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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Sondierungsgesprächen, Autor: Stefan Stark

Regensburg (ots)

In den Jamaika-Gesprächen darf der gelb-grün gesprenkelte Schwanz mit dem schwarzen Hund wedeln. Nie zuvor in der Kanzlerschaft von Angela Merkel hatten die Juniorpartner bessere Chancen, der Union weitreichende Zugeständnisse abzuringen. Die aktuelle Schwäche von CDU und CSU gibt FDP und Grüne enormen Auftrieb. Und geradezu wie ein Aufputschmittel muss es auf die beiden Kleinen wirken, dass Merkels politische Zukunft auf Gedeih und Verderb am Ausgang der Verhandlungen für eine schwarze Ampel hängt. Ein Scheitern würde automatisch zu Neuwahlen führen - und könnte sehr schnell den Sturz der Kanzlerin einläuten. Anschauungsmaterial für eine Blitz-Demontage findet sie derzeit bei der Schwesterpartei, wo Markus Söders Heckenschützen Horst Seehofer unter Dauerfeuer nehmen. Auch das schwächt im Übrigen die Verhandlungsposition der Union. Für Merkel bedeutet ein Gelingen von Jamaika den eigenen Machterhalt. Also wird sie dieses Bündnis um jeden Preis schließen wollen. Für Grüne und Liberale wiederum wäre es die Chance, nach dürren Jahren in Oppositions- beziehungsweise APO-Jahren politisch wieder etwas zu reißen. Daher sollte man aus den verbalen Gereiztheiten zwischen den Unterhändlern nicht vorschnell schließen, dass die Verhandlungspartner das Projekt vorsätzlich gegen die Wand fahren wollen. FDP-Chef Christian Lindner, der bereits mit einem Scheitern der Gespräche drohte, kennt die aktuellen Meinungsumfragen nur zu gut, nach denen die potenziellen Jamaika-Partner bei Neuwählen nicht vom Fleck kämen. Und er weiß genauso wie sein Duzfreund Cem Özdemir, dass sich die Gunst der Stunde für sie nicht so schnell wiederholen wird. Eines muss allen Beteiligten klar sein: Eine Art Neuauflage der GroKo - nur mit zwei neuen Beteiligten - wäre politisch genauso tödlich wie eine Koalition auf kleinstem gemeinsamen Nenner. Als reine Steigbügelhalter für Merkels Machterhalt würden sich Liberale und Grüne selbst zerlegen. Den Verhandlungsführern der beiden Parteien ist durchaus bewusst, dass von einem Jamaika-Bündnis ein Signal zum Aufbruch ausgehen muss: Eine Politik des "Weiter so" würde sich spätestens in vier Jahren böse rächen. Vielmehr braucht das Land den großen Wurf - beim Klimaschutz, bei der Migration, beim Thema soziale Gerechtigkeit, bei den explodierenden Mieten und bei einer echten Verkehrswende. Hier liegt die große Chance der beiden Kleinen, indem sie der Kanzlerin der Alternativlosigkeit vernünftige Alternativen vorgeben. Nur dürfen sie selbst dabei nicht den Fehler machen, sich innerhalb ihrer roten Linien zu verbarrikadieren und dem anderen keinen Stich zu gönnen. Merkel wiederum muss zulassen, dass FDP und Grüne ihre großen politischen Kernthemen auch durchsetzen können. Wie wäre es zum Beispiel mit folgender Arbeitsteilung: Die Liberalen entwerfen ein gerechteres Steuersystem, bei dem auch die Bezieher von niedrigen und mittleren Einkommen entlastet - und Steuerflüchtlinge endlich zur Kasse gebeten werden. Die Grünen wiederum arbeiten eine Klimapolitik aus, die nicht wie bisher als Feigenblatt für das Pariser Klimaabkommen daherkommt - und die Arbeitsplätze schafft, anstatt zu gefährden. Gleichzeitig verbünden sich beide bei der Digitalisierungsoffensive, damit sie kein Lippenbekenntnis bleibt. Die Jamaika-Gespräche treten in die entscheidende Phase. Die Grünen haben mit ihrer neuen Flexibilität beim Aus für den Verbrennungsmotor und dem Kohleausstieg endlich für Bewegung in den Verhandlungen gesorgt. Doch auch die anderen Beteiligten müssen für ein Gelingen über ihren Schatten springen. Sie sollten das Experiment wagen, denn es könnte gut sein für das Land. Wenn der gelb-grün gesprenkelte Schwanz künftig öfter mit dem Hund wedelt, ließe sich jahrelanger Stillstand in wichtigen Politikfeldern durchbrechen.

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