Alle Storys
Folgen
Keine Story von BERLINER MORGENPOST mehr verpassen.

BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST: Das Risiko für die Gesellschaft minimieren - Leitartikel

Berlin (ots)

Wir leben in einer Risikogesellschaft. Denn die Freiheit, die wir zu Recht fordern, birgt immer auch Risiken. Zum Rechtsstaat gehört deshalb auch, dass wir das Problem akzeptieren müssen, dass ein Mörder, der seine Strafe verbüßt hat, wieder auf freien Fuß kommt und eventuell rückfällig wird. Die Gesellschaft gibt durch die Resozialisierung ihr Möglichstes, um die Wahrscheinlichkeit eines kriminellen Rückfalls zu verringern. Auszuschließen ist er natürlich nicht. Was ist aber, wenn ein Krimineller als so gefährlich eingestuft wird, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder ein schweres Verbrechen begeht? Der Rechtsstaat hatte darauf bisher die Antwort der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Selbst wenn die Richter also in ihrem Urteil nicht zu der Auffassung gekommen waren - oder es schlicht vergessen hatten -, eine Sicherheitsüberprüfung anzuordnen, konnte ein gefährlicher Mensch nach Verbüßung seiner Haftstrafe weiter eingesperrt bleiben. Dieses Prinzip der Sicherungsverwahrung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben. Natürlich ist es schwierig, jemanden nur aufgrund einer Prognose eingesperrt zu lassen. Denn obwohl sich die wissenschaftlichen Gutachter alle Mühe geben, bleibt eine Vorhersage immer unscharf. Aber an dieser Stelle sei ein Vergleich erlaubt: Auch in der Psychiatrie werden gefährliche Menschen hinter hohen Mauern eingesperrt. Auch hier geht es um Prognosen, ob jemand rückfällig werden kann. Sicherlich handelt es sich hier um kranke Menschen. Aber auch in diesen Fällen wird der Schutz der Gesellschaft abgewogen gegen die Freiheit des potenziellen Täters. Nun drohen allein in Berlin sieben Mörder und Vergewaltiger freizukommen. Justiz und Polizei bemühen sich, ein engmaschiges Kontrollnetz zu spannen. Mit Überwachung durch Zivilbeamte, mit Meldepflichten und Verboten, bestimmte Orte, wie Kinderspielplätze, zu besuchen. Doch kein Netz kann so eng geknüpft sein wie die Sicherheit, die ein Gefängnis bietet. Zudem stellen sich rein praktische Fragen. Wie lange und mit welchem Aufwand kann man einen Kriminellen mit hoher Rückfallwahrscheinlichkeit überwachen? Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre? Bis ins Renteneintrittsalter? Die Überlegungen, die jetzt angestellt werden, müssen als Ausgangspunkt den Schutz der Gesellschaft haben. Das ist eben nur durch eine Entscheidung gegen die totale Freiheit des einzelnen Schwerverbrechers zu erreichen, die eingesperrt bleiben müssen. Um dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aber Rechnung zu tragen, sollten sie innerhalb der hohen Mauern eine große Freiheit genießen. Psychiater sollten sich um sie kümmern, und regelmäßig sollten Prognosen über ihre Entwicklung und eine weitere Sicherungsverwahrung entscheiden. Wir leben in einer Risikogesellschaft, aber wir müssen diese Risiken minimieren.

Pressekontakt:

BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
  • 08.07.2010 – 20:32

    BERLINER MORGENPOST: Kommentar zum Besuch von Bundespräsident Christian Wulff in Paris

    Berlin (ots) - Täuscht der Eindruck, oder haben sie auf die Bremse getreten? Aus Paris erreichen uns wahrlich präsidiale Bilder: Christian Wulff schreitet die prächtig behelmte Garde am Pariser Elysée-Palast ab. So kennt man Bundespräsidenten, so sind sie uns vertraut. Dieser hier mag jünger sein als gewohnt. Aber die staatsmännischen Gesten vor laufender Kamera ...

  • 06.07.2010 – 20:16

    BERLINER MORGENPOST: Die Gentechnik braucht lebensnahe Regeln - Leitartikel

    Berlin (ots) - Kann man Eltern, die bereits ein schwer behindertes Kind haben, die Geburt eines weiteren Kindes verbieten? Natürlich nicht. Kann man diesen Eltern verwehren, das Kind während der Schwangerschaft auf Schädigungen hin untersuchen zu lassen? Nein, sagt seit Jahrzehnten der Gesetzgeber, der die vorgeburtliche Diagnostik durch Fruchtwasseruntersuchungen ...

  • 05.07.2010 – 20:12

    BERLINER MORGENPOST: Kommentar zu Präsidentenwahl in Polen

    Berlin (ots) - Eine rundum gute Wahl. Für Polen - aber auch für Deutschland; und damit für die deutsch-polnischen Beziehungen. Die haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren zwar so gut entwickelt, dass heute nur noch jeder siebente Pole Angst vor dem mächtigen Nachbarn im Westen empfindet. Dennoch ist die gute Nachbarschaft nicht so stabil, als dass sie temporäre Belastungen schadlos übersteht. Dass der künftige ...