Alle Storys
Folgen
Keine Story von Westdeutsche Allgemeine Zeitung mehr verpassen.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

WAZ: Der Bundestag und der Patient: Unser Tod - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Man muss es nicht gut finden, wenn jetzt sogar der
Deutsche Bundestag streitet über Leben und Tod. Den Versuch, das 
Sterben juristisch zu regeln, findet sicher nicht nur Helmut Schmidt 
typisch deutsch. Ausfluss des Irrtums, alles werde gut, wenn man nur 
ein Gesetz verfasst.
Was bedeutet es eigentlich, wenn schon jetzt rund acht Millionen 
Menschen in Deutschland eine Patientenverfügung geschrieben haben? 
Ganz offensichtlich misstrauen sehr viele Menschen der Medizin, ob zu
Recht oder zu Unrecht, kann nicht beantwortet werden, schon gar nicht
hier an dieser Stelle. Der medizinische Fortschritt hat eben seine 
zwei Seiten: Er verlängert vielen Menschen das Leben, auch eines in 
Würde, macht einen oft genug dankbar Staunen. Aber die Medizin 
verschiebt kontinuierlich die Grenze zwischen Leben und Tod. Weil das
so ist, fürchten viele Menschen nicht nur, irgendwann nicht mehr die 
Herrschaft ausüben zu können über ihren Willen, sondern dass ihr 
Wille keine Herrschaft mehr ausübt auf andere, Verwandte, am Ende 
aber doch vor allem Ärzte. Es stellt dem medizinischen Komplex 
insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus, wenn viele Menschen zweifeln, 
ob er in der wohl ausschlaggebendsten aller Situationen zu einer 
richtigen Entscheidung in der Lage ist.
Es gibt keine einfache Lösung. Der Hippokrates-Eid bestimmt, der 
Arzt dürfe seinem Patienten nicht schaden. Aber nutzt oder schadet er
seinem Patienten, wenn er dessen als schmerzhaft würdelos empfundenes
Leben verlängert? Und wer entscheidet darüber? Unverkennbar haben 
sich jedenfalls die moralischen Maßstäbe verschoben. Der Wunsch nach 
Selbstbestimmung wächst, der nach enger Beachtung eines christlichen 
Wertekanons nimmt ab, die besondere deutsche Geschichte verliert ihre
Prägekraft. Nun muss Politik dem Wertewandel nicht folgen, aber auch 
"Lebensschützer" könnten bedenken, dass ein zunehmender 
Sterbe-Tourismus jedenfalls alles andere als eine würdevolle Antwort 
auf die Verzweiflung vieler Menschen ist.
Gut an der Diskussion ist, dass sie stattfindet. "Wie wollen Sie 
sterben", fragte die Zeit. Eine wunderbare Antwort gab, unter 
Rückgriff auf Helmut Gollwitzer, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der 
Arzt der Fußball-Nationalmannschaft. "Ich möchte nicht sterben ohne 
Hoffnung, dass nach dem Lebensende eine vollendete Liebe, Licht und 
Klarheit auf mich warten und für immer mich umgeben, dass nichts 
vergessen bleibt und alles noch einmal zur Sprache kommt." Die 
Bedingung für einen derart erfüllten Übergang zu schaffen, wäre mehr 
Aufgabe von Ärzten als Politikern.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

Original-Content von: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Weitere Storys: Westdeutsche Allgemeine Zeitung