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Zins-Déjà-vu, Marktkommentar von Kai Johannsen

Frankfurt (ots)

Es ist derzeit ziemlich wacklig an den Märkten; das ist die vergangenen Wochen immer wieder zu beobachten gewesen, und das wird auch so bleiben. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist in der gerade abgelaufenen Woche auch auf den Zug der Leitzinsanhebungen aufgesprungen und erhöhte den Leitzins um 50 Basispunkte (BP). Die Reaktionen an den Märkten: Euro zieht kurz an, dann verpufft die Wirkung, und die Gemeinschaftswährung geht wieder auf Tuchfühlung mit der Parität. An den Aktienmärkten ein kurzer Sprung nach oben, dann der Rücksetzer. An den Staatsanleihemärkten ziehen die Renditen in Reaktion auf den Zinsentscheid kurz an, aber der anschließende Rückgang der Renditen fällt fast doppelt so stark aus wie der vorangegangene Anstieg. Am Freitag dann sogar noch der Rutsch der zehnjährigen Bundrendite unter die 1-%-Marke. Furcht vor Rezession - das ist die Erklärung.

Eine weitere Entwicklung ist in der Nachrichtenflut um Leitzinsanhebungen nicht zuletzt bei der EZB und die Gasversorgung, die ja auch ihren Teil zur wirtschaftlichen Malaise beiträgt, praktisch untergegangen: die Zinsstruktur in den USA. Dass die Renditestrukturkurve in den USA in diesem Jahr schon mal invers geworden ist, also die langfristigen, zehnjährigen US-Renditen unter die zweijährigen Pendants fielen, ist zwar keine neue Nachricht. Das Ausmaß, das mittlerweile erreicht wurde, ist es dagegen schon. Bis auf 27 BP fielen die zehnjährigen US-Renditen in diesen Tagen unter die Rendite der zweijährigen US-Schuldtitel. Eine Inversion dieses Ausmaßes haben Marktakteure zuletzt vor rund zwei Dekaden gesehen, genauer gesagt im Jahr 2000. Manch einer erinnert sich: Das war, als manche Marktakteure sich sorgten, dass es zu einem Platzen der New-Economy- bzw. Dotcom-Blase kommen könnte. Viele hielten das nicht für möglich, zu hochgesteckt die Erwartungen, die manch einer eben nicht als zu hochgesteckt ansehen wollte. Viele glaubten auch, dass ein Ende einer derartigen Entwicklung keine erheblichen realwirtschaftlichen Auswirkungen mit sich bringen würde. Es kam anders.

Die Inversion der Renditestrukturkurve in den USA - aber auch anderswo - ist in den vorigen Jahrzehnten ein verlässlicher Signalgeber für die realwirtschaftliche Entwicklung gewesen, ging doch praktisch jeder US-Rezession eine inverse Zinsstrukturkurve voraus. Der zeitliche Vorlauf betrug vier bis acht Quartale. Nur sehr selten kam es in Volkswirtschaften zu einer Zinskurveninversion, auf die dann keine Rezession folgte. Deshalb gilt die Inversion eben als ein sehr sicheres konjunkturelles Signal.

Bei einer Inversion stellen sich Marktteilnehmer auf folgende Entwicklung ein: Sie antizipieren eine Rezession - aus welchen jeweiligen aktuellen Gründen auch immer - und stellen sich darauf ein, dass die Notenbank(en) hierauf auf längere Sicht mit Leitzinssenkungen reagieren, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Diese Erwartungshaltung ist ablesbar an den längerfristigen niedrigeren Bondrenditen im Vergleich zu den kurzfristigen Bondsätzen. Der Markt geht davon aus, dass auf längere Sicht die Zinsen/Anleiherenditen wieder fallen müssen. Darüber spiegelt der Markt das antizipierte Konjunkturszenario.

Aktuell erwarten viele Marktakteure, dass die Notenbanken im Kampf gegen die hohe Inflation weiter mit Leitzinsanhebungen reagieren. Die Erwartung sieht aber dergestalt aus, dass die höheren Leitzinsen zum Ausbremsen der Teuerungsanstiege das Wachstum in Mitleidenschaft ziehen, sogar die Rezession die Folge sein könnte. Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters zeigte dieser Tage, dass Volkswirte die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA auf Sicht von einem Jahr nun mit 40 % angeben. Auf Sicht von zwei Jahren sehen die Experten die Wahrscheinlichkeit eines Konjunktureinbruchs bei 50 %. Bei der entsprechenden Umfrage im Juni lagen die diesbezüglichen Werte hingegen noch bei 25 % (Sicht auf ein Jahr) bzw. bei 40 % (zwei Jahre). Das spricht schon eine deutliche Sprache. Und auch in den Einschätzungen von Banken und Assetmanagern wird die Rezession für immer wahrscheinlicher gehalten. Die Märkte könnten vor diesem Hintergrund in den kommenden Tagen und auch vier bis fünf Wochen bei schwachen Konjunkturdaten heftig reagieren. Denn es kommt ein weiterer Faktor erschwerend hinzu: das Sommerloch und damit eine geringere Liquidität aufgrund der urlaubsbedingten Abwesenheit weiter Anlegerkreise. Da fallen Reaktionen auch gern mal schärfer aus.

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