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Börsen-Zeitung: Gespaltene Welt, Kommentar zur Zukunft der Atomenergie von Claus Döring

Frankfurt (ots)

Die Bilder von den Explosionen im Atomkraftwerk Fukushima werden sich in die Erinnerung der Menschen brennen wie der vor 25 Jahren in Flammen stehende Reaktor im russischen Atomkraftwerk Tschernobyl oder die Kernschmelze im amerikanischen Atommeiler Three Miles Island nahe Harrisburg vor 32 Jahren. Bilder, die Emotionen freisetzen und die energiepolitische Debatte auf Jahre prägen werden, zumindest hierzulande. Und Bilder, die Sachargumente und Fakten in den Hintergrund treten lassen.

Denn Fakt ist, dass die deutschen Atomkraftwerke (AKW) seit Freitag kein bisschen unsicherer geworden sind als vorher. Die theoretische Wahrscheinlichkeit eines GAU, des größten anzunehmenden Unfalls, ist nicht gestiegen. Sie wird im Gegenteil als Folge von Fukushima rein rechnerisch eher sinken, wenn abermalige Überprüfungen der Sicherheitskonzepte der deutschen AKW das Restrisiko weiter minimieren. Aber richtig ist auch, dass die gefühlte Gefährdung für viele Menschen gestiegen ist und sich damit die Rahmenbedingungen für den Einsatz dieser Technologie verändert haben, zumindest in Deutschland.

Sankt-Florians-Prinzip

Diese Ängste sind von der Politik ernst zu nehmen, nicht nur in Wahlzeiten. Aber als Grundlage für politische Entscheidungen reichen sie nicht. Da müssen die Fakten bedacht werden. Die in Deutschland und Europa bestehenden Kernkraftwerke sind sicher zu betreiben, soweit auf dieser Welt überhaupt etwas als sicher bezeichnet werden kann. Wenn dem nicht so wäre, müsste nicht nur die amtierende Bundesregierung die Atommeiler umgehend stilllegen lassen, sondern schon Vorgängerregierungen mit den damaligen Umweltministern Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel hätten dies veranlassen müssen. Fakt ist auch, dass die atomare Bedrohung nicht an Staatengrenzen endet und deshalb eine rein nationale Atompolitik nicht weiterführt, sofern sie der Sache und nicht dem Sankt-Florians-Prinzip dienen soll.

Kernenergie gilt in Deutschland als Brückentechnologie. Man will aus ihr aussteigen, sobald sie technisch und wirtschaftlich vertretbar durch regenerative Energieerzeugung ersetzt werden kann. Der politische Streit in Deutschland dreht sich um das Ausstiegstempo, Stichwort Laufzeitverlängerung, nicht um das Ob. Und Grundlage des Konsenses zum Ausstieg ist nicht das Risiko beim Betrieb von Atomkraftwerken, das jetzt im Vordergrund der Debatte steht, sondern die ungelöste Frage der Endlagerung von Atommüll. Daran ändert auch die opportunistische Rücknahme der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke in Biblis und Neckarwestheim durch die Bundesregierung nichts. Der Grundsatz, dass die Sicherheit eines AKW nicht abhängig ist von Alter und Laufzeit, wurde jetzt wahltaktischen Überlegungen geopfert.

China unbeeindruckt

Ganz anders stellt sich die Lage in den anderen großen Industrie- und Schwellenländern dar. Selbst reife Volkswirtschaften wie die USA, Frankreich, England oder Italien setzen aus ökonomischen und ökologischen Gründen immer noch oder schon wieder auf Kernkraft oder sind - wie die Schweden - Jahrzehnte nach dem Ausstieg sogar wieder eingestiegen. Weltweit sind derzeit 65 Atomkraftwerke im Bau, darunter 27 in China und 11 in Russland. Der chinesische Volkskongress hat erst gestern, völlig unbeeindruckt von der japanischen Atomkatastrophe, seine Politik zum Ausbau der Kernenergie bekräftigt. China als größter Energieverbraucher der Welt will seine installierte Kapazität bis zum Jahr 2020 verachtfachen, über die im Bau befindlichen Reaktoren hinaus sind 50 weitere fest geplant. Wo jährlich Tausende Arbeiter bei Unglücken in Kohlebergwerken ums Leben kommen, wo in Ballungsräumen die Luftverschmutzung durch fossile Kraftwerke zur Gesundheitsgefährdung geworden ist, in einem solchen Land werden die atomaren Gefahren anders bewertet.

Ende des Atomzeitalters?

Im Zielkonflikt zwischen Vermeidung einer Klimakatastrophe und Minimierung des atomaren Restrisikos haben sich China und andere Schwellenländer längst entschieden. Denn die weltweite Energienachfrage wird bis zum Jahr 2030 um 50% wachsen. Die Kernschmelze in Fukushima als "Das Ende des Atomzeitalters" zu betrachten, wie der Titel des Magazins "Spiegel" und der Tenor vieler Kommentare in hiesigen Medien intendieren, reflektiert deutsche Befindlichkeit und Wunschvorstellungen, nicht aber die Bedürfnisse und Prioritäten im Rest der Welt. Weder wird am deutschen Wesen das Weltklima genesen, noch taugt der Atomausstieg zum Exportschlager. In Deutschland müssen jene, die bis vor wenigen Tagen beim Schlagwort Elektromobilität glänzende Augen bekamen und die nun den Sofortausstieg aus der Kernenergie fordern, die Frage nach der Energie-Alternative beantworten und sagen, welchen Wohlstandsverlust zu tragen sie bereit sind. Dabei geht es nicht nur um den persönlichen Geldbeutel, sondern vor allem um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft als Industriestandort.

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