Westfalenpost: 20 gute Jahre teilweise gemeinsam
Hagen (ots)
9.11.1989: Ein Glücks-Fall für Deutschland
Von Bodo Zapp
20 Jahre nach der Öffnung der Mauer ist eine Ostdeutsche als
Kanzlerin der Bundesrepublik wiedergewählt worden. Hätte das vor 25
Jahren irgendjemand vorhergesagt, wäre er als weltfremder Phantast
abgekanzelt worden. Wunderbar, dass die Skeptiker - und wer war das
nicht? - von der Geschichte eines Besseren belehrt wurden. Für vier
von fünf Bürgern in West und Ost sind die Ereignisse des 9. November
1989 ein Glücksfall, der sie noch immer tief berührt. Verbunden mit
Dankgefühlen gegenüber denjenigen, die das "einig Vaterland" möglich
gemacht haben.
Dazu gehören die Siegermächte, weit denkende Staatenlenker wie
Michail Gorbatschow, mutige Politiker in Budapest, Prag und Warschau,
ein entschlossen die einmalige Chance nutzender Helmut Kohl - und vor
allem die Anhänger der Bürgerrechtsbewegung in der damaligen DDR, die
mit ihren Montagsdemonstrationen in Leipzig den Boden für das zuvor
Undenkbare bereitet haben.
Es war eine friedliche Revolution, die Welt schaute auf Deutschland
und staunte. Bei dem Gedanken, was alles hätte passieren können,
kommt noch heute Beklemmung auf. Keine Panzer, keine Schüsse: Bei
Schabowskis berühmten Zettel-Stammelworten zur Reisefreiheit ("Das
gilt, glaube ich, ab sofort...") und dem folgenden Ansturm der
Menschen Richtung Westen stockte Fernseh-Augenzeugen der Atem. Es
ging gut, weil für einen Atemzug der Geschichte Vernunft, Einsicht
und Menschlichkeit die Oberhand behielten. Und weil die Zeit für die
große Wende reif war.
Blühende Landschaften
"Als nächstes wird der Kommunismus abgeschafft" - was in der
überdrehten Nacht der Freiheit als überzogenes Wunschdenken
freudetrunkener Menschen erschien, wurde Wirklichkeit. Wir haben
allen Grund, an diesem 9. November, dem eigentlichen Tag der Einheit,
zu feiern. Es gibt sie tatsächlich, die vom damaligen Bundeskanzler
versprochenen blühenden Landschaften in den neuen Ländern. Aber es
gibt auch gute Gründe, darüber nachzudenken, was nicht so gut
gelaufen ist. Und was einer Überprüfung unterzogen werden sollte.
Dazu gehört der bis zum Jahre 2019 festgeschriebene Solidarpakt.
Angesichts westdeutscher Städte in Not, die sich für die anhaltende
Unterstützung des Ostens noch tiefer verschulden müssen, muss die
Frage nach der Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit gestellt werden
dürfen. Unbestritten ist, dass der üppige Geldfluss aus der Region,
die von der DDR-Führung nur BRD genannt wurde (was inzwischen leider
viele übernehmen), in diesem Ausmaß längst nicht mehr überall im
Osten benötigt wird.
Das einst angestrebte Ziel einer gleichen Entwicklungsstufe in allen
Bundesländern ist nicht zu erreichen. Auch in der "alten"
Bundesrepublik haben die Menschen etwa in Ostfriesland und in Bayern
einen unterschiedlichen Lebensstandard. Ein Grund für anhaltende
Unzufriedenheit oder Minderwertigkeitskomplexe ist das nicht.
Die Stärke der Alt-Kommunisten in den neuen Ländern gehört zu den
Dingen, die wir im Westen mit Unverständnis und auch Unbehagen sehen.
Auch diese Trennung zu überwinden, und die neue Linke in engen
Grenzen zu halten, ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.
Freude im Vordergrund
Die große Einheit haben wir bisher nur teilweise gemeinsam gelebt.
"Wir im Westen" sehen vor allem die gewonnene Freiheit für die
Menschen im Osten. "Drüben", ein eigentlich überwundenes Wort, sieht
man Manches etwas anders. Die Frage des Selbstwertgefühls spielt
dabei sicher eine Rolle. Wer heute jedoch davon spricht, dass es
früher besser war, versündigt sich an der Wahrheit. Erinnern Sie sich
an die Gefühle beim Grenzübergang, an graue, dunkle Städte jenseits
der Elbe? Die Stasi-Opfer werden nie vergessen, was ihnen im
Unrechts-Spitzelstaat angetan wurde. "Ostalgie", die uns in Filmen
ein heimeliges Land vorgaukelt, hat mit der bitteren Realität von
damals nichts zu tun. Der Wertungsvergleich mit Sätzen wie "Auch bei
den Nazis war nicht alles schlecht" ist wohl nicht ganz falsch.
Im Vordergrund soll heute aber die Freude stehen, dass die
Deutschen, ihre Freunde und frühere Gegner etwas geschaffen haben,
worauf wir alle stolz sein können.Pressekontakt:
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