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EKD - Evangelische Kirche in Deutschland

"Nur durch die Wahrheit wird aus Erinnerung Orientierung!" Ratsvorsitzender Bischof Wolfgang Huber in Yad Vashem

Hannover (ots)

Am ersten Tag seiner Reise ins Heilige Land hat
der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die 
Gedenkstätte Yad Vashem besucht. Nachfolgend der Wortlaut des 
Grußwortes, das der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang 
Huber, bei dieser Gelegenheit sprach:
"Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland unternimmt eine 
Begegnungsreise durch das Heilige Land. Das geschieht in dieser Form 
zum ersten Mal. Wir werden viele Menschen treffen, alte Kontakte 
auffrischen, neue Begegnungen erleben, wir werden von Schwierigkeiten
der christlichen Kirchen hören, aber auch Klärungen und Fortschritte 
der Verständigung feiern können. Aber der Morgen des ersten Tages 
unserer Reise führt uns - nach der freundlichen Begrüßung gestern 
Abend durch den deutschen Botschafter, den Propst und die deutsche 
evangelische Gemeinde - zuerst hierher, nach Yad Vashem, an den Ort 
der Erinnerung und der Mahnung.
Diese Gedenkstätte ist für mich persönlich bei jedem Besuch in 
Jerusalem ein wichtiges Ziel. Heute ist Yad Vashem für den gesamten 
Rat der EKD und alle, die mit uns gekommen sind, gleichsam unser Tor 
nach Israel, und das aus Gründen, die für uns unumgänglich sind. Wir 
wollen die Stätten des Heils hier in Jerusalem und im Heiligen Land 
nicht betreten, ohne zuvor die Stätte der Erinnerung an das Unheil 
der Shoah aufzusuchen und unsere Herzen für diese Erinnerung zu 
öffnen. Als Delegation aus Deutschland wollen wir unseren Weg durch 
Israel hier beginnen, in Achtung und Respekt vor den Opfern von 
Willkür, Grausamkeit und tötender Gewalt, verübt durch das 
nationalsozialistische Deutschland.  In Demut und Beschämung beugen 
wir uns vor dem unendlichen Leid, das von Deutschen, auch von 
Christen in Deutschland ausgegangen ist, und das in dieser 
Gedenkstätte Gesicht und Namen, Anschauung und Konkretion erhält. 
Hier in Yad Vashem bekennen wir uns dazu, dass uns das Einmalige und 
Unvergleichliche dieses Geschehens bewusst ist. Miteinander wollen 
wir unseren Glauben und unsere Kraft dafür einsetzen, dass sich etwas
Derartiges nie wiederholt. Miteinander treten wir auch klar und 
entschieden denjenigen entgegen, die den Völkermord am europäischen 
Judentum leugnen wollen oder sich der politischen Verantwortung 
verweigern, die daraus folgt.
Wir wollen am Beginn unseres Besuchs in Israel anknüpfen an die 
berühmten Sätze, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 
im Oktober 1945 in seinem Stuttgarter Schuldbekenntnis formuliert 
hat, als er sich dazu bekannte, dass auch durch uns "unendliches Leid
über viele Völker und Länder gebracht worden" ist und dass wir in den
finsteren Zeiten der nationalsozialistischen Herrschaft "nicht 
mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und 
nicht brennender geliebt haben". Erst Jahre später wurde das 
"Schuldbekenntnis der Kirche" bekannt, das Dietrich Bonhoeffer 
bereits im Jahr 1940 formuliert hatte und in dem es heißt: "Die 
Kirche bekennt, die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das 
leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger, 
Unterdrückung, Hass, Mord gesehen zu haben, ohne ihre Stimme für sie 
zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie
ist schuldig geworden am Leben der Schwächsten und Wehrlosesten 
Brüder Jesu Christi". "Brüder Jesu Christi" hatte Bonhoeffer später 
in seinem Manuskript ausdrücklich hinzugesetzt. Er wollte damit den 
Bezug auf die Juden deutlich machen und die kirchliche Schuld an der 
Shoah zur Sprache bringen. Heute machen wir das zu unserem eigenen 
Bekenntnis.
Denn erst diese Wahrhaftigkeit lässt aus der Erinnerung 
Orientierung für die Gegenwart erwachsen. Es sind doch nicht 
abstrakte Zahlen von Juden, die im Dritten Reich um ihr Leben 
gebracht wurden, sondern es sind Väter und Mütter, Kinder und 
Geschwister, es sind Schneider und Ärzte, Hausfrauen und Musiker, die
in den Tod getrieben wurden. Man muss die einzelnen Gesichter, die 
persönlichen Biographien erinnern, um den Abgrund zu spüren, an den 
uns diese Gedenkstätte führt. Erst die Wahrheit und die Würde eines 
jeden einzelnen Lebens macht die Erinnerung konkret, erst die Wucht 
eines nachvollzogenen individuellen Schicksals kann zur Orientierung 
werden für die Verantwortung und die Aufgabe, die wir auch in die 
nächste und übernächste Generation zu tragen haben, wenn die 
Zeitzeugen und Überlebenden nicht mehr unter uns sind.
Ich komme auch als Berliner Bischof hierher nach Yad Vashem. Ich 
komme aus der Stadt, von der das Unheil ausging. In Berlin fand die 
unsägliche Wannseekonferenz statt; hier lebten Menschen wie Hitler 
und Himmler, Heydrich und Eichmann. Aber zugleich verbinde ich mit 
Berlin auch die Erinnerung an die Synode der EKD in Weißensee, bei 
der im Jahr 1950 zum ersten Mal namens der evangelischen Kirche die 
Schuld an der Verfolgung der Juden in Europa ausdrücklich benannt und
eingestanden wurde. Die Synode erklärte ihre Bereitschaft, angesichts
dieser Schuldgeschichte neu und anders über das jüdische Volk, über 
unseren in diesem Volk geborenen Erlöser Jesus Christus und über den 
christlichen Antijudaismus nachzusinnen. Die evangelischen Kirchen in
Deutschland haben seither viele wichtige Schritte unternommen, um den
Ungeist antijüdischen Denkens aus unseren Gebeten und Liedern, aus 
unserem Glauben und unserer Theologie zu tilgen. Immer wieder haben 
sich einzelne Landeskirchen, aber auch die EKD als ganze unzweideutig
gegen alle Formen des Antisemitismus ausgesprochen.
Aber diese Aufgabe begleitet uns auch in die Zukunft: Das immer 
wieder neue Aufflackern von Antisemitismus in Deutschland beschämt 
uns. Wir treten als Kirchen deutlich dagegen ein, in großer 
Solidarität mit den jüdischen Gemeinden und dem Zentralrat der Juden 
in Deutschland. Damit diese Verpflichtung gegenwärtig bleibt, müssen 
auch unsere Kinder und Kindeskinder wissen, welche Verantwortung auf 
unser aller Schultern liegt. Die Wahrhaftigkeit in der Begegnung mit 
unserer Geschichte ist der einzige Weg in die Zukunft, um aus 
Erinnerung Orientierung werden zu lassen. Auch in Zukunft stellt sich
die evangelische Kirche ihrer historischen Verantwortung, sie wird 
der erinnernden Wahrheit auch weiterhin die Ehre geben. Sie wird 
deshalb an der tiefen Solidarität mit Israel festhalten und sich an 
dem Mühen um Gerechtigkeit und Frieden nach Kräften beteiligen. Dabei
vertrauen wir auf den HERRN, der will, "dass Güte und Treue einander 
begegnen, Gerechtigkeit und Frieden sich küssen, dass Treue auf der 
Erde wachse, und Gerechtigkeit vom Himmel schaue" (Psalm 85, 11 f.)."
Hannover/Jerusalem, 11. April 2007
Pressestelle der EKD
Christof Vetter

Pressekontakt:

Evangelische Kirche in Deutschland
Hans-Christof Vetter
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: christof.vetter@ekd.de

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