Alle Storys
Folgen
Keine Story von BERLINER MORGENPOST mehr verpassen.

BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Von Unterschieden kann man nur lernen - Leitartikel

Berlin (ots)

Es gibt kein Vorurteil, das sich nicht durch
wissenschaftliche Studien untermauern ließe. Das weiß jeder, der sich
durch die Flut der Expertisen zahlloser Institute und Verbände wühlt,
die über die Medien heutzutage Verbreitung finden. Und so wird 
mancher Mitbürger in den nun schon gar nicht mehr so neuen 
Bundesländern die Augenbrauen hochziehen, wenn er in dieser Zeitung 
von einer "tiefenpsychologischen Studie über die Menschen zwischen 
Chemnitz und Rostock" liest.
Aber die Studie wird auch den der vielen Ost-Klischees müden Leser im
deutschen Osten angenehm überraschen. Auf einen Punkt gebracht, 
ergibt sie, dass die Mentalitäten und Prägungen der Menschen auf dem 
Territorium der ehemaligen DDR genauso vielfarbig daherkommen wie 
überall auf der Welt. Nur sind die Farben teilweise andere, weil 
diktatorische Systeme eben Spuren bei den Menschen hinterlassen - im 
Guten wie im Schlechten. Und das ist eine generationenübergreifende 
Erscheinungsform - wie bei vielen schlechten Erfahrungen von anderen 
großen Bevölkerungsgruppen oder Ethnien auch.
Die Studie des west(!)deutschen Rheingold-Instituts im Auftrag der 
ost(!)deutschen Zeitschrift "Super-Illu" lenkt das Interesse auf das 
Typische am Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen, und das in 
all seiner jeweiligen Verschiedenheit. So ist der Typus des 
"trotzenden Stehaufmännchens" ebenso wie der des "genügsamen 
Durchwurschtlers" mit jeweils 20 Prozent der größte Einzelposten. Das
dürften Mentalitätsprofile sein, die es auch im Westen mit ähnlicher 
Häufigkeitsverteilung gibt. Nur sind die Gründe dafür, so geworden zu
sein, eben völlig unterschiedliche, und deshalb auch in der 
Konsequenz für das Verhalten der Menschen anders. Beispiel: Trotz und
Widerständigkeit haben unter der Knute der SED-Diktatur oft in Formen
des Rückzugs in die Innerlichkeit, in die Familie oder andere 
Schutzräume des Vertrauens Ausdruck gefunden. Das Naturell 
widerständiger Charaktere in einer offenen Gesellschaft sucht und 
findet seine Ausdrucksformen eben viel leichter im extrovertierten 
Sich-selbst-zur-Schau-Stellen und im Erleben von Öffentlichkeit als 
Resonanzkörper und -verstärker. Beides prägt Umgangsformen, Sprache, 
Selbsterleben und vieles mehr in sehr unterschiedlicher Art und 
Weise. Es lässt die Menschen anders erscheinen, weil sie anders 
geworden sind. Obwohl die Ausgangspunkte in beiden Fällen bei den 
entsprechenden Charakteren vielleicht sehr nahe beieinanderlagen. Und
ob zwei so gewordene - der eine dort, der andere da - sich 
gegenseitig erkennen und verstehen können als Brüder im Geiste ihrer 
Widerständigkeit, ist höchst ungewiss.
Deshalb fällt es eben bis heute vielen Ost- und Westdeutschen nicht 
leicht, einander unmittelbar zu verstehen, auch wenn die Grundmuster 
ähnlich sein mögen - die Bezugspunkte der jeweiligen Erfahrung sind 
es eben nicht.
Dieser Erfahrungsschatz der Unterschiedlichkeit ist noch lange nicht 
gehoben - den Wert dieser Ungleichheit sollten wir schätzen lernen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
  • 28.10.2009 – 21:09

    Berliner Morgenpost: SPD pur in Brandenburg, aber der Makel bleibt - Leitartikel

    Berlin (ots) - Was heißt hier eigentlich Rot-Rot? Im Grunde regieren in Brandenburg die Sozialdemokraten im Alleingang. Inhaltlich betrachtet allemal. Als umworbener Partner hat sich Platzecks SPD auf der ganzen Linie durchgesetzt. Die Bedenkzeit, die sich der linke Partner gestern ausbat, unterstreicht diesen Umstand nur. Die Union wollte in Potsdam weiter ...

  • 27.10.2009 – 19:42

    Berliner Morgenpost: Auf dem Weg zur ewigen Kanzlerin

    Berlin (ots) - Angela Merkel wird heute vereidigt. Zum zweiten Mal. Dass es auch das letzte Mal sein könnte, darauf deutet derzeit wenig. Die ewige Kanzlerin, ein Titel, den zu erringen man ihr auch noch zutrauen kann. Sie hat den nötigen Sinn für die politischen Realitäten, die taktische Finesse, Klugheit, auch das Sitzfleisch. Das war so nicht zu erwarten. Wer Angela Merkel aus der Ferne agieren sah, damals ...

  • 26.10.2009 – 17:37

    Berliner Morgenpost: Die Länder dürfen nicht allein gelassen werden

    Berlin (ots) - Er hat gleich die ganz große Keule ausgepackt: Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) droht angesichts der von Schwarz-Gelb beschlossenen Steuerentlastungen mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, weil die Länder die finanziellen Hauptlasten zu tragen hätten und damit die Finanzierungsfähigkeit der Länder ...