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WICHTIGE WORTGEFECHTE
Der Offene Brief der Zeitschrift Emma an Bundeskanzler Scholz löst eine überfällige Debatte aus. Kommentar von Stephan Hebel.

Frankfurt (ots)

In den vergangenen Tagen war deutlich zu bemerken, dass die weitgehende politische Schockstarre einer Bereitschaft weicht, auch mal wieder über die richtigen Wege zu streiten. Bei den Grünen zum Beispiel war wochenlang nur Anton Hofreiter aufgefallen, der der abwägenden Haltung des Bundeskanzlers und der Ampel-Regierung auf allen Kanälen eine Art innerkoalitonäre und innerparteiliche Opposition entgegensetzte: mehr Waffen, schwerere Waffen, und zwar schnell. Da musste selbst die Union als größte "echte" Oppositionsfraktion sich anstrengen mitzuhalten.

Jetzt melden sich bei den Grünen erste Stimmen, die die militärische Hilfe zwar mit Recht nicht ablehnen, aber doch zur Abwägung mit möglichen Eskalationsrisiken mahnen. Und auch darüber hinaus tut sich einiges: Der Philosoph Jürgen Habermas verteidigt die Zurückhaltung eines Bundeskanzlers, der im furchtbaren Dilemma zwischen moralischer Pflicht zum Widerstand gegen Putin und Abwägung möglicher Risiken die Hauptverantwortung trägt. Und "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer initiiert einen Brief von Prominenten, die die Gefahr eines nuklearen Krieges in den Mittelpunkt ihrer Kritik an der Lieferung schwerer Waffen stellen. Gefolgt wiederum vom heftigen Protest derjenigen, die davor warnen, den Widerstand von der Willkür des Aggressors abhängig zu machen.

Dass wenigstens Teile der Grünen nun auch die Gegenposition zu Hofreiter einnehmen und mehr statt weniger Zurückhaltung einfordern, ist nur zu begrüßen. Wenn die vielzitierte Verteidigung von Demokratie und Freiheit eine Chance haben soll, darf es einfach nicht sein, dass sich die Opposition gegen den Kurs der Ampel-Regierung auf jene beschränkt, die nach noch mehr Waffen und noch mehr Aufrüstung rufen. Es muss auch Gegenstimmen geben, im Zweifel auch radikale. Denn es soll ja wohl dabei bleiben, dass eine Regierung am ehesten zu weisen Entscheidungen kommt, wenn sie unter einem gewissen Rechtfertigungszwang steht, wenn sie also ihr Handeln immer wieder überprüfen muss.

Auch was den offenen Brief von Schwarzer & Co. betrifft, ist es zunächst einmal nur zu begrüßen, wenn sich Menschen aus Wissenschaft, Kultur und Showgeschäft positionieren. Das muss allerdings keineswegs heißen, ihnen in allem zuzustimmen.

Gutzuschreiben ist den Unterzeichnenden des Briefes, dass sie darauf beharren, sich durch die Willkür und Unberechenbarkeit eines kriegführenden Autokraten nicht vom Nachdenken abhalten zu lassen. Sie schaffen damit ein Gegengewicht zu denen, die behaupten, "der Westen" könne auf eine Folgenabschätzung des eigenen Handelns gleich ganz verzichten, da Putin ja ohnehin mache, was er wolle. Dieses Argument drehen sie um: Wer den - notwendigen - Kampf gegen Putin führe, ohne seine möglichen Reaktionen, so gut es eben geht, ins Kalkül zu ziehen, beraube sich eines Teils der Rationalität, mit der wir uns gerade von der Irrationalität des Angreifers unterscheiden wollten. So jedenfalls lässt sich der Tenor des Briefes verstehen.

Es ist gut, dass diese Gegenposition nun "auf dem Markt" ist. Es ist allerdings bitter, dass die Autorinnen und Autoren des vieldiskutierten Briefes die eigene Argumentation schwächen, indem sie unbedacht formulieren: Zum einen nähren sie den Verdacht zu glauben, dass es der ukrainischen Bevölkerung unter russischer Herrschaft besser ginge als im Widerstand - und dass darüber nicht die Ukraine allein zu entscheiden habe. Zweitens warnen sie in allzu platter Form davor, Putin "sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln zu liefern". Nein, seine Motive hat dieser Verächter des Völkerrechts schon selbst, niemand muss sie ihm "liefern". Sehr wohl aber ginge es darum, unermüdlich nach allen - nicht nur militärischen - Mitteln zu suchen, mit denen sich der Unberechenbare vielleicht doch beeinflussen ließe. Das zu fordern, hätte den Vorstoß wirklich überzeugend gemacht.

Aber die Debatte ist eröffnet. Und die Hoffnung, dass die Weisheit der vielen sie noch ins richtige Maß bringt, darf in einer Demokratie nie und nimmer aufgegeben werden.

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