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Wie verständlich sprechen Politiker und Politikerinnen? Studie der Uni Hohenheim veröffentlicht

Fremdwörter, Bandwurmsätze, „Denglisch“, Wortungetüme: Wie verständlich sprechen Politiker und Politikerinnen?

Studie hat knapp 100 Bundestagsreden untersucht

Presseinformation, 27.März 2023

Die Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion und die Universität Hohenheim präsentieren Studienergebnisse zur Verständlichkeit im Bundestag: Linken-Politikerin Gesine Lötzsch erzielte die besten Ergebnisse. Christine Lambrecht war in der Haushaltsdebatte im September 2022 die beste aus dem Kabinett. Olaf Scholz sprach etwas verständlicher als Friedrich Merz. Untersucht wurden 96 Reden aus den Aussprachen zu allen Einzelplänen des Bundeshaushalts.

Die Verständlichkeit der politischen Kommunikation ist wichtige Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie. Auf Anregung der Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion hat die Universität Hohenheim jetzt zahlreiche Bundestagsreden darauf hin untersucht.

Der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Brettschneider und sein Team forschen seit 2007 zu einer Vielzahl von sprachlichen Parametern, mit denen man die formale Verständlichkeit von Texten und Reden möglichst objektiv messen kann. Mit Hilfe des Hohenheimer Verständlichkeitsindex wurden so in den letzten Jahren etwa Wahlprogramme und Koalitionsverträge, Pressemitteilungen von Unternehmen und Ministerien sowie Reden von Vorstandsvorsitzenden auf den DAX-Hauptversammlungen untersucht.

Mit Blick auf den Bundestag wurde nun die Haushaltsdebatte im vergangenen September in den Blick genommen mit insgesamt 96 Reden im Zeitraum vom 6. bis zum 9. 9. 2022. Analysiert wurden Beiträge zu allen Einzelplänen und quer durch die Parteien und Fraktionen im Hinblick auf ihre formale Verständlichkeit.

Die formal verständlichste aller Reden hielt die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch in der Debatte über den Einzelplan des Gesundheitsministeriums. Platz zwei und drei belegen der AfD-Abgeordnete Leif-Erik Holm und Thomas Jarzombek von der CDU. Die formal unverständlichste Rede hielt Kerstin Vieregge (CDU) in der Debatte über den Einzelplan des Verteidigungsministeriums.

Unter den Kabinettsmitgliedern punktete die inzwischen zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) mit der formal verständlichsten Rede. Sie wird dicht gefolgt von Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung. Auf Rang drei und vier liegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Den letzten Platz aus dem Kabinett belegt unter dem Gesichtspunkt der formalen Verständlichkeit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Ihre Rede enthält vor allem längere, verschachtelte Sätze. In der traditionell besonders beachteten Aussprache über den Kanzleretat schnitt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in punkto Verständlichkeit etwas besser ab als Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Scholz und Merz liegen allerdings mit ihren Reden nur auf Platz vier und fünf.

Prof. Dr. Frank Brettschneider und Dr. Claudia Thoms von der Uni Hohenheim sind mit der Verständlichkeit der Reden im Ganzen zufrieden. „Im Schnitt sind die Haushaltsreden etwas verständlicher als die Reden der Vorstandsvorsitzenden auf den Jahreshauptversammlungen der DAX-40-Unternehmen. Dennoch ist bei einigen noch Luft nach oben“, sagt Frank Brettschneider. Ein Drittel der Haushaltsreden – darunter Vertreter aller Parteien – liegt unter dem Verständlichkeitsniveau der zum Vergleich herangezogenen CEO-Reden aus dem Jahr 2022. Claudia Thoms nennt die Verständlichkeitshürden: „Fremdwörter und Fachwörter, Wortkomposita und Nominalisierungen, Anglizismen und ‚Denglisch‘, lange Sätze – all das erschwert die Verständlichkeit“.

Deutschlandfunk-Nachrichtenchef Dr. Marco Bertolaso betont: „Der Informationsjournalismus soll die Gegenstände einer Kontroverse und die Standpunkte politischer Akteure nachvollziehbar machen. Für dieses Ziel und für die Öffentlichkeit wäre eine verständlichere Sprache von Abgeordneten, aber auch von Ministerien und Behörden eine große Hilfe.“ Derzeit, so Bertolaso, verstecke sich die Politik aber häufig hinter Fachbegriffen und Floskeln oder versuche, die Menschen mit PR-Begriffen wie „Das Gute-Kita-Gesetz“ zu beeinflussen.

Die gesamte Untersuchung der Universität Hohenheim einschließlich der methodischen Hinweise finden Sie hier: https://komm.uni-hohenheim.de/aktuelle-infos

Hintergrund: Der Hohenheimer Verständlichkeitsindex

Der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Brettschneider und sein Team erstellen den Hohenheimer Verständlichkeitsindex mit Hilfe einer für diesen Zweck entwickelten Verständlichkeits-Software. Sie berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z. B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter).

Aus diesen Werten setzt sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ zusammen. Er bildet die Verständlichkeit von Texten auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) ab. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt oder der Süddeutschen Zeitung kommen auf Werte zwischen 11 und 14. Die Reden in der Haushaltsdebatte erreichten im Schnitt einen Wert von 15,3.

Weiter Informationen unter: https://dlf.de/verstaendlichkeit-im-bundestag-100.html

Pressekontakt: Xenia Sircar, xenia.sircar@deutschlandradio.de Tel. 030 8503 6164

Christian Sülz (Pressesprecher)
Raderberggürtel 40, 50968 Köln
T +49 221 345-2161
 
Tobias Franke-Polz (Redakteur Presse)
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