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WAZ: Begleitmusik zum Kohle-Konzert: Was bleibt, wenn die Kohle geht - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Vor ziemlich genau zehn Jahren gab es am damaligen
Regierungssitz Bonn eine Demonstration von Kohle-Kumpeln. Es ging 
hoch her, viele waren gekommen, um die Kohle zu retten. Gestern Abend
saßen sie nun wieder im Kanzleramt, diesmal in Berlin, um über das 
Ende der Steinkohle zu befinden. Der Platz vor dem Kanzleramt war 
leer. Keine Fahnen, keine Kumpel. Weshalb? Haben sie resigniert - im 
Angesicht des Unausweichlichen? Oder sind sie schon weiter als die 
kleiner werdenden
 Teile von Politik, die sich noch für sie verkämpfen? Planen ihre 
Zukunft und die
 ihrer Kinder ohne jene Jobs, die auch aus Gründen der Lebensqualität
am Arbeitsplatz so attraktiv gar nicht sind, eigentlich auch, 
abgesehen von der Bezahlung, kaum je waren?
Und was ist mit dieser Region, dem Ruhrgebiet, die von Außen 
jedenfalls immer noch in Verbindung gebracht wird mit einer alten 
Herrlichkeit, die es längst nicht mehr gibt. Würde es dem Ruhrgebiet 
zugute kommen, wenn es auch in Zukunft noch mit Kohle assoziiert 
werden würde? Wobei klar ist, bei aller Euphorie über die 
Kulturhauptstadt: Wirtschaftlich betrachtet sichert die Kultur dieser
Region nicht die Zukunft. Nötig sind Industrie-Arbeitsplätze, in der 
Chemie, in der Logistik. Nötig sind die Gesundheitsdienstleister, die
in mehreren Städten, in Essen etwa wie in Dortmund, einen Aufschwung 
erleben. Immer und immer wieder über Strukturwandel zu sprechen, 
zieht eine Region auch herunter, ist nicht aktiv und optimistisch, 
sondern reaktiv und pessimistisch. Dabei arbeitet die überwiegende 
Mehrzahl der Menschen hier doch schon längst in zukunftsfähigen 
Branchen.
Wofür der Staat sein Geld ausgibt, ist nicht einerlei, denn er 
verwaltet nur unser Geld. Auch Politiker gehen mit Geld um, das ihnen
nicht gehört, das sie nicht einmal geliehen haben, um es für ihre 
Zwecke einzusetzen. Sie sind verpflichtet, dem Gemeinwohl zu dienen. 
Einmal anders gefragt als sonst: Ist es moralisch vertretbar, wenn 
der Staat, ohnehin hoch verschuldet, als unser Treuhänder unser Geld 
für ein Gut ausgibt, das am Weltmarkt frei verfügbar für ein Drittel 
des Preises zu bekommen ist?
Kohle ist im Ruhrgebiet ein Mythos. Aber das Ruhrgebiet ist nicht
Kohle. Die Stärke dieser Region ist nicht ein bestimmter 
energetischer Grundstoff, sondern es sind die Menschen, die hier 
leben. Die es wahrscheinlich viele Jahre lang schwerer hatten als in 
Regionen anderswo. Die aber noch stets an sich selbst erfahren haben,
ihr Leben aus eigener Kraft zu meistern. Das bleibt, auch wenn die 
Kohle geht.

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Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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