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Forschen für bessere Cochlea-Implantate

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PRESSEMITTEILUNG

Forschen für bessere Cochlea-Implantate

Computermodell zeigt neuronale Erregungsmuster im Innenohr

Dank eines Cochlea-Implantats können eigentlich gehörlose Menschen in einem erstaunlich hohen Maß wieder hören. Um die Implantate zu optimieren, haben Forschende der Technischen Universität München (TUM) ein Computermodell entwickelt, mit dem sich die vom Implantat erzeugten neuronalen Erregungsmuster im Hörnerv vorhersagen lassen. Als Grundlage diente eine hochaufgelöste Darstellung des menschlichen Innenohres.

Normalhörende Menschen nehmen Schall über die Haarsinneszellen auf, die sich in der Hörschnecke – dem mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum des Innenohrs (lateinisch Cochlea) –befinden. Die Haarsinneszellen setzen Schallschwingungen in Nervenimpulse des Hörnervs um, welche zum Gehirn weitergeleitet werden und dort Hörempfindungen hervorrufen.

Seit einigen Jahrzehnten können gehörlose Menschen, bei denen diese Haarsinneszellen beschädigt sind, dank sogenannter Cochlea-Implantate in einem erstaunlichen Maße wieder hören. Die Geräte nehmen über ein externes Mikrofon die Schallinformation aus der Luft auf und leiten sie zu im Innenohr implantierten Elektroden. Mit Stromimpulsen reizen sie dort unmittelbar die Hörnerven und lösen so bei der Patientin oder dem Patienten wieder einen Höreindruck aus.

Unscharfe Hörwahrnehmung

Durch die spezielle Konstruktion des Innenohres sind die Hörsinneszellen an verschiedenen Stellen der Hörschnecke für verschiedene Frequenzen empfindlich. Die Impulse, welche über die angedockten Nerven weitergeleitet werden, nehmen wir als Töne der entsprechenden Höhe wahr. Auch die Elektroden eines Cochlea-Implantats sind an verschiedenen Stellen entlang der Hörschnecke positioniert. Trifft Schall einer bestimmten Frequenz auf das Mikrofon des Implantats, sendet eine spezifische Elektrode elektrische Signale aus.

Eine Elektrode erregt aber nicht nur die Nervenfasern in ihrer unmittelbaren Nähe, sondern wegen der breiten Stromausbreitung im mit Salzwasser gefüllten Innenohr auch Nervenfasern in weiter entfernten Bereichen der Hörschnecke. Dies führt dazu, dass Cochlea-Implantat-Nutzer Signale von Elektroden, die sich zu nah nebeneinander befinden, nicht unterscheiden können. Dieser Effekt beschränkt die Anzahl der Elektroden beim Bau der Implantate.

Computermodell zeigt Signalausbreitung

Um zu verstehen, wie die Elektrodenkontakte am günstigsten platziert werden können, muss man wissen, wie die Signale der einzelnen Elektroden die Nerven erregen. Diesem Ziel sind nun Forschende der Arbeitsgruppe von Werner Hemmert, Professor für Bioanaloge Informationsverarbeitung an der Technischen Universität München (TUM) ein großes Stück nähergekommen. Sie haben ein komplexes Computer-Modell entwickelt, mit dem sich die Ausbreitung der elektrischen Signale im Innenohr präzise berechnen lässt.

Als Grundlage haben sie zusammen mit Kolleginnen und Kollegen am Klinikum rechts der Isar der TUM mit Hilfe eines Computertomografen zunächst eine hochaufgelöste dreidimensionale Abbildung des Knochens erzeugt, der die Hörschnecke beinhaltet. „In der Darstellung waren auch die feinen Poren sichtbar, durch die die Faserbündel des Hörnervs verlaufen“ erklärt Siwei Bai, Postdoc in Hemmerts Forschungsgruppe und Erstautor der Studie. Mithilfe eines in der Arbeitsgruppe entwickelten Algorithmus konnte anhand der dreidimensionalen Mikrostruktur dieser Poren der Verlauf einzelner Nervenfasern rekonstruiert werden – von der Hörschnecke durch den Knochen bis in den Hirnstamm.

Komplexer als angenommen

„Wir waren überrascht, wie ungleichmäßig die Nervenfasern auf die elektrischen Signale des Implantats reagieren: manche sind sehr empfindlich und werden von fast allen Elektroden leicht erregt. Andere sind unempfindlicher und werden hauptsächlich von den ihnen am nächsten liegenden Elektroden stimuliert“, erläutert Hemmert. „Das liegt an feinen anatomischen Unterschieden und dem genauen Verlauf der Hörnervenfasern.“ Man kann also nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Elektrode näher gelegene Nerven stärker erregt als weiter entfernte. Bisher hatten Forschende radialsymmetrische Modelle verwendet, welche eine mit dem Abstand zur Elektrode gleichmäßig abfallende Empfindlichkeit der Hörnervenfasern vorhergesagt hatten. Die neuen Erkenntnisse zeigen aber, wie wichtig es ist, von einer präzisen Darstellung des doch unregelmäßigen Knochens und Hörnervs auszugehen.

Implantate optimieren – Lebensqualität verbessern

In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden in ihrem Modell auch die genaue Struktur der einzelnen Nervenfasern berücksichtigen. Dann werden sie zusätzlich bestimmen können, unter welchen Voraussetzungen und wo genau die elektrischen Pulse entlang des Nervs ausgelöst werden und wie sich diese zum Gehirn ausbreiten. „All diese Ergebnisse werden dann in die Entwicklung von neuen Implantaten einfließen, welche die Qualität der Stimulation, damit das Sprachverstehen und letztlich die Lebensqualität der Betroffenen verbessern wird“, betont Hemmert.

Mehr Informationen:

- Prof. Werner Hemmert:
  https://www.professoren.tum.de/hemmert-werner/
- Professur für Bioanaloge Informationsverarbeitung an der TUM:
  https://www.ei.tum.de/bai/startseite/
- Prof. Werner Hemmert und Dr. Siwei Bai forschen an der Munich
  School of BioEngineering (MSB) der TUM:
  https://www.bioengineering.tum.de
- Das Projekt wurde unterstützt von der Alexander von
  Humboldt-Stiftung, vom Europäischen Rahmenprogramm für
  Forschung und Innovation Horizont 2020 (Marie Skłodowska-Curie
  grant agreement No. 702030) und der Deutschen
  Forschungsgemeinschaft (D-A-CH-Zusammenarbeit HE6713/2-1)

Publikation:

Electrical Stimulation in the Human Cochlea: A Computational Study Based on High-Resolution Micro-CT Scans

Siwei Bai, Jörg Encke, Miguel Obando-Leitón, Robin Weiß, Friederike Schäfer, Jakob Eberharter, Frank Böhnke and Werner Hemmert

Frontiers in Neuroscience, 05. Dezember 2019, Link: https://dx.doi.org/10.3389/fnins.2019.01312,

Hochauflösende Bilder: https://mediatum.ub.tum.de/1540122

Kontakt:

Prof. Dr. Werner Hemmert

Technische Universität München

Professur für Bioanaloge Informationsverarbeitung

Munich School of BioEngineering

Tel.:+49-89-289-10853

E-Mail: werner.hemmert@tum.de

Dr. Siwei Bai

Tel: +49 89 289 10842

E-Mail: siwei.bai@tum.de

Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 600 Professorinnen und Professoren, 43.000 Studierenden sowie 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006, 2012 und 2019 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.

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