Alle Storys
Folgen
Keine Story von NDR Norddeutscher Rundfunk mehr verpassen.

NDR Norddeutscher Rundfunk

Theo Waigel im Interview mit tagesschau.de: Mehr als drei Prozent Haushaltsdefizit "ein gewaltiger Imageverlust für Deutschland"

Hamburg (ots)

"Der Finanzminister hat unaufhörlich die
Bevölkerung enttäuscht"; das Eingeständis von Bundesfinanzminister
Hans Eichel, dass Deutschlands Haushaltsdefizit vorausichtlich drei
Prozent des Bruttoinlandproduktes übersteigen werde, sei "ein
gewaltiger Imageverlust für Deutschland" - das sagte Theo Waigel, in
der Regierung Kohl neuneinhalb Jahre Bundesminister der Finanzen und
zehn Jahre Parteivorsitzender der CSU, in einem Interview mit
tagesschau.de. Heute ist Waigel Mitglied des Deutschen Bundestages
und des Auswärtigen Ausschusses. Das Interview im Wortlaut:
tagesschau.de: Deutschland als einer der ersten Adressaten des
Blauen Briefes - hätten Sie sich das bei den Verhandlungen über den
Vertrag von Maastricht und den Stabilitätspakt träumen lassen?
Theo Waigel: Nein, weil wir unter viel schwierigeren Bedingungen
1997 und 1998 das Kriterium klar erreicht haben. Und dann kamen ja
die sehr günstige Steuerjahre '99 und 2000. Das wäre der Zeitpunkt
gewesen, die Konsolidierung so voranzutreiben, dass man in
konjunkturell schwierigen Zeiten genügend Polster hat, um die drei
Prozent nicht zu verletzen.
tagesschau.de: Hat Sie Eichels Eingeständnis überrascht?
Waigel: Seit Frühling war klar, dass das heuer so gehen würde. Der
Finanzminister hat unaufhörlich die Bevölkerung enttäuscht. Die
Volkswirte und die Forschungsinstitute waren sich seit mindestens
einem halben Jahr darüber im klaren, dass das Defizit über drei
Prozent liegen würde.
tagesschau.de: Wie dramatisch ist der Verstoß?
Waigel: Das ist natürlich ein gewaltiger Imageverlust für
Deutschland. Im übrigen: Jetzt zeigt sich, wie verheerend es war, im
Frühjahr den blauen Brief in dieser unverschämten, für den
Stabilitätspakt und für den Euro schädlichen Weise abzuwenden anstatt
zu sagen: Ok, es ist richtig, was die Kommission sagt, wir müssen
daraus die Konsequenzen ziehen. Das hat man bis jetzt nur anderen
Ländern in Europa zugetraut, aber nicht uns.
tagesschau.de: Ist der Stabilitätspakt in Gefahr?
Waigel: Jetzt besteht die große Gefahr, dass die drei Großen,
Deutschland, Frankreich und Italien, sich um die Ziele des
Stabilitätspaktes herumwinden möchten - zu Lasten der Kleinen und
Mittleren, die sich sehr angestrengt und ihre Ziele erreicht haben.
Das wäre natürlich ein starker Vertrauensverlust für die europäische
Wirtschafts- und Währungsunion.
tagesschau.de: Portugal verstößt gegen den Stabilitätspakt,
Frankreich und Italien üben sich ebenfalls in kreativer
Haushaltsführung. Wie beschädigt ist der Stabilitätspakt - ist er gar
ein Muster ohne Wert?
Waigel: Der Stabilitätspakt ist nicht beschädigt. Die Länder, die
ihn verletzen, beschädigen sich selbst. Ohne den Stabilitätspakt gebe
es die Diskussion nicht. So ist ein gesamteuropäisches
Stabilitätsbewusstsein erreicht worden. Und es ist schon einmalig,
das uns Länder wie Griechenland zu Recht sagen: Bitte, haltet euch an
das, was ihr von uns immer verlangt habt. Das heißt, es gibt einen
Austausch der Rollen - aber zugleich eine Stabilitätskultur, wie sie
früher nie da war.
tagesschau.de: Aber ist nicht das Korsett des Stabilitätspakts zu
starr für Zeiten einer schwachen Konjunktur?
Waigel: Nein - selbst dann nicht, wenn man den
Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes in Anspruch nimmt -
wofür ich grundsätzlich nicht plädiere. Auch Keynes hat immer gesagt:
"Deficitspending" in einer konjunkturell schwachen Zeit, aber dann um
so stärkere Konsolidierung, wenn die Konjunktur wieder läuft. Und
genau das ist nicht passiert. Dass dies nicht zu schwierig ist,
beweisen acht kleinere Länder, die es schaffen. Deutschland,
Frankreich und Italien haben ihre Probleme zu wenig angepackt -
Konjunkturprobleme genauso wenig wie Finanzprobleme.
Iris Bents
NDR-Pressestelle
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg
Tel. 040/4156-2304
Fax 040/4156-2199 
i.bents@ndr.de

Original-Content von: NDR Norddeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: NDR Norddeutscher Rundfunk
Weitere Storys: NDR Norddeutscher Rundfunk