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Schwäbische Zeitung: Ein Rennen, keine Gewinner - Kommentar

Leutkirch (ots)

1978, Buenos Aires, Fußball-WM: Endlich, wird Fifa-Präsident Joao Havelange bei der Eröffnungsfeier sagen, könne "die Welt das wahre Argentinien kennenlernen". Das wahre Argentinien? Für die Junta des Jorge Rafael Videla waren Folter, Verschwinden-Lassen und Ermorden von Oppositionellen probate Mittel der Macht. Die Welt aber kam, kickte und übte sich in (fast) kollektiver Ignoranz. Berti Vogts, damals Kapitän der deutschen Nationalelf: "Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen."

Politische Gefangene werden auch Sebastian Vettel, Michael Schumacher und Kollegen nicht zu Gesicht bekommen, wenn die Formel 1 dieses Wochenende in Bahrain Station macht. Seit mehr als einem Jahr gehen die sunnitischen Herrscher dort mit erbarmungsloser Härte gegen die Demokratiebewegung vor, die vor allem die schiitische Bevölkerungsmehrheit trägt. "Die Krise der Menschenrechte in Bahrain ist keinesfalls vorbei", befand Amnesty International erst am Dienstag in einem detaillierten Bericht - vier Tage zuvor hatte der Automobilsport-Weltverband FIA sein endgültiges "Ja" zum Grand Prix unweit der Hauptstadt Manama bekannt gegeben. "Angemessene Sicherheitsvorkehrungen" seien zugesagt und, so FIA-Präsident Jean Todt: "Die FIA ist eine Sportorganisation. Wir interessieren uns für den Sport." Deutlicher (mit den Worten von Formel-1-Impresario Bernie Ecclestone) formuliert: "Wir waren schon immer unpolitisch."

Die eine Frage ist, ob Sport das sein kann, sein darf im 21. Jahrhundert: unpolitisch. Muss er nicht vielmehr die Öffentlichkeit nutzen, die er weltweit schafft: um Position zu beziehen, um Bedingungen zu stellen, um Appelle zu transportieren? Andernfalls wird ein Autorennen zum PR-Vehikel für ein Regime, gaukelt es Normalität vor in einem Land, das friedlichem Protest mit scharfer Munition begegnet.

Die andere Frage: Ist die Formel 1 im 21. Jahrhundert überhaupt (noch) Sport? 39 Millionen Dollar soll Bernie Ecclestone allein für den Auftritt des Fahrerfeldes in der Sakhir-Wüste erhalten, die Hälfte dieser Summe - ebenso der Werbeeinnahmen - wird unter den zwölf Teams verteilt. Eines von ihnen, McLaren, steht in einem ganz eigenen Verhältnis zum bahrainischen Königshaus: Seit Jahresbeginn hält die Bahrain Mumtalakat Holding Company, eine staatliche Investmentgesellschaft, 50 Prozent der McLaren Group. Jean Todts Sohn Nicolas schließlich besitzt einen Rennstall in der Motorsport-Serie GP2, dessen 30-Prozent-Teilhaber Salman bin Hamad al-Chalifa ist, der Kronprinz von Bahrain.

Moralische Bedenken? Jenny Wagstaff hatte sie. Die Catering-Managerin des Williams-Formel-1-Teams weigerte sich wegen der politischen Situation, die Reise nach Bahrain anzutreten. Ihr Arbeitsverhältnis ist mittlerweile beendet. Sie ist die erste Verliererin eines Rennens, bei dem es am Sonntag zwar einen Sieger geben wird. Aber keine Gewinner.

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