85 Prozent der Menschen leben in Ländern mit stark eingeschränkter Zivilgesellschaft
Berlin (ots)
Brot für die Welt veröffentlicht achten "Atlas der Zivilgesellschaft" mit Zahlen des CIVICUS Monitor
Demokratie und Menschenrechte geraten weltweit zunehmend in die Defensive, auch weil rechtsstaatliche Prinzipien immer weiter untergraben werden. Das belegt der achte Atlas der Zivilgesellschaft, den Brot für die Welt heute veröffentlicht. Mehr als 85 Prozent der Weltbevölkerung - etwa sieben Milliarden Menschen - leben aktuell in Ländern, in denen Regierungen und andere Akteur*innen die Handlungsräume für Zivilgesellschaft beschränken, unterdrücken oder komplett geschlossen haben. Der Atlas der Zivilgesellschaft mit dem Schwerpunktthema "Angriffe auf den Rechtsstaat" untersucht, wie Regierungen rechtsstaatliche Mechanismen missachten, manipulieren und aushöhlen, um Grundlagen für die Repression der Zivilgesellschaft zu schaffen. Er zeigt aber auch, wie zivilgesellschaftliche Organisationen bestehendes Recht nutzen, um etwa im Rahmen von strategischen Klagen und Prozessen sozialen und ökologischen Fortschritt voranzutreiben. Deutschland zählt wie schon voriges Jahr zur Kategorie "beeinträchtigt", der zweithöchsten nach "offen". Der Atlas der Zivilgesellschaft stützt sich auf Bewertungen des weltweiten Netzwerks CIVICUS, das die Freiheitsrechte in fünf Kategorien von "offen" bis "geschlossen" einstuft.
"Demokratie und Menschenrechte werden weltweit in einer Weise angegriffen, wie wir es seit Jahrzehnten nicht erlebt haben. Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Schutz vor staatlicher Willkür sind in immer mehr Ländern bedroht oder gar nicht mehr vorhanden", sagt Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt, und verweist auf die Rolle der Zivilgesellschaft. "Wenn wir die Demokratie weltweit schützen wollen, müssen wir bei der Zivilgesellschaft anfangen. Sie ist der Schlüssel. Ohne freie Zivilgesellschaft kann es keine lebendige Demokratie und keinen Einsatz für mehr Gerechtigkeit geben."
Ein Beispiel im Atlas ist Georgien: Das Land hat 2024 ein "Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme" verabschiedet. Die georgische Regelung nach russischem Vorbild sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen und Medien, die "Interessen einer ausländischen Macht verfolgen", in einem Register geführt werden, wenn mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland stammen. Organisationen, die sich dort nicht selbst als "Ausländische Agenten" eintragen, werden zwangsregistriert und müssen mit hohen Strafen rechnen. Anfang 2025 wurde die rechtliche Situation für Organisationen massiv verschärft. Gegen Proteste der pro-europäischen, liberalen Zivilgesellschaft geht die georgische Regierung mit zunehmender Härte vor. Damit gehört Georgien zu den neun Ländern, in denen sich die Lage für die Zivilgesellschaft 2024 verschlechtert hat. Weitere repressive NGO-Gesetze sind in den vergangenen Monaten etwa in Ruanda, Paraguay, Peru und Simbabwe in Kraft getreten.
Doch zivilgesellschaftliche Akteur*innen setzen sich juristisch zur Wehr. Ein positives Beispiel für das mächtige Instrument der strategischen Prozessführung ist Kenia: Neun von zehn Pendler*innen in Kenia erleben geschlechtsspezifische Gewalt in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wairimu Muthoni Wachirah, die 2018 von einem Busfahrer attackiert worden war, erkämpfte mit neun anderen Frauen 2025 Schadensersatz vor Gericht. Ihre Klage wurde unterstützt von ISLA - einem feministischen, panafrikanischen Netzwerk zur Stärkung von Menschenrechtsklagen.
Deutschland ist in der Bewertung von CIVICUS nach wie vor in der Kategorie "beeinträchtigt", 2023 war es noch in der besten Kategorie "offen". "Wir erwarten von der neuen Bundesregierung und den Bundesländern, dass demokratisches zivilgesellschaftliches Engagement geschützt und gestärkt wird", sagt Dagmar Pruin und ergänzt mit Blick auf die deutsche Außenpolitik: "Um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, muss sich die Koalition weltweit für eine handlungsfähige Zivilgesellschaft, unabhängige Gerichte und freie Medien einsetzen."
Hintergrund:
Die Daten für den Atlas der Zivilgesellschaft basieren auf Erhebungen von CIVICUS, einem weltweiten Netzwerk für bürgerschaftliches Engagement, sowie auf der Auswertung verschiedener Quellen und Indizes, etwa zur Rede- oder Versammlungsfreiheit. CIVICUS unterteilt die Freiheitsgrade einer Gesellschaft in fünf Kategorien: offen, beeinträchtigt, beschränkt, unterdrückt und geschlossen. Die Daten belegen, dass der Handlungsraum der Zivilgesellschaft nur in 40 Staaten "offen" ist (Atlas 2024: 37), darunter Uruguay, Island oder Kanada. In diesen Ländern leben 284 Millionen Menschen.
In 42 Staaten (Atlas 2024: 43) ist der Handlungsraum "beeinträchtigt" - für insgesamt 905 Millionen Menschen. Neben Deutschland und Australien sind erstmals auch die herabgestuften Niederlande in dieser Kategorie.
35 Länder (2024: 40) "beschränken" den zivilgesellschaftlichen Handlungsraum, darunter Ungarn und Griechenland. Betroffen sind 1,05 Milliarden Menschen.
51 Staaten "unterdrücken" die Zivilgesellschaft (2024: 50), wie etwa Peru, Kenia und Indien. Das sind 3,5 Milliarden Menschen.
"Geschlossen" ist der Raum für zivilgesellschaftliche Akteure in 29 Staaten (2023: 27), darunter China, Saudi-Arabien und Irak. Dort leben 2,4 Milliarden Menschen.
Insgesamt gibt es neun Absteiger: Niederlande, Georgien, Mongolei, Burkina Faso, Kenia, Peru, Äthiopien, Eswatini, Palästinensische Gebiete. Neun Länder haben sich im Ranking verbessert: Bangladesch, Botswana, Fidschi, Japan, Jamaika, Liberia, Polen, Trinidad und Tobago sowie Slowenien.
Hinweise für Redaktionen:
Den gesamten Atlas der Zivilgesellschaft, Infografiken und eine Weltkarte finden Sie unter: https://www.brot-fuer-die-welt.de/atlas-der-zivilgesellschaft/
Eine digitale Pressemappe finden Sie hier: https://www.brot-fuer-die-welt.de/presse/digitale-pressemappen/
Am Mittwoch (4.6.) werden die Ergebnisse des Atlas der Zivilgesellschaft auf einer Abend-Veranstaltung diskutiert- mit Partnerorganisationen und Gästen aus der Politik. Nähere Informationen finden Sie hier: https://ots.de/wJFMJK
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