vor Gericht nicht Bestand hatte. Das Demonstrationsrecht sollte auch weiterhin politisch neutral ausgelegt werden. Spätestens seit diesem Wochenende müssen sich aber alle Anhänger der Corona-Demos fragen, in welche Gesellschaft sie sich begeben - unabhängig davon, ob sie nur gleichgültig oder in vollem Bewusstsein neben Reichsflaggen marschierten. Wer gemeinsam mit Rechtsextremen auf die Straße geht, verleiht diesen weiter Auftrieb. Es werden höchstwahrscheinlich weitere solche Demos kommen. Verharmlosende Ausreden aber kann es nicht mehr geben. Das Stürmen der Treppen zum Bundestag war natürlich bewusst inszeniert. Genau solche Bilder wollen die extrem Rechte produzieren, um die demokratischen Institutionen und Werte schwach aussehen zu lassen. Genau deswegen sollte man weder in die Empörungsfalle tappen noch gleichgültig darüber hinweggehen. Wir brauchen klare Bekenntnisse zu unseren demokratischen Werten, auch von der oft so leisen Mehrheit unserer Gesellschaft. Dazu gehört auch, ihre Institutionen nicht ständig und vorschnell in Frage zu stellen. Unsere Demokratie ist ein wertvolles Gut. Wir sollten auch klarmachen, dass wir es schützen.

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