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Mittelbayerische Zeitung: Sichtschutz
Europas Gerichtshof stoppt die maßlose Vorratsdatenspeicherung und gibt den Menschen Vertrauen. Leitartikel von Holger Schellkopf

Regensburg (ots)

Es ist das, was man eine klare Ansage nennt. Der Europäische Gerichtshof hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geradezu in der Luft zerrissen. Die Richter haben, ähnlich wie schon vor längerem das Bundesverfassungsgericht, den Politikern deutlich gemacht, dass Schluss sein muss mit der maßlosen und unkontrollierten Datensammelei bis zum Sanktnimmerleinstag. Sie haben keinen Zweifel gelassen, dass die Menschen in Europa nicht mehr dauerhaft unter Generalverdacht gestellt werden dürfen. Denn nichts anderes steht hinter der seit einigen Jahren geltenden Praxis der Vorratsdatenspeicherung. Der Anruf beim Arzt, die privaten SMS unter Freunden, die Journalistenanfrage per Mail an einen Informanten - all dies kann noch Monate später von Ermittlern ohne größere Schwierigkeiten nachvollzogen und verwertet werden. Wie immer in solchen Fällen wird versucht, das vermeintliche Super-Argument "wer nichts zu verbergen hat, braucht nichts zu befürchten" in Stellung zu bringen. In Wahrheit ist dies aber nicht mehr als gefährlicher Unsinn. Nicht zuletzt die Enthüllungen rund um die NSA-Affäre haben deutlich gemacht, dass gerade Geheimdienste häufig auf sehr unkonventionelle Weise miteinander kooperieren und dabei selbst Informationen austauschen, die sie eigentlich gar nicht besitzen dürften. Es braucht nicht viel Phantasie für die Vorstellung, wie schnell in nicht wenigen Ländern zum Beispiel regierungskritische Journalisten in massive Bedrängnis kommen können, wenn auf gleiche Weise die bisher legal gespeicherten Informationen ausgetauscht werden. Das eigentliche Problem der Vorratsdatenspeicherung lässt sich aber noch viel leichter illustrieren. Im Grunde ist die bisherige Methode nichts anderes, als wären in jedem Wohnraum, jedem Büro, jeder Praxis Kameras angebracht, die alles und jeden aufzeichnen. Begründung: Es könnte ja irgendjemand mal irgendwo etwas Ungesetzliches tun. Man müsste schon über ein ausgeprägtes Maß an Exhibitionismus verfügen, um sich in so einer Situation nicht äußerst unangenehm beobachtet und im eigenen Leben massiv eingeschränkt zu fühlen. Wie sehr diese Form der digitalen Dauerbeobachtung schon heute die Menschen beeinflusst, haben einige US-Studien zu den Entwicklungen in der Post-Snowden-Ära nachgewiesen. Dabei zeigt sich eine Reihe von schleichenden Verhaltens-Veränderungen. Die Palette reicht dabei von der Selbstzensur bei Suchmaschinen-Anfragen über die sichtbar gesunkene Frequentierung bei Beratungshotlines bis hin zu einer sprunghaften Zunahme bei der Nutzung von Anonymisierern und ähnlichen technischen Tools. Eine weitere Erkenntnis mit Blick auf die Pressefreiheit: Menschen, die als Quelle für wichtige Informationen dienen könnten, sind seltener bereit, sich mit Journalisten in Verbindung zu setzen. All dies macht deutlich, wie wichtig die Entscheidung des Gerichtshofes war. Wie wichtig es ist, einen rechtlichen Sichtschutz vor der dauerhaften Ausspähung zu installieren. Klar ist aber auch, dass ein solcher Sichtschutz nicht dazu missbraucht werden darf, um kriminelle Machenschaften zu verbergen. Auch dies ist in dem Urteil zweifelsfrei festgehalten. Der zugegeben nicht gerade einfache Auftrag der Richter für die Politik besteht schlichtweg darin, jetzt endlich die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei muss gewährleistet werden, dass die Ermittler über die notwendigen Werkzeuge verfügen - ohne dafür Grundrechte außer Kraft zu setzen, ohne dafür dauerhafte Überwachung zu installieren, ohne dafür unbescholtene Bürger als grundsätzlich Verdächtige zu behandeln.

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