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Leitartikel zu Hartz IV: Sieben Euro mehr von Heinz Gläser

Regensburg (ots)

Die Corona-Krise lässt die Armutsrate global explodieren. Für Lateinamerika und die Karibik prognostizieren die Vereinten Nationen kurzfristig einen rasanten Anstieg der in extrem prekären Verhältnissen lebenden Menschen um 16 Millionen. Covid-19 werde die größte Rezession hervorrufen, die die Region seit 100 Jahren erlebt habe. Auch hierzulande öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich. Ein Vergleich mit Südamerika verbietet sich. Noch ist das soziale Netz in Deutschland eng geknüpft. Doch die Angst vor Arbeitslosigkeit grassiert im Zuge der Pandemie in der Hälfte der Bevölkerung, folgt man Umfragen. Das zig Milliarden schwere Maßnahmenpaket der Bundesregierung trägt dem nur bedingt Rechnung. Fernab klassenkämpferischer Parolen: Sicherlich ist es richtig und wichtig, der siechenden Binnenwirtschaft unter die Arme zu greifen, ihr nach dem sogenannten Lockdown auf die Beine zu helfen. Von der temporären Mehrwertsteuersenkung profitieren alle. Jedoch in unterschiedlichem Maße. Aber ist sie das kraftvolle Signal in der Krise, dass diese Gesellschaft den Ärmsten der Armen, den sozial Benachteiligten zur Seite steht? Wer am unteren Rand der Gesellschaft lebt, für den ist der von Finanzminister Olaf Scholz verheißene "Wumms" lediglich ein Pups. Sieben Euro mehr im Portemonnaie werden Hartz-IV-Empfänger ab Januar haben. Eventuell gibt es wegen der Lohn- und Preisentwicklung noch einen geringfügigen Nachschlag. Schon die Ermittlung der Regelsätze in der Grundsicherung, derzeit sind es 432 Euro im Monat, ist strittig. Von einem verträglichen Auskommen im Sinne gesellschaftlicher Teilnahme war dieser Betrag immer weit entfernt. Rot-Grün unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte die größte Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik Anfang des Jahrtausends unter dem Eindruck hoher Arbeitslosigkeit und leerer Sozialkassen ins Werk gesetzt. Die Sozialdemokraten versuchen seither unter großen Schmerzen, das ungeliebte Erbe über Bord zu werfen - während CDU/CSU und FDP von dem zehren, was ihnen ohne eigenes Zutun in den Schoß fiel. Zwar ist der Anteil der Reform am zwischenzeitlichen ökonomischen Aufschwung durchaus umstritten, aber letztlich nicht von der Hand zu weisen. Sinnigerweise sind es die damals ja mitbeteiligten Grünen, die nunmehr vehement eine Abkehr oder zumindest eine Korrektur von Hartz IV fordern. Katrin Göring-Eckardt, in der Ära von Rot-Grün immerhin Fraktionsvorsitzende im Bundestag, tritt für eine Ende der "Kleinrechnerei" bei der Ermittlung der Bedarfssätze ein. Höchste Zeit wäre es. Wenn nun Konzerne, die vor der Krise immense Gewinne einfuhren und immer noch stattliche Dividenden ausschütten, mit Steuermitteln gestützt werden, wäre es für den sozialen Frieden im Land verheerend, Bedürftige ihrem Schicksal zu überlassen. Zumal in der Krise die latente Abstiegsgefahr für die Mittelschicht greifbar wird. Sozialpsychologisch betrachtet bereiten diese Ängste den Nährboden für populistische Auswüchse. Der Staat sollte auch im Angesicht der immensen ökonomischen Herausforderung im Blick haben, den Mindestlebensstandard zu garantieren. Im Unterschied zu Lateinamerika. Natürlich kostet das Geld. Und das Lohnabstandsgebot ist unbedingt zu beachten. Arbeit muss finanziell mehr abwerfen als Sozialleistungen. Dies auszutarieren, ist auch Aufgabe der Tarifpartner. Die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bisher angepeilte Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze wird nach groben Schätzungen rund 830 Millionen Euro verschlingen. Verglichen mit den sonstigen Aufwendungen zur wirtschaftlichen Stabilisierung in der Krise sind das, um ein geflügeltes Wort zu bemühen, mit Verlaub: Peanuts!

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