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BERLINER MORGENPOST: Scholz hört die Signale
Leitartikel von Tim Braune

Berlin (ots)

Scholz traut sich. Dass er sich alles zutraut, wissen alle. Mit seiner Bereitschaft, jetzt doch für den Parteivorsitz zu kandidieren, beweist er, dass er aus härterem Holz geschnitzt ist als andere Zauder-Genossen. Stephan Weil zum Beispiel. Heiko Maas. Man könnte die Liste lange fortsetzen. Olaf Scholz hat zum richtigen Zeitpunkt erkannt, dass er seine vorgeschobenen Bedenken (Vorsitz und Ministeramt seien zeitlich unvereinbar) über Bord werfen und sich in den Dienst der siechenden Partei stellen muss. Er geht volles Risiko.

Zu groß erschien ihm die Gefahr, dass das Ausleseverfahren zu einer Farce verkommt. Völlig uneigennützig agiert Scholz natürlich nicht. Mit dem Zugriff will er seinen Plan absichern, nächster Kanzlerkandidat zu werden. Bei zwölf Prozent in den Umfragen und seiner Unpopularität auf Parteitagen mag man das für größenwahnsinnig halten. Ein zweiter Blick lohnt. Welchen Regierungsprofi, bitte schön, dem man guten Gewissens das Land anvertrauen würde, hat die SPD außer Scholz noch auf der Bank? Der 61 Jahre alte Bundesfinanzminister, der neuerdings gern damit kokettiert, er sei Feminist und viel flauschiger als viele glaubten, wird kein Rockstar mehr, dem die Steuerzahler mit glänzenden Augen ihre Sparbücher auf die Bühne werfen. Sein Plan, den Soli ab 2021 für fast alle (Millionäre ausgenommen) abzuschaffen, ist dennoch ein Pfund, das andere Aspiranten nicht vorweisen können.

Ein Selbstläufer wird die Bewerbung keineswegs. Jusos und viele Parteilinke werden Scholz erbittert bekämpfen. Für sie verkörpert er die alte SPD, das Gestern. Ihm ist der Niedergang der SPD genauso anzukreiden wie Sigmar Gabriel, Martin Schulz oder Andrea Nahles. Mit Nahles bildete er faktisch eine Doppelspitze. Sie bezahlte für Wahlniederlagen, eigene Fehler und das nicht eingelöste Versprechen, die Partei könne sich in einer erneuten GroKo profilieren, einen hohen Preis. Er ist noch da.

Die Marktlücke beim Mitgliederentscheid besteht für Scholz darin, dass er für die Fortsetzung der großen Koalition, Vertragstreue und gegen Harakiri eintreten kann. Sein Mantra lautet: Wer außer der SPD hält die Gesellschaft zusammen? Wer kann Bollwerk gegen die AfD sein, wenngleich die SPD-Trutzburgen vielerorts schon geschleift sind? Wer kann notfalls Wirtschaft und Arbeitsplätze beschützen, wie es die SPD-Minister Steinbrück und Scholz in der Finanzkrise 2008/09 taten? Wird das reichen, gedemütigte Genossen davon abzuhalten, der verhassten Koalition vor Weihnachten den Dolchstoß zu verpassen? Man darf nicht übersehen, die nächsten Vorsitzenden werden nicht von Parteitagsdelegierten gewählt, die dem "Scholzomaten" regelmäßig böse Abreibungen verpassten. Die 430.000 Mitglieder haben im Oktober das Wort. Und die dürften Kompetenz und Seriosität schätzen. Scholz hat in Hamburg Wahlen gewonnen. Er hat gute Umfragewerte. Vor einem Wahlkampf gegen Robert Habeck, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Armin Laschet muss er sich nicht fürchten. Noch verrät Scholz nicht, welche Frau mit ihm antritt. Manuela Schwesig ist es nicht. Wird es Katarina Barley? Franziska Giffey hat sich wegen der drohenden Aberkennung ihres Doktortitels aus dem Rennen genommen und strebt ein Comeback in Berlin an, wo viele den uninspirierten Michael Müller lieber heute als morgen los wären. Die Achillesferse des SPD-Verfahrens ist ohnehin die Überfrachtung. Die Fixierung auf eine Doppelspitze ist Murks. Die Bewerbung von Boris Pistorius, beinharter SPD-Sheriff aus Hannover, gemeinsam mit der klugen sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping ist allerdings eine ernst zu nehmende Alternative zu Scholz und Mrs. X.

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